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Flüchtlingspolitik zeigt "Versagen der Europäischen Union"

Der SPÖ-Politiker Hannes Swoboda will den flüchtenden Menschen aus Nordafrika und dem Erst-Aufnahmeland Italien helfen: Denn die Union habe über Jahre hinweg in Flüchtlingsfragen "absolut" versagt.

13.04.2011
    Tobias Armbrüster: Mitgehört hat der österreichische Politiker Hannes Swoboda, er ist der stellvertretende Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen!

    Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Swoboda, sind Sie nach diesem Interview jetzt zuversichtlich, dass Österreich die Grenzen zu Italien offen halten kann?

    Swoboda: Ja, ich hoffe schon. Herr Rocco Buttiglione, den ich ja kenne aus seiner verfehlten Kandidatur für die Europäische Kommission, hat ja hier viel vernünftiger gesprochen als Berlusconi. Man muss ja dazu sagen, Berlusconi hat in den vergangenen Monaten nie etwas von Europa gehalten. Wenn Sie seine Interviews lesen, kam Europa gar nicht vor. Nur jetzt plötzlich muss Europa helfen, das ist schon eine sehr groteske Haltung des italienischen Ministerpräsidenten, und ich hoffe, dass er jetzt ein bisschen auch klein beigibt.

    Armbrüster: Aber hat Herr Buttiglione nicht auch recht, wenn er sagt, dass wir uns gerade in Italien auf massive Flüchtlingsströme einstellen müssen und uns deshalb über eine Strategie verständigen sollten?

    Swoboda: Ob es eine massive Flüchtlingsbewegung gibt, das wissen wir nicht, aber dass wir eine gemeinsame Flüchtlingspolitik brauchen ...

    Armbrüster: Na ja, ich meine, es sind Tausende, Zehntausende von Flüchtlingen angekommen auf Lampedusa. Das kann man, glaube ich, nicht abstreiten.

    Swoboda: Nein, aber ob es eine gemeinsame Flüchtlingspolitik geben muss, da bin ich absolut dafür. Das ist ein Versagen der Europäischen Union seit vielen Jahren. Ich habe das schon gefordert, als viele, viele Flüchtlinge aus dem Balkan nach Österreich, nach Deutschland, nach Schweden kamen. Das ist ein absolutes Versagen, dass wir nicht darauf vorbereitet sind, und da müssen wir natürlich Italien helfen, da bin ich absolut dafür, denn was in Lampedusa passiert, kann einer lokalen Bevölkerung ja nicht zugemutet werden. Aber die Hilfe besteht nicht, indem man sie einfach nur verteilt, vor allem, weil es ja hier im Wesentlichen nicht um Asylbewerber geht, sondern die Hilfe müsste darin bestehen, dass wir in Italien und in einem geringen Ausmaß auch in anderen Ländern den Leuten eine vorübergehende Unterkunft geben, dass wir ihnen ein bisschen was an Ausbildung weitergeben. Es hat keinen Sinn, dass wir dann Menschen hier ohne Beschäftigung, ohne Ausbildung irgendwo herumwandern lassen. Da muss es eine solidarische gemeinsame Flüchtlingspolitik geben, um Schengen aufrecht zu erhalten.

    Armbrüster: Aber warum soll das nur in Italien geschehen?

    Swoboda: Ich habe nicht gesagt, dass das nur in Italien geschehen soll, aber das ist das erste Land, das die Leute aufnimmt, und weil natürlich dann auch die Gewissheit ist, dass sie relativ schnell wieder zurückkehren, so weit es eben nicht berechtigte Asylbewerber sind. Und ich meine, Sie haben ja selber erwähnt, Deutschland hat viele Flüchtlinge aufgenommen. In Relation zur Bevölkerung sind ja viele andere Länder, die jetzt nicht so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, viel aufnahmebereiter gewesen. Wir müssen schauen, dass wir den Ländern, zu denen die Flüchtlinge primär kommen, helfen. Wenn es dann eine gewisse Zahl übersteigt, bin ich durchaus dafür, dass auch in anderen Ländern solche Flüchtlinge unterkommen können. Aber noch mals: es geht ja hier nicht im wesentlichen um Asylbewerber, sondern es geht um Leute, die vorübergehend in unseren Ländern Aufnahme finden und dann wieder zurückkehren können und zurückkehren sollen, um dort auch am Wirtschaftsaufbau zu helfen. Deshalb sollten wir ihnen auch ein bisschen eine Ausbildung geben, damit sie auch eine Beschäftigung haben und nicht hier beschäftigungslos in unseren Ländern sich aufhalten.

    Armbrüster: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, Sie wollen, dass diese Ausbildung und diese Beschäftigung, dass das vor allem in Italien geschieht und dass möglicherweise die EU dafür finanzielle Unterstützung leistet?

    Swoboda: Ja. Ja, das ist das Ziel.

    Armbrüster: Was spricht denn dagegen, diese Leute auf andere europäische Staaten zu verteilen?

    Swoboda: Noch einmal: es macht ja keinen Sinn, diese Leute herumzuschieben. Aber soweit es um Zahlen geht, um Verhältnisse geht, die das Verhältnis in anderen Ländern nicht übersteigen, soll das in Italien stattfinden. Wenn es zu massiven Flüchtlingsströmen kommen würde, wo dann das Verhältnis Flüchtlinge zur Bevölkerung ein höheres wäre als in Deutschland, in Österreich und in Frankreich etc., sollen sie natürlich auch dort aufgebracht werden. Aber das sind ja keine Dinge, die man irgendwo herumschiebt, sondern es sind Menschen, denen man vor Ort helfen soll, dort wo sie hingekommen sind. Nur wenn es dann gewisse Größenordnungen übersteigt, dann sollen alle helfen, auch in den eigenen Ländern. Aber die Hilfe muss da sein! Die Organisation fehlt, um diese Hilfe zu gewährleisten.

    Armbrüster: War es hilfreich, Herr Swoboda, dass österreichische und deutsche Politiker in den vergangenen Tagen mit Grenzkontrollen gedroht haben?

    Swoboda: Das war vielleicht hilfreich, um Herrn Berlusconi dazu zu bewegen, diese vorübergehenden Aufenthaltsgenehmigungen nicht zu geben, aber ich würde meinen, dass man, wenn irgendwie möglich, davon Abstand nehmen soll. Es hat vielleicht manche sehr rechtsextreme Gemüter, die sofort Schengen aufheben wollten, ein bisschen beruhigt, aber ich glaube, es wäre hilfreicher gewesen, von vornherein ein solidarisches Konzept auszuarbeiten und nicht mit Drohungen und Gegendrohungen zu arbeiten.

    Armbrüster: Zeigt dieser Streit, dass der Umgangston in der Europäischen Union langsam rauer wird?

    Swoboda: Schauen Sie, wir haben immer aus Krisen in der Vergangenheit gelernt. Ich sehe jetzt momentan keinen Lernprozess, das ist das Traurige, nämlich der Lernprozess aus dieser Krise, auch der Lernprozess aus der Wirtschaftskrise ist ja ein sehr geringer, und das bedroht die Europäische Union, dass wir nicht aus den Krisen, die nun mal da sind, lernen, weil vielleicht auch die Persönlichkeiten fehlen, die lernen wollen.

    Armbrüster: Hannes Swoboda war das, der stellvertretende Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament. Besten Dank für das Gespräch, Herr Swoboda.

    Swoboda: Alles Gute!



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    Ein Boot mit Flüchtlingen aus Nordafrika erreicht die italienische Insel Lampedusa. (AP)