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Flüchtlingspolitik
"Wir müssen auch die Frage der Integration klären"

Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer hat sich für ein gemeinsames Vorgehen zur Integration von Flüchtlingen in Deutschland ausgesprochen. Im Deutschlandfunk sagte Dreyer, sie werde beim heutigen Treffen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel zusammen mit anderen sozialdemokratischen Kollegen einen Beschlussvorschlag präsentieren. Dabei gehe es auch um die Themen Sicherheit, Zusammenarbeit und Zuzug.

Malu Dreyer im Gespräch mit Peter Kapern | 28.01.2016
    Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei einer Rede am 23.1.2016.
    Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei einer Rede. (dpa / picture alliance / Arne Dedert)
    Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer betonte, es sei wichtig, sich endlich um die Integration zu kümmern, damit die Chancen der Zuwanderung genutzt werden könnten. Die Menschen in Deutschland machten sich sorgen, das gebe Auftrieb für rechte Parteien. Man müsse gemeinsam investieren, um den Menschen wieder das Vertrauen zu geben, "dass wir handlungsfähig sind", betonte Dreyer. Es müsse geklärt werden, wie viele Flüchtlinge kommen sollen. Dabei setzt Dreyer auf eine europäische Einigung.
    Die SPD-Politikerin verteidigte zudem ihre Entscheidung, vor der Wahl in Rheinland-Pfalz nicht an einer Fernsehdiskussion mit AfD-Vertretern teilzunehmen. Die AfD sei keine normale Partei und würde dadurch nur aufgewertet.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Durchaus möglich, dass die Politik heute doch noch mal den Nachweis versucht, doch noch zu einem gemeinsamen Vorgehen in der Flüchtlingspolitik in der Lage zu sein. Zum einen steht in Berlin die Konferenz der Ministerpräsidenten an, ein Treffen mit der Kanzlerin ist da terminiert. Zum anderen ein Treffen der Parteichefs der Koalition. Auf den Tagesordnungen stehen eine Reihe von Regelungen, die den Zuzug von Flüchtlingen beziehungsweise deren Unterbringung und Versorgung hierzulande betreffen. Vor allem geht es um die seit Langem zwischen der Union einerseits und der SPD andererseits umstrittene Frage, ob der Familiennachzug für syrische Flüchtlinge stärker eingeschränkt werden soll.
    Bei uns am Telefon ist Malu Dreyer von der SPD, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Guten Morgen, Frau Dreyer.
    Malu Dreyer: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Frau Dreyer, manchmal sieht man die Dinge ja aus der Distanz klarer als aus der unmittelbaren Nähe. Wie sieht das von Mainz aus betrachtet aus? Wie lange hält die Koalition das Theater noch aus?
    Dreyer: Na ja. Ich denke nicht, dass die Koalition in Gefahr ist. Aber die Union hat permanent Ärger unter sich und es wird wirklich Zeit, dass sie sich zusammenreißen aus meiner Sicht. Die Menschen erwarten von uns zurecht, dass Bund und Länder gemeinsam gute Politik machen und die Flüchtlingsfrage auch klären. Die Menschen haben Sorge, sie haben Sorge um die Sicherheit, um den Zusammenhalt, und deshalb sind wir gefordert zu mehr Verantwortung und nicht dazu gefordert, dass jede Woche ein neuer Vorschlag kommt.
    "Neue Pläne nutzen nichts, wenn wir uns nicht auf die Aufgabe konzentrieren, die wir zu erledigen haben"
    Kapern: Da klingen Sie ja ein bisschen wie Ihr Parteichef Sigmar Gabriel, der sagt, in der Koalition gibt es gar keinen Streit, sondern nur Streit zwischen den Unions-Parteien.
    Nun hat Gerda Hasselfeldt, die Landesgruppenchefin der CSU im Bundestag, gesagt, die SPD trägt nichts zur Lösung der Flüchtlingskrise bei und vergiftet das Koalitionsklima. Das klingt nicht ganz so, als gäbe es da keinen Streit zwischen SPD und Union.
    Dreyer: Na ja. Das kann ich einfach nur zurückweisen. Die SPD ist ja der stabile Faktor innerhalb der Bundesregierung. Es gab viele, viele Vorschläge von der SPD. Wir haben uns auch zu Themen, die immer und immer wieder neu auf den Tisch kommen, durch die CSU, jetzt auch durch Plan A2, diskutiert. Wir haben gute Lösungen dazu gefunden.
    Wir sind leider in der Umsetzung, das muss man schon deutlich sagen, längst nicht dort, wo wir sein sollten. Aber neue Pläne nutzen nichts, wenn wir nicht gemeinsam die Kraft aufbringen, uns zu konzentrieren auf die Aufgabe, die wir zu erledigen haben, und da steht einiges aus.
    Kapern: Bevor wir dort auf die Details noch mal schauen, Frau Dreyer. Das tun wir gleich. Aber lassen Sie mich noch kurz mal bei der Frage des Bestands der Koalition bleiben. Wenn die Grünen in Mainz Klage einreichen würden beim Landesverfassungsgericht gegen die Regierung, könnten die Grünen dann Teil Ihrer Regierung bleiben?
    Dreyer: Das ist schwer vorstellbar bei uns. Wir pflegen wirklich ein etwas anderes Verhältnis wie die CSU und die CDU zurzeit. Es ist unvorstellbar eigentlich.
    Kapern: Und in Berlin geht das trotzdem, meinen Sie?
    Dreyer: Ich finde es sehr schwierig. Ich finde ohnehin den Umgang der CSU sehr schwierig mit der CDU, mit der Schwesterpartei. Das grenzt schon an einer starken Zumutung. Aber das müssen die beiden miteinander klären. Das ist wirklich nicht meine Aufgabe.
    "Wir müssen zu einem gemeinsamen Vorgehen kommen, was das Thema Integration der Menschen betrifft, die bei uns leben"
    Kapern: Nun treffen Sie ja heute Abend die Kanzlerin. Da geht es dann um recht viele Detailfragen in der Flüchtlingskrise. Das haben wir gerade von unserem Kollegen, von meinem Kollegen Frank Capellan gehört. Welche Botschaft haben Sie denn für die Kanzlerin? Was verlangt Rheinland-Pfalz in dieser Sache?
    Dreyer: Gemeinsam mit Hannelore Kraft und ein paar anderen Ministerpräsidenten starten wir ja heute einen Beschlussvorschlag oder geben ihn zur Diskussion zum Thema Sicherheit und Zusammenhalt. Ein Investitionsprogramm ist einfach gefragt. Wir sprechen viel über das Thema Zuzug. Das wird auch heute wieder ein großes Thema sein. Aber wir müssen endlich auch zu einem gemeinsamen Vorgehen kommen, was das Thema Integration der Menschen betrifft, die bei uns leben. Da geht es darum, nicht nur die Menschen zu integrieren, sondern um viel, viel mehr, nämlich um Chancen und Sicherheit für alle. Die Menschen machen sich Sorgen in unserem Land.
    Es ist Auftrieb für die rechten Parteien. Wir müssen gemeinsam es stemmen, dass Länder und Bund sich committen in der Frage, gemeinsam in Schulen, in Kitas, Wohnungen, Arbeitsmarkt zu investieren, auch in die soziale, die öffentliche Sicherheit, um den Menschen auch wieder das Vertrauen zu geben, dass wir gemeinsam wirklich handlungsfähig sind und diese wichtigen Fragen in unserem Land auch gemeinsam bewältigen können.
    "Wir sollten nicht die Fehler der Vergangenheit machen"
    Kapern: Aber diese Themen, die Sie da angesprochen haben, deren Relevanz würde niemand bestreiten. Gleichwohl klingen die etwas, na sagen wir mal, von sekundärer Bedeutung in einer Zeit, in der immer noch gestritten wird darüber, in welcher Form man die Menschen über die Grenze lässt, ob man die Grenzen zumachen muss, wie man sie registrieren kann, warum sie eigentlich immer noch nicht registriert werden.
    Dreyer: Ja es klingt vielleicht nicht ganz so spektakulär, aber es ist natürlich dramatisch wichtig. Wir haben ja schon viele Jahre Zuwanderung hinter uns und wir wissen genau, wir sollten nicht die Fehler der Vergangenheit machen. Das heißt, die Menschen, die bei uns bleiben, müssen unabhängig von der Klärung der Frage, wie wir den Zuzug regeln, integriert werden in unserer Gesellschaft. Sonst produzieren wir heute das Problem von morgen, und vor allem wir nutzen die Chancen nicht, die wir auch mit der Zuwanderung verbinden, und wir verunsichern die gesamte Bevölkerung.
    "Wir brauchen ein Investitionsprogramm für mehr Sicherheit, für die Integration der Menschen"
    Kapern: Aber müssen wir nicht vorher noch mal die Frage klären, wie viele überhaupt noch kommen sollen?
    Dreyer: Wir müssen beides klären und unser Beschluss sieht auch vor, dass wir einerseits noch mal uns beziehen auf die Themen, die wir schon beschlossen haben, die ja ganz viel mit Zuzug zu tun haben.
    Wir setzen nach wie vor prioritär auf die Frage europäische Einigung, internationale Einigung, aber auch schnellere Asylverfahren. Wir haben immer noch 600.000 Verfahren in unserem Land, die nicht bearbeitet werden. Das geht alles viel zu langsam.
    Wir brauchen natürlich die Identitätsfeststellung, um Menschen hier auch zu beruhigen. Ich als Ministerpräsidentin habe gesagt, ich möchte nicht, dass es in Rheinland-Pfalz Menschen gibt, von denen wir nicht wissen, wer sie sind. Wir unterstützen den Bund dabei und wir nehmen Fingerabdrücke von jedem Flüchtling, der in unser Land kommt, inklusive BKA-Abgleich, und das ist ein Punkt, der natürlich wichtig ist und den wir auch heute zu klären haben.
    Dennoch sage ich, wir dürfen nicht wieder stundenlang miteinander verbringen und nur Zuzugsfragen klären. Wir müssen auch die Frage der Integration klären. Wir brauchen ein Investitionsprogramm für mehr Sicherheit, für die Integration der Menschen, und das müssen wir heute beginnen zu besprechen, um dann sehr schnell auch einen Weg zu finden, wie wir damit umgehen.
    Kapern: Was halten Sie eigentlich als SPD-Politikerin davon, wenn Ihre Partei nun plötzlich doch der Begrenzung des Familienzuzugs bei syrischen Flüchtlingen zustimmt?
    Dreyer: Na ja. Es wird jetzt die große Aufgabe sein der drei Parteichefs, wirklich zu schauen, wie kann man eigentlich sich gemeinsam committen. Und es ist immer in einer Koalition so, dass man letztlich auch zu einem Kompromiss finden muss.
    Ich hoffe, dass der Kompromiss dann gut aussieht, denn ich persönlich bin auch der Auffassung, dass es sehr schwierig ist, dass wir uns auf der einen Seite beklagen, dass viele alleinstehende Männer in unser Land kommen, und umgekehrt auch menschlich es schwer nachvollziehbar ist, dass sie ihre Frauen und Kinder nicht aus diesen furchtbaren Verhältnissen holen können. Deshalb: Wir brauchen einen Kompromiss, wir müssen diese Frage klären, und das liegt in der Verantwortung der Parteivorsitzenden. Die treffen sich heute und ich bin auch optimistisch, dass man zu einer Lösung finden wird. Klarer Appell an Herrn Seehofer: Nicht immer noch draufsatteln, sondern einfach Dinge, die man miteinander besprochen hat, dann einfach auch mal machen.
    Kapern: Frau Dreyer, ich würde mich ganz kurz noch einem anderen Thema committen. Nun nimmt die SPD in Rheinland-Pfalz doch an der Elefantenrunde mit der AfD teil, schickt aber nicht die Regierungschefin, sondern den Landesvorsitzenden Roger Lewentz. Was ist das, der Versuch der Gesichtswahrung, der Schadensbegrenzung in letzter Minute?
    Dreyer: Nein, weder noch. Ursprünglich ging es ja immer um die Frage, dass die Spitzenkandidaten, sprich ich, die Ministerpräsidentin, in die AfD-Runde geht, und ich habe das abgelehnt und ich lehne das bis zum heutigen Tag ab.
    Das Format ist nun insoweit geöffnet, dass auch Parteien Menschen schicken können, zum Beispiel ihren Vorsitzenden. Und wir haben dann am Ende gesagt, dass wir das auch für richtig finden, daran teilzunehmen, weil es kaum möglich ist, wenn die Elefantenrunde jetzt stattfindet, wie der SWR es wünscht, dass die SPD dort gar keine Stimme hat.
    Aber noch mal: Persönlich finde ich es nach wie vor nicht richtig, eine Partei, die weder bei uns im Landtag, noch im Bundestag ist, die nach den Prognosen Aussichten hat, in das Parlament einzuziehen, in diese Runde einzuladen. Wenn der SWR darauf besteht, müssen wir auch einen Weg finden, damit umzugehen. Die Partei hat für sich entschieden, ich habe mit der Partei entschieden, dass die Partei diese Aufforderung auch annimmt. Ich persönlich werde nicht in dieser Elefantenrunde anwesend sein, aber ich mache viele andere Formate, ohne die AfD, und das ist auch richtig so.
    "Die AfD ist für mich keine normale Partei"
    Kapern: Aber stehen Sie jetzt nicht da wie die SPD-Prinzessin auf der AfD-Erbse?
    Dreyer: Überhaupt nicht. Ich denke, ich habe eine klar verständliche Haltung, auch wenn die meisten Menschen, zumindest auch die Kommentierungen das nicht nachvollziehen können. Aber die AfD ist für mich keine normale Partei. Ohne Not soll ich mich in eine Elefantenrunde mit ihr setzen. Ich finde das unangemessen. Ich werte diese Partei auf mit meinem Amt, durch mein Amt als Ministerpräsidentin. Es gibt für mich keinen Grund. Ich nutze jede Gelegenheit, die ich habe, um den Bürgern und Bürgerinnen klar zu machen, dass die AfD keine normale Partei ist und dass sie wirklich auch Vertreter hat, die sehr rechtspopulistisch argumentieren. Und ein Klima, das die AfD teilweise macht, möchten wir nicht im Landtag sehen. Deshalb werde ich alles dafür tun, dass die AfD nicht den Einzug hält in unser Parlament.
    Kapern: Aber nicht mit ihr diskutieren und das, obwohl es einen SPD-Vorsitzenden gibt, der die Parole ausgegeben hat, die SPD muss auch dahin gehen, wo es stinkt. Das gilt für alle SPD-Politiker, aber nicht für Regierungschefinnen?
    Dreyer: Es ist eine Frage, die man persönlich nur bewerten kann, und ich persönlich finde es eine Überbewertung, wenn eine Ministerpräsidentin sich in eine Runde setzt mit Vertretern, die nicht im Parlament vertreten sind, weder auf der Landtagsebene, noch auf der Bundestagsebene.
    Wenn man in einem Format jetzt abweicht von dieser alten Gepflogenheit, dann ist es umgekehrt mein gutes Recht, deutlich zu machen, dass ich dazu nicht bereit bin, und ich werde auf allen Ebenen überall diskutieren mit den Menschen darüber, warum ich persönlich die AfD ablehne, und ich hoffe, dass Bürger und Bürgerinnen einfach auch sehen, dass da teilweise auch Rattenfänger unterwegs sind, die man besser nicht wählt. Dafür werde ich arbeiten.
    Kapern: ... sagt Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Frau Dreyer, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage danke für das Interview.
    Dreyer: Wünsche ich Ihnen auch. Danke! - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.