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Flüchtlingspolitik
Italiens umstrittene Zusammenarbeit mit Libyen

Libyen ist zum Transitland geworden: Hunderttausende Menschen warten dort darauf, ein Schlepperboot zu besteigen, das sie nach Italien bringt. Aber Rom arbeitet eng mit den libyschen Behörden zusammen, um weitere Überfahrten zu verhindern - dabei werden Flüchtlinge in Lagern gefangen gehalten, wo sie Berichten zufolge misshandelt und sogar getötet werden.

Von Jan-Christoph Kitzler | 10.01.2018
    Migranten aus Afrika warten 30 Kilometer vor der libyschen Küste in einem Schlauchboot auf ihre Rettung
    Verbrechen gegen die Menschlichkeit "am laufenden Band": Europa zahlt offenbar libysche Milizen dafür, Flüchtlinge in Lagern festzuhalten, wo ihnen oft ein grausames Schicksal droht (AFP / Angelos Tzortzinis )
    Mit dem Blick aus dem Norden ist das eine Erfolgsgeschichte: Rund 183.000 Migranten sind 2017 nach Europa gekommen – nur etwa halb so viele wie im Jahr davor. Vor allem auf der zentralen Mittelmeerroute von Libyen nach Italien waren es deutlich weniger. Italien hat seine Politik geändert und besonders stolz ist der Innenminister Marco Minniti, der immer wieder die Erfolge lobt:
    "Die Zukunft gehört nicht denen, die Mauern bauen, sondern denen, die es verstehen, Brücken zu bauen. Das ist die Zukunft und das Herz unseres Landes. Und in diesem Geist sind wir das Thema der großen Migrationsströme angegangen. Eine große Demokratie verfolgt die Ströme nicht einfach nach, sondern organisiert die Migration."
    Italien unterstützt die libyschen Behörden
    Das sind schöne Sätze, wenn man die Lage aus dem Norden betrachtet. Doch um welchen Preis gibt es nun weniger Migranten? Flavio di Giacomo von der UN-Migrationsagentur IOM ist skeptisch, auch angesichts der Zahlen auf der zentralen Mittelmeerroute:
    "2017 sind weniger Migranten angekommen, etwa 34 Prozent weniger. Aber das heißt nicht, dass sich die humanitäre Lage verbessert hätte, im Gegenteil: Vielleicht war 2017 das Jahr, in dem wir uns alle der Gewalt bewusst geworden sind, die die Migranten auf ihrer Reise erleiden. Wir sagen das schon seit langem, aber es scheint, als hätte jetzt auch die internationale Gemeinschaft die schlimme Lage in Libyen bemerkt."
    Italiens Politik hat zwar auch Brücken gebaut. Es gibt jetzt auch einen humanitären Korridor von Libyen nach Italien – aber die wenigen Hundert Menschen, die so ganz legal und ohne sich den Schleppern anvertrauen zu müssen Europa erreichen, sind ein Tropfen auf den heißen Stein, angesichts von hunderttausenden Migranten, die in Libyen festsitzen. Italien unterstützt die libysche Küstenwache, damit sie nicht aufbrechen. Italien und Europa finanzieren Lager, in denen Zehntausende festgehalten werden.
    Ehemalige Milizen betreiben jetzt Flüchtlingslager – mit EU-Geld
    Erasmo Palazzotto, Parlamentsabgeordneter in Rom, sieht das mehr als kritisch: "Die Lösung ist, dass die Grenzen weiter nach außen verschoben werden. Wir zahlen andere für die Arbeit, die wir tun müssten. In Libyen geschehen am laufenden Band Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich glaube, dass die Verträge, die wir mit der libyschen Regierung gemacht haben, uns mitschuldig machen – und eines Tages werden wir uns dafür verantworten müssen."
    In Libyen ist die massenhafte Migration längst ein lukratives Geschäft geworden. Und das Geld wird jetzt nicht nur den Migranten selbst abgepresst, sondern kommt auch aus Europa. Ehemalige Milizen sind nun zum Beispiel zu Betreibern von Flüchtlingslagern geworden:
    "Wir wissen was in den Lagern in Libyen passiert, die mit italienischen und EU-Geldern finanziert werden. Frauen werden vergewaltigt, Menschen getötet, gefoltert. Und die, die bisher die Schleuser waren, haben jetzt in unserem Auftrag den Job gewechselt: Sie organisieren die Lager und die Entsorgung der Menschen, die in Libyen in die Falle gegangen sind. Sie werden Schlachtfleisch, Sklaven, Zwangsarbeiter und wenn es zu viele sind, setzt man sie in der Wüste aus."
    Europa freut sich, dass die Zahlen rückläufig sind
    Die Internationale Organisation für Migration hat 2017 rund 14.000 Migranten aus Libyen zurück in ihre Heimatländer gebracht. Ein wichtiger Ansatz, sagen Fachleute. Aber das ist für Migranten, die vor Krieg, Terror und Hunger fliehen oft keine Alternative. Auch deshalb sagen Menschenrechtsorganisationen, dass eine nachhaltige Migrationspolitik sich nicht darauf beschränken dürfe, in Libyen die Reise nach Europa zu blockieren.
    Die Antwort liegt weiter südlich, in den Herkunftsländern der meisten Migranten. Aber das ist, aus dem Norden betrachtet, noch weiter weg. Und deshalb freut man sich in Europa lieber darüber, dass die Zahlen rückläufig sind.