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Folgen der Corona-Pandemie
Gastgewerbe in historischer Krise

Die staatlichen Hilfen in der Corona-Pandemie haben ein großes Kneipensterben in Deutschland bislang verhindert. Aber das könnte sich in den nächsten Monaten ändern, wenn etliche Hilfsprogramme auslaufen, warnt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband.

Von Sebastian Engelbrecht | 08.09.2020
Die Altstadt von Lüneburg, Platz Stintmarkt am Fluss Ilmenau, historisches Hafenviertel, viele Restaurants, Kneipen, Cafés, Niedersachsen, Deutschland,
Ausflugsrestaurants wurden nicht ganz so heftig von der Krise erfasst (Jochen Tack)
Fast zwei Drittel der Gastwirte in Deutschland, 62 Prozent, sehen sich durch die Coronakrise in ihrer Existenz gefährdet. Bis Ende April waren eine Million Beschäftigte in Kurzarbeit. Im ersten Halbjahr 2020 sank der Umsatz in der Branche um 39 Prozent. Diese Zahlen präsentierte der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, Dehoga, Guido Zöllick.
"Wenn nicht innerhalb der nächsten vier, fünf Monate eine neue Normalität eintritt, dann wird es sich möglicherweise nicht vermeiden lassen, dass der eine oder andere Unternehmer auch mit den in der Zwischenzeit erwirkten Hilfen und Sonderkrediten und neuen Krediten, die er aufgenommen hat, an die Grenzen des Machbaren kommt und sein Unternehmen abschmelzen wird."
Umsätze im Sommer 42 Prozent unter dem Vorjahr
"Abschmelzen" bedeutet: Mitarbeiter entlassen, oder Insolvenz anmelden. Der Staat hilft: Er zahlt Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen und senkte die Mehrwertsteuer für Speisen auf sieben Prozent. Auch deshalb blieb eine Pleitewelle bislang aus. Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga-Bundesverbandes, sieht sie dennoch kommen.
"Ich denke, mit Auslaufen der Sonderregelung, der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht aufgrund von Zahlungsunfähigkeit – das läuft per 30.9. aus – wird die dramatische Folge der ganzen COVID-19-Verordnungsgebung und die Betroffenheit der Branche spürbar zu sehen sein."
Von der größten Krise des Gastgewerbes seit dem Zweiten Weltkrieg ist bei der Dehoga die Rede. Auch in den Sommermonaten Juli und August lagen die Umsätze 42 Prozent unter dem Vorjahr, so das Ergebnis einer Dehoga-Umfrage unter 5.600 Gastwirten und Hoteliers. Während Urlaubshotels und Ausflugsrestaurants nicht ganz so heftig von der Krise erfasst wurden, leiden Eigentümer und Angestellte von Bars, Kneipen und Restaurants in den Städten besonders stark unter der Krise.
Digitalisierung kommt schneller voran
Dehoga-Präsident Zöllick sieht allerdings auch Positives. Die Digitalisierung komme nun auch im Gastgewerbe schneller voran.
"Per QR-Code kann man seine persönlichen Daten abscannen, es sind neue Möglichkeiten der Bestellungsaufnahme, der Bestellung generell in den Betrieben eingeführt worden, in den Hotels ist das ganze Thema berührungsloses Zahlen, berührungsloses Reservieren, Einchecken, Auschecken auf der Tagesordnung."
Und mancher Gastwirt kam in der Krise auf neue Ideen. Zum Beispiel Peter Brune, Geschäftsführer des Parkhotels und Restaurants Schloss Anholt im Münsterland. Statt Essen am Tisch verkauft er Ausflugsgästen gut gefüllte Picknickkörbe.
"Wir haben uns Gedanken gemacht: Was ist jetzt in der Zeit ein passendes Produkt, was spricht die Gäste an, die noch ein bisschen vorsichtiger sind, die sich vielleicht noch nicht ins Restaurant trauen, und dann haben wir gedacht, ist so ein Picknick eine ganz gute Variante noch – und haben das eben auch ein bisschen aufwendiger eben auch gestaltet. Das ist schon ein kleiner Ersatz für einen Restaurantbesuch."
Dankbar sind die Gastwirte den Kommunen, die ihnen zusätzliche Flächen im Freien für ihre Gäste zubilligen – ohne bürokratische Hürden. Und sie hoffen auf tolerante Klimaaktivistinnen, wenn sie im Herbst die Heizpilze auf die Terrasse stellen.