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Flüchtlingspolitik
"Wir erwarten maximale Entscheidungen"

Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, befürchtet, dass ein Ergebnis des Brüsseler Flüchtlingsgipfels sein könnte, dass Europa die Grenzen dicht macht. Das verstoße aber gegen geltendes Recht, denn die Menschenrechte und damit das auch das Asylrecht gelte in der EU uneingeschränkt, sagte Burkhardt im DLF.

Günter Burkhardt im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 17.12.2015
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Ann-Kathrin Büüsker: Hubschrauber über den Häusern, berittene Polizei auf den Straßen im EU-Viertel, überall Straßensperren und jede Menge dunkle Limousinen, in denen die Politiker und Politikerinnen hin- und herfahren, und natürlich jede Menge Journalisten. So sieht es in Brüssel aus, wenn EU-Gipfel ist, also auch heute wieder. Ganz oben auf der Themenliste stehen zwei Dinge: zu einen der Umgang mit Flüchtlingen, zum anderen die Zukunft Großbritanniens in der EU.
    "Wir müssen die Menschenrechte schützen!" Diesen Appell richtete die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl vor dem Gipfel an alle dort Beteiligten. Ich habe vor dieser Sendung mit dem Geschäftsführer Günter Burkhardt gesprochen und ihn gefragt, ob er erwartet, dass in diesen Tagen in Brüssel tatsächlich Entscheidungen getroffen werden.
    Günter Burkhardt: Wir befürchten Entscheidungen, nämlich maximale Entscheidungen. Das heißt, dass man die Grenzen Europas abschottet, dass sich die Pläne durchsetzen, zurückzuschicken in die Türkei, einen unsicheren Staat, der Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen begeht, ihnen keinen Schutz bietet. Das ist der Maximalvorschlag, der auf dem Tisch liegt. Für den Flüchtlingsschutz ist wenig zu erwarten. Zu befürchten ist ein Ausverkauf der Menschenrechte bei diesem Gipfel.
    "Wer kommt und Schutz sucht, hat das Recht, dass sein Antrag geprüft wird"
    Büüsker: Was wäre denn aus Ihrer Sicht der richtige Weg, auf den sich die EU einigen müsste?
    Burkhardt: Die EU muss ihren Partner Türkei dazu bringen, dass sie die Menschenrechte achtet, dass sie Flüchtlingen eine Perspektive bietet. Viele wollen ja gar nicht nach Europa, sondern dort bleiben. Das heißt, wir brauchen Möglichkeiten der Integration, der legalen Arbeit, des Schulbesuchs für Kinder und vor allem ausreichend Geld für Nahrungsmittel in den Flüchtlingslagern rund um Syrien.
    Das Zweite ist: In Europa gelten die Menschenrechte uneingeschränkt. Das bedeutet, an den Grenzen Europas darf ich nicht einfach Boote umdrehen und zurückschicken.
    Wer kommt und Schutz sucht, hat das Recht, dass sein Antrag geprüft wird, und das sind keine Schönwetterrechte, die die europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention garantieren. Diese Rechte müssen sich bewähren, wenn sie gebraucht werden, wenn sie in Anspruch genommen werden. Die Europäische Union, vor allem die Mitgliedsstaaten im Osten haben doch überhaupt kein Interesse mehr, Menschenrechte als Grundlage des Zusammenlebens in der Europäischen Union zu betrachten.
    Büüsker: Okay, gehen wir davon aus. Aber was kann denn die Europäische Union daran ändern?
    Burkhardt: Ich halte Vorschläge aus Österreich, durchaus auch im finanziellen Bereich einiges zur Disposition zu stellen, für realistisch. Europa ist nicht nur eine Eurogemeinschaft; es ist eine Wertegemeinschaft. Und das bedeutet, dass die EU-Staaten Asylrecht gewährleisten und vor allem keine Abschiebungen vornehmen in Krisengebiete. Die Vorschläge der EU-Kommission, dass Griechenland dazu gebracht werden soll, verstärkt nach Afghanistan, aber auch in Länder wie den Iran abzuschieben, das ist schon ein Kurswechsel der EU-Kommission, und wir appellieren an die Bundeskanzlerin, dass sie zu den Menschenrechten steht, ihr ganzes Gewicht in die Waagschale wirft, damit unverändert in Europa die Menschenrechte die Grundlage sind, auf denen das gesellschaftliche Leben basiert, und dazu gehört auch das Asylrecht.
    "Es darf nicht abgeschoben werden nach Afghanistan"
    Büüsker: Aber Deutschland möchte ja selbst Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben.
    Burkhardt: Das ist der Widerspruch. Aber bitte schön, es ist zu prüfen, braucht jemand Schutz. Wir sind der Meinung, es darf nicht abgeschoben werden nach Afghanistan, aber vorher muss es ein faires Verfahren geben. In Deutschland haben wir bisher eine Anerkennungsquote, wenn inhaltlich entschieden wird, von 75 Prozent. Diese Pläne zu sagen, wir drücken die Anerkennungsquote, reden Afghanistan als sicheres Land herbei, das ist viel Wunschdenken von Ordnungspolitikern der Innenpolitik. Das hat aber mit der Realität nichts zu tun.
    Büüsker: Jetzt haben Sie eben gesagt, Europa muss auch eine Wertegemeinschaft sein beziehungsweise ist eine Wertegemeinschaft. Aber kann man das denn tatsächlich so sagen, wenn in immer mehr europäischen Ländern rechte Kräfte stärker werden, wenn wir jetzt zum Beispiel gerade nach Polen gucken? Droht da die EU nicht auch auseinanderzubrechen?
    Burkhardt: Der Europäischen Union droht ein Rückfall in Zeiten, wie meine Generation sie in Europa nicht kannte. Es ist für mich undenkbar gewesen, dass man Pressefreiheit beschränken kann, dass man an die Unabhängigkeit der Justiz herangeht. Es gibt beängstigende Entwicklungen in Polen, in Ungarn. Die haben mit der Flüchtlingsthematik ursächlich nichts zu tun. Aber es kommt jetzt entscheidend darauf an, dass die Kanzlerin und die Staaten insgesamt deutlich machen, die Menschenrechte gelten in Europa uneingeschränkt, und wer sie einschränkt, wer sie nicht achten will, wem es nur um den Euro geht, um Finanzhilfen, der muss sich überlegen, ob er noch in der Europäischen Union, die auf den Grundrechten und Menschenrechten basiert, am richtigen Ort ist.
    Büüsker: Sie haben jetzt die Kanzlerin mehrfach angesprochen. Trauen Sie Angela Merkel denn tatsächlich zu, dass sie die Europäer eint, so wie sie vielleicht auch ihre eigene Partei jetzt geeint hat?
    Burkhardt: Das hoffe ich sehr! Wenn sie es nicht tut, dann würde sie mit einer doppelten Politik öffentlich kommunizieren: mit einem flüchtlings- und menschenrechtsfreundlichen Image in Deutschland und mit einer Politik der Härte und Kälte an der EU-Grenze. Das passt so nicht zusammen!
    "Türkei muss Menschenrechte einhalten"
    Büüsker: Die EU hat sich ja die Türkei als Partner ausgesucht. Wir haben eben schon darüber gesprochen. Und es klang so, als wären Sie der Meinung, die Türkei wäre da genau der falsche Partner. Habe ich Sie da richtig verstanden?
    Burkhardt: Es ist aller Ehren wert, mit der Türkei in Gespräche zu treten und dafür einzutreten, dass die Türkei die Menschenrechte beachtet. Das tut sie aber nicht, und zwar sowohl ihren Staatsbürgern gegenüber - ich denke hier an Pressefreiheit, an die Unterdrückung der kurdischen Minderheit, die gefährliche Politik Erdogans im Innern der Türkei.
    Wir sehen aber auch, auch durch Berichte unserer türkischen Projektpartner, durch türkische Menschenrechtsaktivisten, die jetzt bestätigt wurden durch Amnesty International, dass Schutzsuchende inhaftiert werden, dass es Zurückweisungen gibt nach Syrien, in den Irak. Wenn die Türkei sich so verhält, dann muss man die Beitrittsverhandlungen unterbrechen, auf Eis legen, und vor allem auch dieses Abkommen, dass die Türkei finanzielle Hilfestellungen erhält sowie mit der Aussicht, dass ihre Staatsbürger visafrei nach Europa reisen dürfen.
    Das ist ja alles im Angebot, wenn die Türkei Flüchtlinge abhält zu fliehen. Das ist ein unlauterer Deal. Der geht auf Kosten der Menschenrechte und schadet Europa langfristig selbst, weil man die Grundlagen des Zusammenlebens zur Disposition stellt.
    "Die Gesellschaft ist dabei sich zu spalten"
    Büüsker: Hat sich denn seit dem Sommer, seit der Hochphase der Flüchtlingskrise, irgendetwas in der europäischen Politik getan, wo Sie sagen würden, das ist ein hoffnungsvolles Zeichen?
    Burkhardt: In Deutschland gibt es eine überragende Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen. Es gibt ein herausragendes Engagement gerade der Kommunen, vieler staatlicher Stellen. Und wer nachdenkt weiß: Auf eine lange Sicht gesehen ist es von Vorteil, dass Menschen kommen, dass sie hier integriert werden, hier Arbeit finden. Es gibt schon gute Ansätze in diese Richtung, ...
    Büüsker: Die aber alle in Deutschland stattfinden?
    Burkhardt: Die in Deutschland stattfinden, aber auch in Schweden, in Holland und anderen Staaten, Österreich. Die Gesellschaft ist dabei, sich zu spalten, und wir sehen, dass rassistische Tendenzen auf dem Vormarsch sind, dass narzisstisches und nationalistisches Gedankengut versucht, Kapital zu schlagen von den Krisen rund um Europa. Das ist die beängstigende Seite dieser Entwicklung.
    Büüsker: Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, im Deutschlandfunk-Interview. Das Gespräch haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.