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Flugsicherung
Und immer wird irgendwo gestreikt

Derzeit haben viele Flüge Verspätung. Die Fluglinien machen dafür unter anderem den "Stau am Himmel" verantwortlich und zeigen mit dem Finger auf die europäische Flugsicherung. Die versinke im nationalen Regulierungschaos und werde durch Streiks zu oft beeinträchtigt. Doch es gibt auch andere Gründe.

Von Brigitte Scholtes | 23.07.2018
    Fluglotsen bei der Arbeit
    Fluglotsen bei der Arbeit (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Es herrscht Hochbetrieb im Flugsicherungscenter, die Fluglotsen kommen mit ihrer Arbeit kaum nach. Allein im deutschen Luftraum hat die DFS, die Deutsche Flugsicherung, im ersten Halbjahr knapp 1,6 Millionen Flüge kontrolliert – 2018 wird wahrscheinlich beim Verkehrsaufkommen das Rekordjahr 2017 überflügeln. Denn das zweite Halbjahr ist normalerweise verkehrsreicher als die erste Jahreshälfte.
    Der Stau am Himmel ist ein Grund für die vielen Verspätungen, das ärgert die Fluggesellschaften. Einige von ihnen, vor allem Ryanair und die britisch-spanische IAG, zeigen deshalb mit dem Finger auf die Fluglotsen: Die seien in Europa zu häufig im Streik, klagen sie in diesen Wochen immer wieder. Ist das ein gerechtfertigter Vorwurf? Nein, wehrt sich Matthias Maas, Vorsitzender der Gewerkschaft der Fluglotsen:
    "Das Thema Streik oder das andere Thema, was von den Fluggesellschaften recht häufig für Verspätungen genommen wird, ist das Thema Wetter. Das sind zwei Gründe, die entbinden nachher die Fluggesellschaft von einer Entschädigung gegenüber den Passagieren. Das ist natürlich recht einfach, wenn ich sage, es sind Streiks in Frankreich, es sind Streiks in Spanien, deshalb haben wir hier so viele Flugausfälle oder so viele Flugverspätungen. Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass zum Beispiel alleine in Köln-Bonn dieses Jahr schon weit über 500 Flüge ausgefallen sind, und das alles mit einem Streik zu begründen, der nicht in Deutschland stattgefunden hat – für mich unbegreiflich."
    Höheres Verkehrsaufkommen und zugleich weniger Lotsen
    Die Fluglotsen in anderen Ländern können zwar auch aus politischen Gründen in den Ausstand treten. Das geht in Deutschland nicht, da gibt es also noch unterschiedliche Vorschriften. Aber es gibt tiefer liegende Gründe für die Verspätungen. Denn wesentliche Bereiche sind seit 2012 in Europa einheitlich reguliert. In Brüssel werden mittelfristige Prognosen für die Entwicklung des Luftverkehrs erstellt und auf deren Basis dann Vorgaben für die nationalen Flugsicherungen erarbeitet, erklärt Kristina Kelek, Sprecherin der Deutschen Flugsicherung DFS:
    "Es gibt von der EU Regulierung seit 2012 so genannte Regulierungsperioden, da werden bestimmte Verkehrsprognosen erstellt und demnach auch unsere Kosten eingeplant. Wir bekommen bestimmte Vorgaben, wie hoch wir auch unsere Kosten halten dürfen. D.h, wir müssen in verschiedenen Bereichen die Kosten etwas nach unten drücken, und das kann natürlich auch die Personalplanung betreffen, weil keiner möchte zu viel ausgebildete Fluglotsen zum Beispiel, die dann eben die Kosten eben sehr in die Höhe treiben würden."
    Und da hat Brüssel für den aktuellen Zeitraum zwischen 2016 und 2019 ein zu niedriges Verkehrsaufkommen kalkuliert. Der Kostendruck sei aber auch durch den Einfluss der Fluggesellschaften gekommen, vermutet GdF-Chef Maas:
    "Genau die Leute, die Lobbyisten, die uns die letzten Jahre in diesen Sparzwang getrieben haben, die immer gesagt haben, ihr seid zu teuer, das sind jetzt genau die gleichen Leute, die momentan fast tagtäglich über Medien oder sonstige Kanäle schreien: ‚Ihr habt zu wenig Kapazität.‘ D.h., die haben inzwischen erkannt, dass ihre Flugzeuge nicht mehr pünktlich fliegen können, weil zu wenig Personal bei der Flugsicherung, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europaweit ist. Scheinbar wird jetzt akzeptiert, dass mehr ausgebildet wird. Dadurch werden wahrscheinlich die Flugsicherungsgebühren wieder steigen, aber dafür fliegen dann die Flieger demnächst wieder etwas pünktlicher."
    Neue Fluglotsen rekrutieren dauert
    Das aber dürfte noch einige Zeit dauern. Denn der Fluglotsenmangel lässt sich so schnell nicht beheben, sagt DFS-Sprecherin Kelek:
    "Es ist natürlich jetzt so, dass wir alle Maßnahmen ergreifen müssen, um mehr Personal zu rekrutieren. Aber das Problem dabei ist, das geht nicht über Nacht. Wir brauchen also jetzt vielleicht 3, 4 Jahre bis wir die entsprechenden Fluglotsen rekrutiert haben, ausgebildet haben und sie fertig eingesetzt werden können an ihren Arbeitsplätzen."
    Das hätte man schneller sehen müssen, moniert Gewerkschaftsführer Maas:
    "Jetzt hat man es natürlich erkannt, jetzt wo alle klagen, jetzt sind die Probleme groß. Jetzt will man pro Jahr wieder bis ans Limit der Ausbildungskapazität hochfahren. Aber das muss man nicht nur dieses Jahr machen, das muss man Minimum vier, fünf, sechs Jahre lang machen, um überhaupt das jetzige Minus auszugleichen."
    Eine weitere Schwierigkeit: Die Ausbildung zum Fluglotsen ist nicht nur langwierig. Sie ist auch sehr individuell, sagt Kristina Kelek:
    "Ein Fluglotse ist speziell auf ein Luftraumsegment, wir sagen ‚Sektor‘, ausgebildet und kann auch nur in diesem einen Luftraum eingesetzt werden. Wir versuchen jetzt, im Zuge dieser hohen Anforderungen, dass wir Fluglotsen ausbilden, die man vielleicht etwas flexibler einsetzen könnte."
    Die Passagiere müssen also voraussichtlich weiter mit Verspätungen rechnen. Aber sie sollten sich nicht sorgen, meint die DFS-Sprecherin.
    "Sicherheit geht vor Kapazität. Wir würden keine Maßnahmen ergreifen im Moment, die die Sicherheit tangieren würden."