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Folgen für das ganze Leben

Alkohol während der Schwangerschaft ist schädlich - das wissen die Meisten. Dennoch werden jedes Jahr schätzungsweise zwischen 3000 und 4000 Kinder mit unterschiedlichen Ausprägungen Fetaler Alkoholspektrum-Störungen (FASD) geboren. Eine Beratungsstelle in Berlin hilft bei der schwierigen Diagnose.

Von Andrea Kalbe | 25.03.2008
    Simon ist sechs Wochen alt, als Bernhard Ruigrok und seine Frau ihn adoptieren. Zu der Zeit weiß das Ehepaar noch nicht, dass der Kleine während der Schwangerschaft durch Alkohol geschädigt wurde. Dennoch merken sie recht schnell, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt.

    "Die Behinderung hat sich in der Form bemerkbar gemacht - er hatte Probleme gehabt, Nahrung zu sich zu nehmen. Das heißt, wir mussten ihn alle zwei Stunden füttern mit relativ kleinen Einheiten. Desweiteren hat sich herausgestellt, dass er beim Schlafen sehr stark krampfte, also verkrampfte auch, und sehr unruhig geschlafen hat. Das waren die ersten Zeichen. Und nachdem er etwas älter geworden ist, hat er eine sehr hohe Aktivität entwickelt, will heißen, er war einfach hyperaktiv."

    Weder die Krankenschwestern in dem Kinderheim noch der Kinderarzt können der Familie sagen, woran ihr Sohn leidet. Erst als Simon drei Jahre alt ist, wissen die Eltern sicher, dass die leibliche Mutter während der Schwangerschaft getrunken hat. Heute ist Simon 22. Seine Behinderung sieht man ihm zwar nicht an, doch sein Gehirn ist dauerhaft geschädigt. So kann er zum Beispiel Dinge nicht längerfristig planen, hat Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Um Simon trotzdem ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, hat sich Bernhard Ruigrok an die BerlinerBeratungsstelle für alkoholgeschädigte Kinder gewandt - die erste dieser Art in Deutschland. Psychologen und Ärzte schauen hier, wie stark die Schädigung ist und wie die Betroffenen ihren Alltag besser meistern können.

    "Das heißt, dass man sich dann zum Beispiel anschaut, wie ist das Kind in die Familie oder in die Pflegefamilie integriert, wie weit ist die Diagnose in dem, was sie bedeutet, verstanden worden. "

    Gela Becker-Klinger ist Psychologin und Mitinitiatorin der Beratungsstelle.

    ""Die Diagnose zu kennen ist das eine, und das andere ist dann ein Prozess der Haltungsänderung, also die Behinderung abzutrauern, was alles nicht geht, aber dann auch langsam sehen zu lernen, was geht und was möglich ist, um rauszufinden aus dem, womit die Pflegeeltern häufig kommen: diese Negativspiralen, wo die Eltern sich schuldig fühlen, das Kind sich schuldig fühlt und alles latent depressiv und vom Burn-Out-Syndrom betroffen ist."

    Zu Gela Becker-Klinger kommen oft Pflegeeltern, die nicht mehr weiter wissen, die von Arzt zu Arzt gelaufen sind, ohne dass ihnen geholfen wurde. Da die Behinderung in Deutschland nur wenig bekannt ist und von Ärzten oft falsch diagnostiziert wird, werden die Kinder auch nicht hinreichend gefördert. Dabei ist gerade das wichtig, denn alkoholgeschädigte Kinder stellen irgendwann ihre Entwicklung ein. Die meisten sind ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen.

    "Circa 80 Prozent sind nicht selbstständig lebensfähig. Das heißt, die müssen weiter betreut werden. Betreuungsformen im Erwachsenenbereich müssen geschaffen und weiterentwickelt werden. Also, ich denke, da ist ein ganz großer Bedarf. Ich denke, dass das auch im Erwachsenenbereich Menschen mit Behinderungen sind, die sehr schwierig zu integrieren sind in bestehende Einrichtungen, einfach aufgrund der Auffälligkeiten, die sie haben."

    Bernhard Ruigrok weiß durch die Gespräche in der Beratungsstelle jetzt besser über die Behinderung seines Sohnes Bescheid, kann bestimmte Verhaltensweisen eher nachvollziehen. Zudem hat er Gutachten bekommen, um einen Behindertenschein für seinen Sohn zu beantragen. Nun will er sich um eine passende Ausbildung kümmern und für Simon eine betreute Wohnmöglichkeit finden.

    "Ich denke mal, es ist insbesondere wichtig, wenn man frühzeitig mit Kindern hinkommt, wenn man nur den leisesten Verdacht hat. Und das denke ich mal, sollten auch Jugendbehörden sehr transparent haben, dort eine gewisse Sensibilität entwickeln. Ich selbst habe jetzt die Unterstützung erfahren bei meinem Sohn, der quasi erwachsen ist. Was ich aber jedem dringend anraten kann, wenn irgendwo nur ein Verdachtsmoment auftaucht, unbedingt diese Beratungsstelle kontaktieren, weil man ist als Laie schlichtweg überfordert."