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Foodwatch: Preissprünge haben mit physischen Marktgeschehen nichts zu tun

Vor dem Hintergrund der Debatte um "Tank und Teller" fordert Bundesentwicklungsminister Niebel den Verkaufstopp für den Biosprit E10. Mit E10 verbinden unterschiedlichste Interessengruppen Absichten. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Spekulationen um Agrarrohstoffe.

Von Michael Braun | 16.08.2012
    E10 im Tank: Die Autofahrer haben sich lange gesperrt, immer noch sind zwei Drittel skeptisch. Sie denken an ihre Zylinderkopfdichtung, kaum an die Debatte um Tank oder Teller. Der Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND, war immer schon gegen E10. Sein Argument vor eineinhalb Jahren: Die zehn Gramm CO2-Ersparnis, die E10 rechnerisch bringe, habe vor allem der deutschen Autoindustrie helfen sollen, auch mit großen Autos die CO2-Ziele zu erreichen. Jens Hilgenberg, der Verkehrsexperte des BUND, glaubt deshalb, an diesen Interessen könne die Initiative des Ministers Dirk Niebel gegen E10 noch scheitern:

    "Im Moment ist die Automobilindustrie über ihrem Plan. Also sie erfüllen ihre Vorgaben sehr gut, was uns auch ein wenig überrascht. Aber langfristig gesehen sind diese zehn Gramm, die man durch E10 einspart, natürlich eingeplant. Langfristig gesehen wird die Automobilindustrie alles dafür tun, Herrn Niebel daran zu hindern, die Einführung von E10 rückgängig zu machen."

    Dahinter mag bei der Automobilindustrie auch die Überzeugung stehen, der Anbau von Energiepflanzen schade der Nahrungsmittelproduktion genauso wenig wie die Geldanlage in Rohstofffonds die Getreidepreise treibe. Zwar hat die Commerzbank bestätigt, dass sie aus ihrem Rohstofffonds die Agrarrohstoffe Mais, Weizen, Soja und Zucker herausgenommen habe. Auch die Fondsgesellschaft der Sparkassen, die Deka-Bank, hatte sich so entschieden. Die Landesbank Baden-Württemberg ebenfalls. Das dürften Ausnahmen bleiben. Die großen Anbieter in der Vermögensverwaltung, Goldman Sachs, Pimco, die Tochter der Allianz, und andere bleiben wohl drin. Die Deutsche Bank hatte durch ihren früheren Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann zwar erklären lassen:

    "Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf der Bank aufs Spiel zu setzen."

    Aber sie ist nicht ausgestiegen aus dem Angebot, ihren Kunden auch Geschäfte mit Geldanlagen in Grundnahrungsmitteln anzubieten, sie hat nur entschieden, dieses Jahr keine neuen Produkte für diese Art der Geldanlage aufzulegen.

    Wer sich zurückzieht, tut dies offenbar auf öffentlichen Druck hin, weil er den Vorwurf nicht auf sich ziehen will, mit dem Hunger vieler Menschen Geld zu verdienen. Überzeugt sind die Anbieter von diesem Argument aber nicht. Erstens sehen sie, dass die großen Märkte für Agrarrohstoffe nicht in Frankfurt oder London, sondern in Chicago betrieben werden. Verzicht in Europa führe nur zu Abwanderung nach Amerika, heißt es.

    Zum anderen gilt es als keineswegs sicher, dass spekulative Geldanlage die Agrarpreise treibe. Dass Getreide so knapp geworden ist, hänge erstens damit zusammen, dass die Weltbevölkerung jährlich um rund 80 Millionen Menschen wachse, also mehr Menschen ernährt werden müssten. Hinzu komme, dass die Menschen in Schwellenländern besser essen wollten, ähnlich gut wie in Europa, erklärt etwa David Milleker, der Chefvolkswirt von Union-Invest:

    "In den Entwicklungs- und Schwellenländern entstehen jetzt zunehmend Mittelschichten. Diese Mittelschichten ändern ihre Nahrungs- und Essensgewohnheiten so, dass sie mehr Fleisch zu sich nehmen. Das ist eine proteinhaltige Nahrung. Und das bedeutet, dass wir das Sechs- bis Zehnfache an Rohstoff-Input in die Produktion dieser Fleisch-Lebensmittel stecken müssen wie in die für normales Getreide."

    Das führe dann eben zu höheren Preisen: Ein Argument, das die Nichtregierungsorganisation foodwatch so falsch findet, dass sie es nicht mehr hören will. Harald Schumann ist in einer Studie für foodwatch zu anderen Ergebnissen gekommen:

    "Ich muss zugeben: Diese Behauptung macht mich inzwischen wütend. Man kann inzwischen nachweisen, dass es riesige Preissprünge gibt, die mit Veränderungen bei Angebot und Nachfrage auf dem tatsächlichen, auf dem physischen Markt überhaupt nichts mehr zu tun haben. Es geht ja inzwischen sogar so weit, dass die Analysten großer Banken wie Goldman Sachs, Deutsche Bank und so weiter selber zugeben, dass die Preisbewegungen auf den Rohstoffmärkten ganz wesentlich erzeugt werden durch das, was auf den übrigen Kapitalmärkten läuft", "

    sagte er im Deutschlandradio Kultur. Wobei anzumerken wäre, dass Preisbewegungen ja nicht nur nach oben, sondern auch nach unten gehen können.

    Doch ob nun Fleisch essende Chinesen oder der Anbau von Energiepflanzen - das Wetter als preisbildender Faktor für agrarische Rohstoffe ist kaum umstritten. Weltweit sorgt derzeit vor allem die anhaltende Dürre in den Vereinigten Staaten und auch in Osteuropa dafür, dass Getreide so teuer ist wie nie. Und der Düngemittelkonzern K + S freut sich in der Regel über hohe Getreidepreise, weil dann die Bauern Düngemittel kaufen könnten, um mehr zu produzieren. K+S-Vorstand Norbert Steiner:

    " "Die Agrarpreise sollten nach unserer Einschätzung weiterhin auf hohem Niveau bleiben. Die daraus resultierenden Ertragsperspektiven der Landwirtschaft dürften nach unserer Überzeugung ausreichenden Anreiz bieten, den Ertrag je Hektar durch hohen und ausgewogeneren Düngemitteleinsatz zu steigern."

    Die Interessen bei der Debatte um die Agrarrohstoffe sind also vielschichtig. Die Argumente auch.