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Folgen des Junihochwassers
Zwischen neu anfangen und aufgeben

Passau erlebte im Juni 2013 das schlimmste Hochwasser seit Menschengedenken, zur gleichen Zeit stand auch der Elbe-Havel-Winkel meterhoch unter Wasser. Beide Regionen kämpfen noch immer mit den Folgen der Jahrhundertkatastrophe - und versuchen Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Von Christoph Richter und Michael Watzke | 03.01.2014
    Die Glocken des Passauer Doms in der Vorweihnachtszeit. Auf den ersten Blick scheint die niederbayerische Dreiflüsse-Stadt wieder ganz die alte zu sein. Auf dem Weihnachtsmarkt drängeln sich die Besucher, und Straßenkünstler Jervo aus Ungarn spielt mit frierenden Fingern für die Touristen. Wer aber genauer hinsieht, der entdeckt an den Mauern der Geschäfte hinter Jervo noch die Spuren dessen, was der Ungar nur mit einem Wort beschreibt:
    Die Jahrhundert-Katastrophe von Passau. Das schlimmste Hochwasser seit Menschengedenken. An den Außenmauern des Rathauses an der unteren Donaulände überragt die Markierung des Höchststandes vom 3. Juni 2013 alle anderen Einträge aus den letzten fünf Jahrhunderten. Mit krakeliger Schrift hat ein Schlauchbootfahrer bei 12,89 Meter eine Kerbe ins Mauerwerk geritzt. Urlauberin Anna Meier reckt den Hals nach oben. "Man kann sich gar nicht vorstellen, wo so viel Wasser überhaupt herkommt. Und ganz schlimm finde ich, dass man nicht weiß, wann es wiederkommt."
    Erst vor wenigen Wochen sind die unteren Säle des Passauer Rathauses vollends getrocknet – ein halbes Jahr nach dem Hochwasser. Zwei Handwerker verputzen gerade die historischen Wände. Zwei Stockwerke darüber sitzt Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper in seinem Büro und zieht eine vorläufige Bilanz. Die Schäden in Passau beziffert er auf rund 190 Millionen Euro. "Schauen Sie, wir haben ja zur gegenwärtigen Stunde ein Volumen von 40 Millionen Euro an Hilfsgeldern bereitgestellt und bewilligt. Wir sind aber erst sechs Monate danach! 40 Millionen auf sechs Monate – da sieht man, in welchen Dimensionen wir uns hier bewegen."
    Geschätzte 190 Millionen Euro Schaden - allein in Passau
    Die Wiederaufbauprogramme finanzieren zu jeweils 50 Prozent der Freistaat Bayern und der Bund. In der Regel bekommen die Betroffenen 80 Prozent ihrer Schäden vom Staat erstattet, 20 Prozent müssen sie selbst beitragen oder durch Versicherungsleistungen finanzieren. Oder durch private Spenden, deren Verteilung die Kommune vornimmt. "Wir haben in der Stadt Passau etwa drei Millionen Euro zur Verfügung. Wir haben schon im Juli dieses Jahres schnell begonnen, die erste Tranche den privaten Haushalten, die um alles gekommen sind – von Geschirr über Möbel bis zu Kleidungsstücken – aus diesen Spendengeldern Gelder zur Verfügung zu stellen. Wir halten uns aber noch einen Teil der Spendengelder zurück, weil wir jetzt erst mal sehen wollen, wo nach der Abfinanzierung der staatlichen Hilfsprogramme noch Lücken sind. Und da wollen wir dann mit den Spendengeldern im Detail helfen."
    Ein solcher Härtefall steht hinter einem behelfsmäßigen Tresen in einem Ladenlokal im Unteren Sand, einer kleinen Gasse am Passauer Innufer. Geschäftsinhaber Harry Eggenberger verkauft auf einer Art Flohmarkt Decken, Gardinen und Kerzenständer. Alles, was er vor dem Hochwasser hat retten können. Erst vor vier Wochen hat er seinen Einrichtungsladen wieder eröffnet. "Aufgemacht in kleinem Maße. Nur in behelfsmäßigen Räumen. Aber es ist alles noch im Rohbauzustand."
    Verkaufen auf einer Baustelle. In dem denkmalgeschützten Handelshaus mit den wunderschönen Erkern surren seit sechs Monaten die Heizlüfter. Überall ist der Putz abgeschlagen. Täglich kontrolliert Eggenberger die Feuchtigkeitsmessgeräte. Die Werte sind: "Noch nicht gut. Vorige Woche war wieder ein Herr von der Trocknungsfirma da. Der hat alles nachgemessen. Teilweise, an den oberen Teilen der Wand, ist das Mauerwerk trocken. Unten ist es immer noch nass. Und da putzt mir keine Firma drauf, weil die ja die Gewährleistung haben."
    Bregrenzungspfosten in Schönfeld (Sachsen-Anhalt)
    Eine Landstraße bei Schönfeld, Sachsen-Anhalt, im Juni 2013 (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    Eggenberger ist schon froh, überhaupt Handwerker zu bekommen. Maurer sind derzeit in Passau und Umgebung auf Monate ausgebucht. Eggenberger ist gelernter Schreiner. Aber wenn er staatliche Hilfe in Anspruch nehmen will, darf er die Handwerksarbeiten nicht einfach selbst ausführen. Derzeit braucht der Passauer Geschäftsmann vor allem Geduld. "Wir müssen auf jeden Fall diese Hochwasserschäden beseitigen. Und das dauert mindestens bis nächstes Jahr. Ostern und darüber hinweg."
    Auf mehrere hunderttausend Euro schätzt Eggenberger seinen Schaden. Vieles ersetzt ihm der Staat. Die EU-Kommission hat erst Ende Dezember Fluthilfezahlungen auch an Unternehmen bewilligt. Aber seinen Verdienstausfall müssen Eggenberger und seine Frau selbst tragen. Weitermachen wollen die beiden nur: "Wenn wir das finanziell aushalten können. Wir haben ja jetzt fünf Monate keine Einnahmen gehabt. Nix. Null. Und jetzt, das kann man nicht als Einnahme rechnen, wenn man einen Flohmarkt macht. Wenn wir das finanziell aushalten, fangen wir wieder an. Und wenn nicht, hören wir auf."
    Dabei hat Eggenberger noch Glück im Unglück gehabt. In seinen überfluteten Verkaufsräumen gab es zumindest keine Ölschäden. Anders bei Monika Wellner. Das hübsche Wohnhaus der Niederbayerin steht stromaufwärts bei Deggendorf an der Donau. Das Sommerhochwasser hat das Gebäude bis in den ersten Stock überflutet. Dabei liefen die Öltanks im Keller aus. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist das Mauerwerk endlich trocken. Monika Wellner präsentiert erleichtert die letzten Baufortschritte. "Das ist der neue Estrich. Der ist jetzt seit einigen Tagen da. Da war komplett alles heraußen. Bis auf die Betonplatte ist alles herausgerissen worden. Wände und Decken haben alle raus müssen. Da war der Schimmel zentimeterdick dran. Man hat’s zwar mit Chemikalien abwaschen können, aber es ist im Holz drinnen. Bei jedem Fenster, das rausgerissen wurde, hat man’s gesehen. Wie das gerochen hat, das war ganz, ganz schlimm. Richtig modrig, ölig. Ganz furchtbar."
    In Passau greifen die Behörden hart durch
    Die härteste Prüfung steht Monika Wellner noch bevor. In den nächsten Wochen will die Baufirma messen, ob sich in der Raumluft noch Öl- oder Schimmelspuren finden lassen. In der Nachbarschaft mussten einige Häuser abgerissen werden, weil es gesundheitsgefährdend gewesen wäre, weiter darin zu wohnen.
    Auslaufende Öltanks haben überall an der Donau immense Schäden an Gebäuden und in der Natur verursacht. In Passau greifen die Behörden nun hart durch. In der hochwasser-gefährdeten Innenstadt dürfen Hauseigentümer keine Ölheizungen mehr einbauen. Und wer noch eine alte Ölheizung betreibt, erklärt Stadtwerkechef Gottfried Weindler: "Der muss im Prinzip von einem Gutachter den Nachweis für die Stadt Passau erbringen, dass seine Heizölanlage und die Öltanks hochwassersicher, also abgesichert sind. Dass sie gegen Umkippen geschützt sind und dass im Katastrophenfall kein Öl auslaufen kann."
    Die Stadtwerke Passau haben in der Innenstadt bereits neue Gasleitungen in einer Länge von zwei Kilometern verlegt. Wer auf Gas umsteigt, erhält einen Zuschuss von der Stadt, erklärt OB Jürgen Dupper, SPD: "Ein jeder ist klug, der jetzt im Zuge der Hochwassersanierung auch seine Heizung gleich auf Gas umstellt. Das machen auch die meisten Menschen in Passau. Und überall dort, wo das noch nicht passiert, versuchen wir das mit Überredungskunst zu bewerkstelligen."
    Die Stadt Passau betont, man habe aus dem Jahrhundert-Hochwasser im Juni viele Lehren gezogen. Beispielsweise gebe es jetzt ein Lautsprecher-Warnsystem in der Stadt, mit dem auch nach einem Stromausfall alle Bewohner über erwartete Pegelstände informiert werden könnten. Außerdem werde man die Einsatz-Drehbücher neu schreiben und die städtische Wasser- und Stromversorgung höher legen. Doch OB Dupper gibt zu bedenken. "Dass man die klassische Innenstadt von Passau, die ja zwischen den Flüssen Inn und Donau liegt, nie hundertprozentig hochwassersicher bekommen wird."
    Mobile Spundwände und höhere Dämme, wie sie etwa Donau-aufwärts die Stadt Regensburg schützen, helfen in Passau nur bedingt. Man bräuchte meterhohe Mauern, die das Ortsbild der Dreiflüsse-Stadt zerstören würden und kaum finanzierbar sind. Deshalb mahnt der Passauer Kommunalpolitiker und ÖDP-Bundesvorsitzende Sebastian Frankenberger mehr Zusammenarbeit der bayerischen Kommunen beim Hochwasserschutz an. Bisher gelte: Rette sich, wer kann. Je erfolgreicher sich aber beispielsweise die Stadt Regensburg mit immer höheren Mauern schütze – desto mehr Wasser komme am Ende immer schneller in Passau an. Hier haben die Wasserwirtschaftsämter versagt, die in den verschiedenen Regionen teilweise nicht zusammenarbeiten. Hier wird eine Stadt geschützt. Und bei der nächsten sagt man: Ihr seid uns egal. Hier sind Auslaufflächen teilweise gar nicht genutzt worden. Weil man Bauern keinen Ausgleich zahlen wollte. Hier müsste man eigentlich ansetzen. Es geht also viel weiter und nicht nur: Was könnte man in Passau machen. Doch diese Zusammenarbeit, sagt Passaus OB Dupper, sei wie das Bohren dicker Bretter. "Weil wir sowohl den Freistaat Bayern als auch die Republik Österreich davon überzeugen wollen, dass wir insbesondere für den Inn und für die Donau ein vernünftiges Flutpoldermanagement brauchen. Wir brauchen Räume für die Flüsse, aber das geht nur in grenzüberschreitender Zusammenarbeit.
    Im Elbe-Havel-Winkel bleiben die Flutfolgen sichtbar
    Ortswechsel. 600 Kilometer weiter nördlich. Wer heute im Elbe-Havel-Winkel unterwegs ist, kann es nicht mal mehr erahnen, wie es hier – im Norden Sachsen-Anhalts - vor einem halben Jahr noch aussah. Als ein ganzer Landstrich, der etwa so groß wie der Gaza-Streifen ist, durch einen Deichbruch wochenlang mehr als einen Meter unter Wasser stand. Oberflächlich betrachtet, ist davon heute nichts mehr zu sehen: Alles so gut wie trocken. Doch wer genau hinschaut, sieht an vielen Stellen Brackwasser, das zentimeterhoch auf den mancherorts noch immer braunen Wiesen und Äckern steht. Es ist Regenwasser, das durch den flutbedingt extrem verdichteten Boden nicht abfließen kann. Wer mit der Fußspitze nur ein wenig im Boden scharrt, bekommt schnell nasse Zehen. "Der Landwirt sieht natürlich, dass das Grundwasser von unten hochstaut. Also zwischen Elbe und Havel ist durch die riesigen Wassermassen, die wir als Menschen ja nicht erkennen können, was unter unserer Scholle passiert, dort ist das Wasser so hoch, dass wir 30 Prozent unseres landwirtschaftlichen Betriebes nicht befahren können. Auch nicht beweiden können und auch nicht wissen, ob im Frühjahr 2014 dann dort wieder die Felder bestellt und beweidet werden können. Das wissen wir nicht."
    Christoph von Katte, der Vertreter eines 800 Jahre alten altmärkischen Adelsgeschlechts, residiert auf einem alten Backsteingut in Hohenkamern. "Für den Betrieb bedeutet es, dass wir Futter zukaufen müssen. Wir können 30 Prozent unserer Flächen mit unseren Kühen nicht beweiden und wir können da auch kein Heu ernten, keine Silage machen, weil wir die Flächen nicht befahren können. Wir müssen zukaufen."
    Zwei Drittel seiner Ländereien, bestehend aus Äckern, Feldern und Wäldern waren überflutet. Insgesamt beziffert er den Schaden auf grob geschätzte 100.000 Euro, von denen er noch längst nicht die angekündigten 80 Prozent erstattet bekommen hat. So wie es CDU-Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens seit Juni vollmundig verspricht. "Wir haben das politische Ziel, dass an der Flut keine Existenzen zugrunde gehen sollen. Das nehmen wir sehr ernst. Landwirtschaft ist ein Gewerbe zwischen Himmel und Erde, das weiß jeder, der diesen Beruf ergreift. Unsere Landwirte sind tüchtig in Sachsen-Anhalt. Sind auch erfolgreich und deswegen möchten wir auch, dass durch die staatlichen Hilfsmaßnahmen kein Betrieb in seiner Existenz scheitert."
    Das Gebiet um Barby-Breitenhagen gleicht einer Seenlandschaft
    Barby-Breitenhagen in Sachsen-Anhalt im Juni 2013 (picture alliance / dpa / Bundeswehr)
    Etwa 1000 Landwirtschaftsbetriebe wurden in Sachsen-Anhalt von der Flut geschädigt. Damit haben die Bauern dort bundesweit am stärksten unter der Flut gelitten. "Uns wurde von der Politik versprochen, dass man uns schnell und unbürokratisch hilft. Das passt nicht zusammen. Also schnell, unbürokratisch und Politik in einem Satz, das geht gar nicht."
    Der holländische Agraringenieur Henk Heringa ist 1999 von Groningen nach Klietznick in die Altmark gezogen, hat einen Landwirtschaftsbetrieb von etwa 400 Hektar übernommen. 70 Prozent seiner Flächen wurden bei dem Junihochwasser überschwemmt. Und er wartet nun, wie viele seiner Kollegen, noch immer auf die zugesagten Entschädigungen. Seinen Schaden beziffert er auf rund 360.000 Euro, erstattet hat man ihm bisher – sieben Monate nach der Flut – gerademal 67.000 Euro, sagt er. Ein Fünftel dessen, was er zu erwarten hätte. "Wir haben zwar gehofft, dass es mal klappt. Man kann es nicht anders sagen, die kriegen es nicht gebacken."
    Am meisten Kopfzerbrechen machen ihm aber die niedrig angesetzten Ausgleichszahlungen für die verloren gegangene Ernte, wie er sagt. Denn Sachsen-Anhalt will den Bauern für den Ernteausfall durchschnittlich 683 Euro pro Hektar zahlen. Für Heringa eindeutig zu wenig. Er verweist auf Länder wie Sachsen oder Thüringen, die die Landwirte mit Beträgen zwischen 750 und 1.000 Euro pro Hektar entschädigen würden. Henk Heringa fordert einen Staatsvertrag, in dem die Entschädigungszahlungen klar geregelt sind, damit solche Ungerechtigkeiten zukünftig ausgeschlossen werden.
    "Eine Ernte gehört auf die Bank, eine auf den Dachboden"
    Eckart Wallbaum, Abteilungsleiter im sachsen-anhaltischen Landwirtschaftsministerium erklärt, dass die starren Ausgleichszahlungen keine Willkür seien, sondern Gerechtigkeit herstellen würden. Ein Vergleich mit Bayern beispielsweise, wo die Schäden höher entschädigt werden, verbiete sich, so Wallbaum. "Bayern hat eine ganz andere Betriebsstruktur als wir. Wir haben doch hier eher großflächig arbeitende Betriebe. In Sachsen-Anhalt ist ein Betrieb etwa 300 Hektar groß, in Bayern ist der durchschnittliche Landwirtschaftsbetrieb 36 Hektar groß. Daraus kann man schlussfolgern, dass jemand, der einen Betrieb mit 30 Hektar bewirtschaftet, versucht sehr intensiv auf seiner Fläche zu wirtschaften. Der muss ja mit den 30 Hektar Geld verdienen, das natürlich höhere Entschädigungssätze nach sich zieht."
    Henk Heringa schüttelt verzweifelt den Kopf. Seit der Elbeflut ist er so etwas wie ein Altmärker-Nationalheld. In der Nacht im Juni, als das Wasser in reißenden Strömen kam, als die Bundeswehr und das THW bereits aufgegeben hatten, ist er noch unter Lebensgefahr mit seinem schweren Gerät ausgerückt und hat Dutzenden Landwirten geholfen. In letzter Sekunde hat er so Hunderten Rindern das Leben, Landwirten das Über-Leben gerettet. Einigen Kühen hat er später Unterschlupf in seinem Stall gewährt. Und genau das war sein Untergang, erzählt er.
    "Diese Vermischung von drei verschiedenen Tierbeständen hat doch einige betriebsfremde Krankheiten mit in den Stall reingeschleppt. Wo ich später, selber mit meinen Tieren große Probleme hatte. Gesundheitsmäßig. Das waren besondere Tierkrankheiten, die ich so noch nicht kannte, die auch nicht zu behandeln sind mit Antibiotika."
    Sechzig Rinder musste Henk Heringa in der Folge bis heute notschlachten. Die Hälfte seines Bestandes. Fluthilfen sind für solche Fälle allerdings nicht vorgesehen. Nun hofft Heringa darauf, dass ihm die Tierseuchenkasse unter die Arme greift.
    Während Henk Heringa ums Überleben seines Betriebes kämpft, liegen auf den Spendenkonten der Hilfsorganisationen Millionen Hilfsgelder, die noch immer nicht verteilt sind. Allein beim Bündnis Aktion Deutschland Hilft gingen im Sommer 39 Millionen Euro ein. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben die Deutschen für die Hochwasser-Geschädigten 256 Millionen Euro gespendet. Geld, das darauf wartet, verteilt zu werden. Für Landwirt und Jurist Christoph von Katte völlig unverständlich. "Wenn die deutschen Mitbürger Spenden geben, dann muss das Geld auch an die Hilfsbedürftigen verteilt werden. Und wir haben jetzt noch Millionenbeträge liegen bei den großen Hilfsorganisationen, die nicht abgeflossen sind. Also da ist eine Bürokratie aufgebaut worden mit drei Gutachten, drei Kostenvoranschlägen usw. Das ist nicht zu schaffen. Wenn die Menschen Not haben und die Häuser ertrunken sind, da muss der Bürgermeister in seiner Verantwortung sagen können: Jetzt verteile ich das Geld, was deutsche Staatsbürger oder andere Menschen uns gespendet haben. Und kann dann nicht noch hinterher rechnen, ob der Kostenvoranschlag richtig war."
    Auch der Fischbecker Landwirt Dieter Northe kritisiert die Umsetzung des Milliardenprogramms Hochwasser. Völlig unverständlich seien ihm die teilweise absurd hohen Vorleistungen, die Flutopfer erbringen müssten, ehe sie auf staatliche Förderungen hoffen könnten. In das Gesicht des Fischbeckers haben sich tiefe Falten gegraben. Sein ganzer Hof, sein Haus, einfach alles wurde im Juni weggespült. Das könnte das Ende seines Hofes bedeuten. Noch gut kann er sich an die Worte der Bundeskanzlerin erinnern. "Ich nehm‘ den Eindruck mit, dass Wust-Fischbeck natürlich wahnsinnig betroffen ist, dass fast jeder Bürger ein Stück Arbeit hat, dass bei manchen alles weg ist. Ich seh‘, dass viel Einsatz da ist, natürlich bin ich bewegt, dass wir gemeinsam mit dem Land die Probleme so schnell wie möglich lösen."
    Am Liebsten würde Landwirt Dieter Northe die Bundeskanzlerin sofort wieder einladen, sie fragen, was bis jetzt passiert sei. Warum man nur so zögerlich helfe. Einen Brief hat er schon geschrieben, eine Antwort allerdings nicht erhalten. "Die Psyche ist angeknackst. Wir haben kein Vertrauen in eine vernünftige und gerechte Schadensregulierung. Das tut uns auch weh. Dieses Jahr hat unser Leben ziemlich durcheinander gewürfelt. Wir müssen schon sehen und ganz gewaltig aufpassen, dass an diesem Ganzen nicht auch noch Familien und Freundschaften mit zerbrechen."
    Landwirt Christoph von Katte aus Hohenkamern mahnt seine Kollegen dazu, sich künftig nicht nur auf den Staat zu verlassen, sondern sich wieder an alte bäuerliche Tugenden zu halten. Damit die nächste Flut vielleicht nicht so ins Kontor schlägt, wie sie es vergangenen Juni getan hat.
    "Und man muss auch wieder den alten landwirtschaftlichen Grundsatz reaktivieren: Eine Ernte gehört auf die Bank, eine Ernte gehört auf den Dachboden. Letztendlich müssen wir wieder unseren Kindern sagen, wir müssen Vorsorge treffen für den Fall, dass in einem Jahr eine Ernte mal nicht funktioniert. Denn die nächste Katastrophe kommt bestimmt."