Dienstag, 19. März 2024

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Folgen von bleihaltiger Jagdmunition
"Wichtig, dass Blei bei der Jagd eingeschränkt wird"

Hunderttausende Vögel sterben in der EU jedes Jahr durch Bleivergiftungen. Die EU will den Einsatz von Bleimunition bei der Jagd deshalb verbieten. Zwar wurde das Abstimmungsverfahren vorerst verschoben, Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist jedoch zuversichtlich, dass durch die deutsche Zustimmung ein Verbot zustande kommt.

Svenja Schulze im Gespräch mit Silvia Engels | 15.07.2020
Svenja Schulze im Porträt
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert ein Verbot von bleihaltiger Jagd-Munition (picture alliance /dpa/Bernd von Jutrczenka)
Durch Bleimunition sterben in der EU jedes Jahr Hunderttausende Vögel an einer Bleivergiftung. Nun wurde ein Abstimmungsverfahren für ein EU-Verbot von bleihaltiger Jagd-Munition in Feuchtgebieten nach einem Einwand Tschechiens vorerst gestoppt. Zuvor hatte die Bundesregierung nach langem Ringen eine gemeinsame Linie gefunden. Deutschland will den anderen EU-Staaten nun eine Übergangsfrist von drei statt den bisher angedachten zwei Jahren vorschlagen. Zuvor hatten Agrarministerin Julia Klöckner, CDU, und Umweltministerin Svenja Schulze, SPD, über das Verbot gestritten. Klöckner hatte die Sorge geäußert, dass der als Alternative zur Bleimunition gehandelte Stahlschrot den Tod der Tiere verzögern könnte. Schulze hatte das zurückgewiesen und argumentiert, dass Blei sehr giftig sei und durch die Jagd in die Umwelt gelange.
Abstimmung über Verbot nach den Ferien
Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte im Dlf, das schriftliche Verfahren auf EU-Ebene sei erstmal ausgesetzt, ein neuer Termin müsse nun gefunden werden, "aber wenn Deutschland da zustimmt, dann kann da eine Mehrheit zustande kommen für die Abschaffung von Bleimunition in Feuchtgebieten." Nach den Ferien werde es zur finalen Abstimmung auf EU-Ebene kommen vermutet Schulze.
"Erstmal ist es wichtig, dass wir uns geeinigt haben in der Bundesregierung." Das Verbot von Bleimunition bezieht sich vorerst nur auf Feuchtgebiete in der EU. Ein generelles Verbot ist nicht in Sicht. "Es sind keine einfachen Diskussionen, die Interessen sind da sehr unterschiedlich."
Umweltministerin Schulze begrüßte im Dlf auch den Vorstoß zu einem Lieferkettengesetz. "Bestimmte Sorgfaltspflichten muss man auch von Unternehmen verlangen können. Zur Qualität der Produkte gehört auch, dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt werden."

Das Interview im Wortlaut:
Engels: Wird es denn nun dahin kommen, dass wenigstens dieser Kompromiss, dass das Verbot kommen wird, eingehalten wird, oder gibt es auf EU-Ebene schon wieder was Neues?
Schulze: Na ja. Erst mal ist es wichtig, dass wir uns geeinigt haben in der Bundesregierung, weil Blei – das haben Sie ja eben ganz richtig gesagt –, das löst regelrechte Vergiftungsketten aus. Wasservögel nehmen diese Bleigeschosse auf. Dann sterben sie an einer Bleivergiftung. Das wird wiederum von Greifvögeln, vom Seeadler gegessen und die Seeadler sind dann die nächsten, die an einer Bleivergiftung sterben. Es ist eine ganze Kette, die da jetzt endlich gestoppt werden muss. Die EU-Kommission hat gestern Abend das Verfahren, das schriftliche Verfahren ausgesetzt, und das heißt, es wird wieder eine Sitzung geben, und auf dieser Sitzung muss das dann entschieden werden. Aber wenn Deutschland da zustimmt, dann kann auch eine Mehrheit zustande kommen für die Abschaffung von Bleimunition in Feuchtgebieten.
Deutsche Stimme sehr wichtig
Engels: Tschechien hatte das – Sie sprechen es an – in Frage gestellt, dieses Abstimmungsverfahren. Wird dadurch das anstehende Verbot noch mal komplett in Frage gestellt?
Schulze: Nein. Es ist nicht üblich auf der europäischen Ebene, dass man das schriftlich macht. Normalerweise haben wir immer Sitzungen. Aber jetzt in den Corona-Zeiten ist natürlich alles anders und jeder Mitgliedsstaat hat das Recht zu sagen, nein, ich will das noch mal diskutiert haben.
Das ist jetzt schade, weil es schon so einen langen Vorlauf gibt, so lange auch wissenschaftliche Expertise hinzugezogen wurde. Aber es stoppt das Verfahren nicht; es geht weiter und wir werden dann irgendwann nach den Ferien eine Abstimmung haben. Dafür sind die deutschen Stimmen für ein Verbot sehr, sehr wichtig.
Engels: Nun haben Sie eine Einigung mit Frau Klöckner erzielt, aber zu dem Preis, dass die Übergangsfrist bis zum Verbot von zwei auf drei Jahre verlängert wird. Ist das ein schaler Sieg?
Schulze: Nein, das ist ein Kompromiss, den man gehen kann. Ich hätte es lieber gehabt, dass das Blei, dass die Bleimunition so schnell wie möglich verboten wird. Aber ich kann jetzt auch mit diesem Kompromiss leben.
Wichtiger ist, dass es jetzt endlich zu einem Verbot kommt und dass endlich Blei bei der Jagd eingeschränkt wird, weil es so gefährlich ist.
"Die Interessen sind da sehr unterschiedlich"
Engels: Nun wird ja bei Bleischrot das Verbot nur kommen, wenn es Feuchtgebiete betrifft. Bei der anderen Jagd nicht. Warum gelingt es Ihnen einfach nicht, trotz Ihres Verweises auf alternative Stahlmunition, hier die EU zu einem generellen Verbot zu bringen?
Schulze: Na ja. Man hat ja gesehen, wie schwierig das schon in Deutschland ist. Da sind sehr widerstrebende Interessen. Es gibt immer noch Jäger, die nicht glauben, dass die andere Munition auch funktioniert, und sagen, dass die Tiere da gequält würden. Das können wir heute nachweisen, dass es andere Munition gibt, die genauso schnell Tiere tötet und nicht dazu führt, dass die noch länger leiden müssen. Das ist in vielen, vielen Studien belegt und auch der Alternative Jagdverband hat das jetzt bestätigt, und deswegen wissen wir jetzt genug, um die bleifreie Munition auch wirklich weitergehend zu verbieten. Aber es sind keine einfachen Diskussionen. Die Interessen sind da sehr unterschiedlich.
Engels: Wann wird es EU-weit soweit sein? Haben Sie eine Schätzung?
Schulze: Na ja. Ich hoffe, dass wir jetzt dieses Verbot in Feuchtgebieten nach den Ferien irgendwann hinkriegen. Da wird es eine Sitzung des zuständigen Reach-Ausschusses geben und dann wird das hoffentlich endlich abgeschlossen.
Engels: Der Konflikt ist noch nicht ausgeräumt. – Ein weiterer, ganz anders gelagerter Konflikt liegt im Moment auch im deutschen Kabinett. Auch hier geht es um Wirtschaftsinteressen und Umweltfragen und es geht um das sogenannte Lieferkettengesetz. Es wird derzeit von Ihrem Parteifreund, Arbeitsminister Heil, und Entwicklungshilfeminister Müller von der CSU vorangetrieben und es sieht vor, dass international agierende deutsche Unternehmen verpflichtet werden, auch Zulieferer auf arbeitsrechtliche, menschenrechtliche und umweltrechtliche hohe Standards zu verpflichten. Die Wirtschaftsverbände sagen, das könnten sie nicht kontrollieren und hier nicht haften, auch mit Blick auf Umweltstandards. Was sagen Sie?
Schulze: Ich kann so einen Vorschlag für ein Lieferkettengesetz nur begrüßen. Ich finde, dass es sehr sinnvoll ist, dass Hubertus Heil das da vorangetrieben hat. Weil wer will denn Produkte kaufen, in denen Kinderarbeit steckt, oder Avocados, wofür Wälder gerodet werden? Das wollen wir doch wirklich nicht und es ist heute möglich, im Management-System, die alle großen Unternehmen haben, genauer hinzugucken und so was nachzuweisen. Diese Sorgfalt, dass nicht bei uns Dinge auf dem Tisch landen, nicht bei uns Dinge gekauft werden können, die dazu führen, dass Kinder beschäftigt werden, dass Wälder abgeholzt werden, ich finde, diese Verantwortung müssen wir in Deutschland wahrnehmen, und die können auch die Unternehmen wahrnehmen.
Lieferkettengesetz: "Bestimmte Sorgfaltspflichten muss man von Unternehmen verlangen können"
Engels: Sorgfaltspflicht ist das eine. Aber die Unternehmen haben Sorge davor, dass sie haftbar gemacht werden, und sie sagen, das können wir nicht leisten.
Schulze: Bestimmte Sorgfaltspflichten muss man doch auch von Unternehmen verlangen können. Die wissen doch, wo ihre Produkte herkommen. Sie haben ein Management-System in ihrem ganzen Bereich, was die Qualität der Produkte überwacht, und zur Qualität der Produkte gehört auch, dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt werden und dass nicht die Umwelt dafür leidet. Das macht die Qualität eines Produktes aus. Wenn man die restliche Qualität überprüfen kann, dann muss es doch auch möglich sein, das mit zu überprüfen.
Arbeiterinnen arbeiten in einer Textilfabrik in Bangladesch.
Lieferkettengesetz - Ein Gesetz gegen Auswüchse der Globalisierung
Diie Macht zwischen armen Ländern und großen Konzernen ist nicht gleich verteilt. Um Firmen an die Menschenrechte zu binden, plädieren Politiker für ein Lieferkettengesetz. Was kann das bringen?
Engels: Aber wenn Sie Länder haben, in denen Umweltstandards gesetzlich viel laxer sind als beispielsweise in Deutschland, muss dann ein Unternehmen, das dort agiert und Zulieferer beschäftigt, die Länderstandards dort quasi überbieten?
Schulze: Müssen wir aus Deutschland heraus Dinge kaufen mit unseren Lieferketten, wo Kinderarbeit drinsteckt, wo Zerstörung von Urwäldern drinsteckt? Wir unterstützen doch, indem wir so was kaufen, dass es diese furchtbaren Bedingungen gibt, und ich finde, da haben wir auch in Deutschland eine Verantwortung und so ein Lieferkettengesetz kann diese Verantwortung noch mal sehr deutlich machen. Deswegen begrüße ich das sehr, was Hubertus Heil da vorantreibt.
Engels: BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter argumentierte gestern hier im Deutschlandfunk anders herum. Deutsche Konzerne könnten hier nicht mächtiger sein als Regierungen, wenn es um die Umsetzung von Schutzrechten und Standards geht.
Schulze: Na ja. Aber deutsche Konzerne haben auch eine Verantwortung dafür, wo sie Produkte kaufen. Und wenn sie, wie Sie ja sagen, auf die Qualität der Produkte achten, dann gehört zur Qualität der Produkte auch, dass sie unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, dass die Umweltbelange beachtet werden, dass man gegen Korruption und Bestechung vorgeht. So was sollte eigentlich selbstverständlich sein. Wir haben lange Zeit jetzt versucht, über Freiwilligkeit zu gehen. Das hat nicht funktioniert. Es war im Koalitionsvertrag klar angekündigt, wenn sich nicht mehr Unternehmen freiwillig beteiligen, dass es dann einen gesetzlichen Rahmen gibt, und diesen Rahmen, den finde ich genau richtig.
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Streit um Lieferkettengesetz - "Kein Appell der deutschen Wirtschaft gegen Menschenrechte"
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des BDA, hält ein Lieferkettengesetz für unnötig. Deutsche Unternehmen könnten nicht für die Fehler Dritter haften, sagte er im Dlf.
Keine Überforderung für Unternehmen
Engels: Aber wäre es nicht vielmehr Ihr Job als Regierung, Umweltstandards weltweit zu erhöhen und durchzusetzen, statt das auf Unternehmen abzuwälzen?
Schulze: Das machen wir auch als Regierung. Aber wenn unsere Arbeit dadurch torpediert wird, dass Unternehmen weiterhin diese Produkte aus schlechten Bedingungen kaufen, dann macht dies das Geschäft nicht einfacher. Deswegen ist es wichtig, dass wir da insgesamt als Deutschland, die politische Seite, aber auch die Wirtschaft mit klaren Regeln vorgehen und auch mit einer Zunge sprechen. Es ist doch verrückt, dass wir versuchen, international Standards einzufordern, die von unseren eigenen Unternehmen mit ihrem Kaufverhalten dann wieder unterlaufen werden. Das ist nicht sehr glaubwürdig. Deswegen brauchen wir da mehr Glaubwürdigkeit in den Prozessen.
Engels: Wirtschaftsverbände fürchten nun, dass sich in der Folge eines solchen Gesetzes deutsche Unternehmen aus der weltweiten Arbeitsteilung zurückziehen würden und hier auch Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, und das mitten in der Coronakrise. Ist das in Ihrem Sinn?
Schulze: Nein! Das sehe ich aber auch nicht, dass es da so eine große Gefahr gibt. Wir können mit unserem Kaufverhalten dazu beitragen, dass weltweit sich die Standards durchsetzen, die wir hier in Deutschland haben wollen. Dafür haben auch Unternehmen eine Verantwortung, darauf mit zu achten. Das überfordert wirklich niemanden. Die etablierten Management-Systeme, die große Unternehmen heute haben, um ihre Lieferketten, ihre Krisenfestigkeit, ihre Qualität der Produkte zu überwachen, die können auch die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Umwelt mit einbeziehen. Das ist keine Überforderung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.