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Folterbank für Superlegierungen

Turbinen in Flugzeugen oder Kraftwerken arbeiten bei hohen Temperaturen effizienter. Mehr als 1100 Grad vertragen viele Werkstoffe aber nicht. Deshalb suchen Forscher nach neuen, hitzebeständigeren Superlegierungen. Bevor man sie tatsächlich in der Praxis einsetzen kann, muss man sie auf Herz und Nieren prüfen. Einer der Teststände dafür steht am Forschungsreaktor FRM 2 in Garching bei München.

Von Frank Grotelüschen | 11.04.2012
    Extrem heiß und unglaublich schnell. Das sind die Bedingungen, wie sie in einer Turbine herrschen: Hohe Drehzahlen sorgen für enorme Fliehkräfte. Und Temperaturen von 1100 Grad bringen die Werkstoffe bis an ihre Grenzen.

    "Wir sind ca. bei 80 Prozent am Schmelzpunkt. Das heißt, wir können diese Werkstoffe nicht für höhere Temperaturen einsetzen, weil wir sonst den Werkstoff in die Schmelze treiben. Und das darf natürlich nicht passieren", "

    sagt Ralph Gilles, Physiker am Forschungsreaktor FRM 2 in Garching bei München. Heute bestehen Gasturbinen meist aus Nickel-Legierungen. Viel mehr als 1100 Grad halten sie nicht aus. Die Ingenieure aber würden lieber bei 1300 bis 1400 Grad arbeiten. Denn je höher die Temperatur, umso effektiver läuft die Verbrennung, und umso mehr leistet die Gasturbine - wohlgemerkt bei gleichem Brennstoffeinsatz. Also suchen die Fachleute nach hitzebeständigeren Legierungen, nach Superlegierungen. Ein heißer Kandidat ist Kobalt, versetzt mit dem Metall Rhenium.

    " "Rhenium hat den Schmelzpunkt bei 3182 Grad. Dann kann man durch die Beimischungen von Kobalt mit Rhenium die Temperaturen vielleicht um 200 bis 300 Grad nach oben schieben."

    Soweit die Theorie. In der Praxis aber genügt es nicht, Kobalt und Rhenium einfach zu mischen. Das Ergebnis wäre zwar hitzebeständig, aber nicht fest genug und auch nicht besonders korrosionsbeständig. Um das zu schaffen, muss man die Legierung mit bestimmten Zusätzen würzen wie der Koch sein Gericht.

    "Es ist praktisch wie ein kleines Kochrezept: Sie geben zu einer großen Basis Feinheiten hinzu und können dadurch den Werkstoff in seinen Eigenschaften sehr stark verändern."

    Eine Prise Bor soll die Festigkeit steigern, ein wenig Chrom die Korrosionsbeständigkeit erhöhen. Doch welche Zusätze in welcher Konzentration am besten funktionieren - das herauszufinden ist eine Geduldsarbeit. Denn jede neue Legierung, jedes neue Rezept muss einen Härtetest bestehen.

    Dazu haben Gilles und seine Kollegen am Münchener Forschungsreaktor einen Teststand aufgebaut - eine Folterbank für Superlegierungen. Sie muss, um die Bedingungen in einer Turbine zu simulieren, die Materialproben zeitgleich strecken und erhitzen, auf mehr als 1000 Grad.

    "Das ist die Heizung. Wir haben vier Strahler. Sieht an sich relativ simpel aus: Ein Strahler besteht aus drei Halogenlampen. Zum Schluss kommt eine Abdeckung, um die Wärme zu halten. Dann kann man in unmittelbarer Nähe sich aufhalten, ohne dass es zu größeren Erwärmungen um diesen Teststand kommt."

    Die Materialproben sehen aus wie Bleistifte aus Metall. Kräftige Hydraulik-Backen nehmen sie in die Zange und zerren sie mit der Kraft eines Geländewagens auseinander. Gleichzeitig heizen die Strahler dem Metallstift kräftig ein. Drei bis vier Stunden dauert der Gewaltakt. Währenddessen schießen die Forscher Neutronen aus dem Forschungsreaktor auf die Legierung. Damit können sie in den Werkstoff hineinsehen, können ihn bis ins kleinste Detail durchleuchten.

    "Es passiert bei sehr hohen Temperaturen, dass gewisse Atomanordnungen sich auflösen und sich neue bilden. Und wir wollen genau wissen, bei welchen Temperaturen welche Verbindungen entstehen oder welche sich auflösen, um die Eigenschaften kennenzulernen."

    Das Resultat: wichtige Erkenntnisse darüber, mit welchen Zusätzen man die Superlegierung würzen sollte und mit welchen nicht. Ein Beispiel:

    "Wir hatten am Anfang auf Chromkarbide gesetzt als Stabilisator für die Hochfestigkeit. Und haben mit diesem Experiment festgestellt, dass sich bei Temperaturen um 1200 Grad die Chromkarbide auflösen. Damit ist die wichtige Erkenntnis, dass wir auf einen anderen Zusatz in unserem Kochrezept setzen müssen. Und da hat sich jetzt gezeigt, dass Tantalkarbide bis 1300 Grad ohne Probleme im Werkstoff bleiben."

    Ein vielversprechender Kandidat also für ein hitzebeständiges Zukunftsmaterial. Die erste Turbine aus Kobalt-Rhenium wird aber auf sich warten lassen. Denn noch haben Gilles und seine Kollegen manche Testreihe vor sich. Die Folterbank für Superlegierungen - sie wird noch oft in Aktion treten.