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Flughafen BER
Krach um den Schallschutz

Tausenden Anwohnern des künftigen Berliner Großflughafens graust es vor dem Tag der Eröffnung. Denn von dem vor zehn Jahren gerichtlich angeordneten Schallschutz für ihre Häuser ist bis heute kaum etwas zu sehen. Sie fühlen sich von der Landesregierung verraten und verkauft.

Von Vanja Budde | 07.04.2016
    Ein Flugzeug hinterlässt Kondesstreifen am blauen Himmel. Außerdem ist ein Vogel zu sehen.
    Die Ortschaften rund um den BER sind künftig stark vom Fluglärm betroffen. (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Schon heute ist es am Himmel über Blankenfelde-Mahlow manchmal ziemlich laut. Die Gemeinde liegt quasi in Sichtweite zum Flughafen Schönefeld, am südlichen Stadtrand von Berlin. Doch die derzeitigen Starts und Landungen seien noch gar nichts, meint Alexander Fröhlich, die rechte Hand des Bürgermeisters.
    "2014 hatten wir 65.000 Flugbewegungen und je nachdem, wann er in Betrieb geht, wahrscheinlich 270-, 280-, 290.000 im Jahr der Inbetriebnahme, also ein sprunghafter Anstieg der Flugbewegungen quasi über Nacht. Das wird natürlich für die Menschen hier in Blankenfelde deutlich spürbar sein."
    Die Großbaustelle des BER liegt gleich neben Schönefeld, unmittelbar vor den Toren von Berlin, im dicht besiedelten Speckgürtel der Hauptstadt. Nicht nur Pleiten, Pech und Pannen begleiten Deutschlands peinlichste Baustelle von Anbeginn – auch zahllose Gerichtsprozesse. Die Anwohner protestierten gegen Flugrouten, sie erstritten ein Nachtflugverbot am BER und schon vor zehn Jahren ein Recht auf Schallschutz. Doch passiert ist bislang wenig.
    "Wir haben nach wie vor einen Umsetzungsstand beim Schallschutzprogramm von nahezu Null. Es gibt 24.000 anspruchsberechtigte Objekte, gerade mal an wenigen Hundert ist es bisher wirklich umgesetzt. Es gibt ganz viele Konflikte, die verhindern, dass es umgesetzt wird. Da sind viele Leute schon sehr frustriert, weil die sich teilweise schon seit zehn Jahren mit der Flughafengesellschaft herumschlagen, an die Aufsichtsbehörde schreiben. Und es geht nichts voran."
    Aktenordner füllen die Regale
    Anderthalb Meter Aktenordner hat zum Beispiel Stefan Gloß im Regal stehen: Seine gesammelte Korrespondenz mit der Flughafengesellschaft, seit der Bauingenieur in Rente 2009 den ersten Antrag auf Schallschutz gestellt hat. Der 66-Jährige wohnt seit Jahrzehnten in einem Einfamilienhaus am idyllisch grünen Rand von Blankenfelde-Mahlow, direkt am Wald. Und nur etwa vier Kilometer vom BER entfernt. 125 Quadratmeter, fünf Zimmer, ausgebautes Dachgeschoss. Letzteres ist nicht schutzwürdig, meint die Flughafengesellschaft, weil zwei Zentimeter Raumhöhe fehlen: Verstoß gegen die brandenburgische Bauordnung, die es zu DDR-Zeiten aber noch gar nicht gab.
    "Der Flughafen versucht, hier das Bauordnungsamt zu spielen und selbst Dinge zu entscheiden, die es ihm überhaupt nicht zusteht zu entscheiden. Der Flughafen hat für alles Geld, nur nicht für die Betroffenen, an denen wird gespart, wo es nur geht."
    140 Millionen Euro hatte die Flughafengesellschaft anfangs für den Schallschutz eingeplant. Mittlerweile sind die geschätzten Kosten auf 730 Millionen gestiegen. Flughafenchef Karsten Mühlenfeld weist den Vorwurf zurück, dass darum mit Eifer und Tricks möglichst viele Ansprüche zurückgewiesen werden.
    "Also ich bin immer wieder verwundert über solche Aussagen, ja, und auch, muss ich ehrlich sagen, verstört. Meine Leute sind halt Ingenieure, ganz trockene Ingenieure, die einfach fest nach den Regeln arbeiten. Die Regeln gefallen natürlich nicht allen."
    Anwohner machen schlechte Erfahrungen
    Dass Wohnräume nicht als solche anerkannt werden, damit die Flughafengesellschaft sich den Schallschutz sparen kann – diese Erfahrung machten tausende Anwohner, hält Christine Dorn dagegen. Die Vorsitzende des Bürgervereins Brandenburg-Berlin berät lärmgefährdete Anwohner, die sich im Dickicht der Schallschutzverordnungen verirrt haben. Auf Hilfe von ihrer Landesregierung dürften die nämlich nicht hoffen, meint Dorn: Brandenburg ist neben Berlin und dem Bund selber Gesellschafter des BER.
    "Und hier haben wir eine extrem unglückliche und unselige Verquickung der Aufsichtsrolle der Behörde und der Anteilseignerrolle: Das Land Brandenburg hat einen finanziellen Nutzen, wenn die Bürger beim Schallschutz über den Tisch gezogen werden."
    Mit der Behörde ist das SPD-geführte Infrastrukturministerium in Potsdam gemeint. Mit den Vorwürfen konfrontiert, sagt dessen Sprecher Steffen Streu:
    "Also es ist ganz klar, dass die Flughafengesellschaft für die Umsetzung des Schallschutzprogrammes zuständig ist. Aber es hat sich gezeigt, dass der Beratungsbedarf der Anwohner enorm ist.
    Deshalb haben wir reagiert und haben ein Beratungszentrum eingerichtet. Und da haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich von unabhängigen Experten beraten zu lassen."
    Ministerium zählt unzählige Beschwerden
    Doch dort wendet sich kaum jemand hin. 20 bis 30 Anfragen oder Beschwerden zählt das Ministerium im Monat – bei insgesamt 24.000 Schallschutz-Berechtigten. Kein Wunder, meint Stefan Gloß, der frühere Bauingenieur aus Blankenfelde-Mahlow.
    "Das Ministerium spielt voll mit. Die lassen den Flughafen machen, wie er will. Die sind gar nicht daran interessiert, einzugreifen. Aus dem einfachen Grund: Wenn sie eingreifen würden, und würden den Leuten helfen ihr Recht zu bekommen, dann wird es noch teurer, dann wird’s immer teurer, immer teurer, immer teurer."
    Stefan Gloß hängt an seinem Haus, seine Kinder sind hier aufgewachsen, heute spielen die Enkel im Garten. Doch wenn der BER eröffnet wird, dann hält ihn hier nichts mehr:
    "Blankenfelde wird in Deutschland die am meisten schallbelastete Gemeinde, noch vor dem Bereich in Frankfurt am Main. Es wird abartig laut und es wird abartig dreckig und es wird abartig gesundheitsschädigend. Ich will weg, weg, weg dann nur noch."