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Flüchtlingspolitik nach dem Malta-Gipfel
"Europa würde seine Seele verkaufen"

Zehn Punkte haben die EU-Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Malta verabschiedet. Jeder dieser Punkte soll helfen, die illegale Migration von Libyen über das Mittelmeer nach Europa einzudämmen.

Gesprächsleitung: Annette Riedel, Deutschlandfunk | 08.02.2017
    Eine kaputte Schwimmweste ist an einen Strand in Libyen angespült worden.
    Eine kaputte Schwimmweste ist an einen Strand in Libyen angespült worden. (dpa-Bildfunk / EPA / Ben Khalifa)
    Mehr Unterstützung für die libysche Küstenwache, stärkerer Einsatz gegen Schleuserbanden und sichere Aufnahmeeinrichtungen aufbauen – was bringt das Libyen ist ein "failed state", in vielen EU-Staaten ist die Flüchtlingspolitik Kern von Wahlkämpfen und wie weit ist die EU eigentlich von Donald Trumps Abschottungspolitik in den USA entfernt? Das diskutierten:
    • Karl Hoffmann, Journalist, ehemaliger ARD-Hörfunk-Korrespondent Rom
    • Gerald Knaus, Vorsitzender des Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative (ESI)
    • Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL
    • Matthias Krupa, Journalist, Politik-Redakteur DIE ZEIT, zuvor Brüssel-Korrespondent

    Karl Kopp zeigte sich enttäuscht: "Beim EU-Gipfel in Malta ist nichts über Evakuierung nach Europa besprochen worden. Es ging nur darum, die Geflüchteten nach Libyen zurück zu schicken." Das sei ein Grundsatzproblem der Europäischen Union: "Europa ist nicht in der Lage, gemeinsam Flüchtlinge aufzunehmen, sondern nur in der Lage, Flüchtlinge gemeinsam fernzuhalten. Es gibt zu wenig Ansätze zur Fluchtursachenbekämpfung." Dass es nicht noch mehr tote Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute gebe, sei der funktionierenden Seenot-Rettung zu verdanken.
    Das Sicherheitsproblem im Mittelmeer bleibe ungelöst, so Gerald Knaus: "Im vergangenen Jahr sind mehr Menschen als je zuvor ertrunken, das ist eine humanitäre Katastrophe." Europa verkaufe seine Seele, wenn es versuche, Australiens Flüchtlingspolitik nachzueifern. Über das EU-Türkei-Abkommen, zu dessen Architekten er gehört, sagte Knaus: "Das EU-Türkei-Abkommen gilt weiter. Und vor Ort zu helfen, wie in der Türkei, ist richtig. Es ist besser, dass syrische Familien komplett in der Türkei leben." Knaus befürwortete ähnliche Flüchtlingsabkommen auch mit anderen Staaten.
    Balance zwischen sicheren Außengrenzen und Humanität
    Für Matthias Krupa war der Malta-Gipfel mit seinen Impulsen zur Flüchtlingspolitik kein Reinfall: "Europa ist lernfähig. Es hat Verbesserungen gegeben bei der Versorgung der Flüchtlingslager in der Türkei. Die EU ist einsichtig, die Umsetzung dauert nur sehr lange." Krupa riet von Schwarzmalerei ab und plädierte für eine "Politik der kleinen Schritte". Wichtig sei eine Balance zwischen sicheren Außengrenzen und Humanität.
    Karl Hoffmann berichtete über seine Erfahrungen und Beobachtungen aus Italien: "Im Augenblick hat die EU, zum Beispiel in Italien, die Aufnahme von Flüchtlinge im Griff. Die Stimmung in Italien ist bisher halbwegs fremdenfreundlich. Die Flüchtlinge sind nur das äußere Zeichen einer Kette von Problemen, bei der kolonialistische Verhaltensweisen der Europäer die Ursache sind." Auf den Titel der Sendung bezogen befand Hoffmann: "Man kann Europa nicht dicht machen."