Donnerstag, 28. März 2024

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Flüchtlingspolitik
"Wir schaffen es nicht"

Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl hat angesichts der Flüchtlingskrise eine Reform des Asylrechts verlangt. Die deutschen Regelungen seien nicht geeignet, den Zustrom zu bewältigen, sagte Uhl im Deutschlandfunk. Sie seien so angelegt, dass es durch Missbrauch zu Verzögerungen der Verfahren kommen könne.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.09.2015
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Bei einer "sich abzeichnenden Völkerwanderung" müsse man wieder zu ernsthaften Kontrollen an den EU-Außengrenzen zurückkehren, verlangte Uhl. Dies sei aber offenbar nicht gewollt. Uhl erneuerte seine Kritik an Bundeskanzlerin Merkel. Man dürfe den Völkern nicht zurufen "Wir schaffen das", wie es Merkel getan habe. Deutschland schaffe es in dieser Größenordung nicht, Flüchtlinge aufzunehmen. Man könne nicht die ganze Welt hereinlassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an einem Plan, um Bewerber, deren Asylantrag abgelehnt wurde, schneller abschieben zu können. Über Einzelheiten berichten Zeitungen. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise soll der Termin der Abschiebung künftig nicht angekündigt werden, um der Gefahr des Untertauchens vorzugreifen. Außerdem soll die Höchstdauer für eine Aussetzung der Abschiebung durch die Länder halbiert werden von sechs auf drei Monate. Unterdessen wählen die Menschen, die nicht mehr über Ungarn in den europäischen Norden gelangen können, den Weg über Kroatien.
    Unterdessen ist - wir haben es in den Nachrichten gehört - am Vormittag der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, von seinem Amt zurückgetreten. - Am Telefon ist Hans-Peter Uhl, langjähriger CSU-Innenpolitiker, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag.
    Hans-Peter Uhl: Grüß Sie Gott, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Uhl, beginnen wir mit dem Rücktritt. Hat der Richtige das Handtuch geworfen?
    Uhl: Nein. Herr Schmidt hat das Bestmögliche getan. Sein Nachfolger wird auch das Bestmögliche tun. Aber unser Asylrecht, das Asylverfahrensrecht ist nicht geeignet, einen Zustrom von einer Million Menschen in einem Jahr zu bewältigen. Unser Asylverfahrensrecht ist so angelegt, dass der Asylantragsteller ins Verfahren kommen muss, und es ist geeignet, durch Missbrauch zu Verzögerungen zu führen, und bei einer Million Menschen, die nur ein Interesse haben, hier bleiben zu können, die sind natürlich geneigt, mit ihren Anwälten das Verfahren zu verschleppen. Das heißt, eine Million neue Verfahren können nicht bewältigt werden.
    "Die EU-Außengrenzen müssen wieder ernsthaft kontrolliert werden"
    Heinemann: Das wissen wir nicht erst seit gestern. Wer hätte gehen sollen?
    Uhl: Es geht nicht um Personalrochaden; es geht um das System. Wenn die Grenzen geöffnet werden und unkontrolliert Tausende von Menschen ins Land hereingelassen werden, kann die Behörde, die dieses dann nach allen Regeln des Rechtsstaates bewältigen muss in einem Asylverfahrensrecht mit Klagemöglichkeiten, nichts mehr bewältigen. Egal ob der Präsident des BAMF Schmidt, Müller oder Schulze heißt. So geht's nicht.
    Heinemann: Zusammengefasst: Hans-Peter Uhl kritisiert Angela Merkel.
    Uhl: Ich habe von Anfang an kritisiert, bei einer sich abzeichnenden Völkerwanderung den Völkern zuzurufen, wir schaffen das. Wir schaffen es natürlich nicht, Völker dieser Welt in einer Größenordnung von Hunderttausenden innerhalb von wenigen Monaten aufzunehmen.
    Heinemann: "Länder halten de Maizière für planlos", titelt heute die "Süddeutsche Zeitung". Sie auch? - Ja oder nein?
    Uhl: Nein! Wenn Völker sich in Bewegung setzen, kann es keinen Plan geben. Da gibt es nur eins: Zurück zu dem, was wir verabredet haben. Das heißt, die Grenzkontrollen. Die EU-Außengrenzen müssen wieder ernsthaft kontrolliert werden, und das ist ja derzeit gar nicht mehr gewollt.
    Heinemann: Herr Uhl, geredet wird zurzeit viel. Beim letzten Flüchtlingsgipfel 2014 wurde bereits beschlossen, dass schneller über Asylanträge entschieden werden sollte, genau das, was Sie eben gesagt haben. Passiert ist nichts. Schläft diese Bundesregierung?
    Uhl: Die schläft nicht. Nur in unserem Asylsystem gibt es nur begrenzte Möglichkeiten der Beschleunigung. Das werden Sie in den nächsten Monaten sehen. Die kleinen Detailmaßnahmen verfahrenstechnischer Art, die wird man machen können, aber wenn es um eine Million Verfahren geht, stoßen Sie schnell an Ihre Grenzen. Sie können auch eine Behörde wie das BAMF nicht innerhalb von wenigen Monaten um tausend und nächstes Jahr noch mal um tausend Fachbeamte, Spezialisten erweitern. Das geht nicht!
    Heinemann: BAMF ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das kurz zur Erklärung.
    Uhl: Ja.
    "Wir können nicht die ganze Welt herein lassen"
    Heinemann: Sie haben gesagt, das System ist schlecht. Bei uns dauert es etwa 5,3 Monate, bis über einen Antrag entschieden wurde. Die Schweiz schafft das in zwei Wochen.
    Uhl: Ja. Die hat auch ein völlig anderes Recht als wir. Wir haben das subjektiv einklagbare Recht auf Asyl. Das heißt, jeder hat in seinem individuellen Einzelfall das Recht, vor Gericht zu gehen, und dieses muss im Einzelfall bearbeitet werden. Das geht in allen anderen Ländern anders.
    Heinemann: Schauen wir uns die politischen Folgen an. Grummeln, Schimpfen, Distanzieren - die "Bild"-Zeitung führt heute die Herrschaften Schäuble, Seehofer und Kauder an. Rückt die Union von der Kanzlerin ab? Sie ja auch.
    Uhl: Mir geht es nicht um Abrücken. Mir geht es um die Ordnung meiner Gedanken und die Hoffnung, dass auch die Führung ihre Gedanken ordnet. Noch einmal: Man kann bei einer sich abzeichnenden Völkerwanderung - zum Beispiel in Griechenland sind noch zwei Millionen Menschen jetzt schon aufhältig, die nur eins im Kopf haben, nach Deutschland zu kommen. In diesem Fall müssen wir wieder zu Grenzkontrollen kommen.
    Heinemann: Sind wir ja schon wieder.
    Uhl: Unter großem Lamento werden Dinge jetzt nachgeholt, die man ernsthaft schon hätte früher betreiben müssen. Wir können nicht die ganze Welt herein lassen und glauben, mit unserem Asylverfahrensrecht könnten wir das meistern.
    Heinemann: Profitiert Deutschland von Ungarns harter Linie?
    Uhl: Nein! Wir haben das Problem, dass Ungarn nach außen eine harte Linie vertritt, zuvor aber Hunderttausende durchgewunken hat und Österreich hat mitgemacht und bei uns sind sie gelandet.
    "Wenn es nur um finanzielle Mittel ginge, wäre das Problem einfach zu lösen"
    Heinemann: Schauen wir noch mal in die Krisenregion jetzt und sprechen den Außenpolitiker Hans-Peter Uhl an und hören zunächst allerdings noch mal den CDU-Europapolitiker Elmar Brok.
    Elmar Brok: "Die Fluchtwelle begann vor zweieinhalb Monaten in diesem Umfange aus dem Mittleren Osten, weil beispielsweise die Nahrungsmittelversorgung um 40 Prozent abgebaut wurde und weil kein Geld zur Verfügung stand. Das ist ein Skandal, dass Europa, Amerika, Saudi-Arabien, Katar Gelder zurückgeschraubt haben und hier nicht mehr Geld den Flüchtlingen gegeben wird. Ich hoffe, dass jetzt endlich die Europäer, die Amerikaner und die Russen mit Teheran, Riad und Ankara reden, dass in der Region man gemeinsam vorgeht, um die Ursachen zu bekämpfen. Das ist doch die entscheidende Frage. Alles andere, was wir diskutieren, ist ein Herumkurieren an den Symptomen und das ist nicht die Lösung."
    Heinemann: Herr Uhl, wenn man in den Flüchtlingslagern die Hilfen für Lebensmittel kürzt, war die Folge nicht absehbar? Hätte man sich nicht schon in den Terminkalender eintragen können, wann sich diese Menschen auf den Weg begeben würden?
    Uhl: Was Elmar Brok anspricht, ist wahr und richtig, aber natürlich nicht der einzige Grund. Ich war in einem Lager mit Außenminister Steinmeier an der Grenze zu Syrien. Dort leben 84.000 Menschen in Baracken und in Zelten. Das UNHCR bemüht sich nach Kräften, die zu versorgen. Wenn es nur darum ginge, diese Mittel wieder zu erhöhen, dass die Essensrationen wieder ausreichend vorhanden sind, und wir sonst nichts tun müssten, dann wäre das Problem einfach zu lösen. Es bleibt dabei, das tun wir natürlich, wir haben die Mittel um 400 Millionen erhöht, das wird dann zum UNHCR kommen, die Essensrationen werden wieder ausbezahlt und ausgegeben werden. Aber der Flüchtlingsstrom wird dennoch anhalten.
    "Wer da mit wem gegen wen kämpft, ist unübersichtlich geworden"
    Heinemann: Solange keine politische Lösung gefunden ist. - Ist der Massenmörder Assad jetzt wieder politisch gesellschaftsfähig?
    Uhl: Der ist natürlich nicht gesellschaftsfähig. Aber wir müssen alles daran setzen, um den Konflikt in Syrien zu begrenzen. Das ist leichter gesagt...
    Heinemann: Mit Assad?
    Uhl: Man wird auch mit Assad reden müssen und eine Lösung finden müssen, wie man ihn dazu bringt, seine Position aufzugeben. Es gibt niemanden, den man außen vor lassen kann, den Iran, Saudi-Arabien, Russland, USA und die anderen Nachbarstaaten, insbesondere auch die Türkei. Mit jedem muss geredet werden, um diesen Konflikt zu beenden. Nur dieses wird noch lange, leider lange dauern, und bis dahin brauchen wir Lösungen, um die Völkerwanderung zu stoppen.
    Heinemann: Sie haben Russland genannt. Erledigt Putin jetzt für die USA und für die Europäer die Drecksarbeit?
    Uhl: Wer da mit wem gegen wen kämpft, bombardiert und entsetzliche Dinge macht, ist so unübersichtlich geworden, dass ich keine Schuldigen mehr einzeln feststellen möchte. Alle gehören an einen Tisch, um den Konflikt zu beenden.
    Heinemann: Der Außenpolitiker Hans-Peter Uhl, CSU-Bundestagsabgeordneter. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Uhl: Bitte schön, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.