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Fehlerhafte DNA-Analysen vor US-Gerichten

2015 erschütterte ein FBI-Skandal die US-Justiz: Beweisstücke aus über 250 abgeschlossenen Gerichtsverfahren waren forensisch neu untersucht worden. In 95 Prozent der Fälle handelte es sich um fehlerhafte Analysen. Ein Report will Lehren aus den Fehlurteilen zusammenfassen.

Von Michael Stang | 08.05.2019
In einem Labor wird DNA analysiert.
Neue DNA-Analysen können unschuldig Inhaftierte entlasten (imago / Jochen Tack)
"2018 haben wir in den USA 151 Fälle dokumentiert, bei denen unschuldig Verurteilte freigelassen wurden. 68 dieser Menschen waren wegen eines Tötungsdelikts in Haft, zwei davon waren zum Tode verurteilt worden", sagt Barbara O’Brien, Autorin des 2018 Reports des US-Registers für Freilassungen.
Aufgenommen werden darin Fälle, die vor Gericht neu aufgerollt wurden und in einem Freispruch endeten. Die im vergangenen Jahr freigelassen Menschen hatten zusammengerechnet mehr als 1.600 Jahre unschuldig hinter Gittern verbracht – im Schnitt fast elf Jahre pro Häftling, so die Juraprofessorin von der Michigan State University. Die Gründe für die Fehlurteile seien vielfältig.
"Die bloße Zahl der Freilassungen gibt nicht wieder, wie viele Fehler gemacht wurden. Es geht auch darum, ob und welche Lehren aus den Fehlurteilen gezogen werden."
Ein Haar als Indiz
Und Fehler habe es reichlich gegeben. Etwa bei den Haaranalysen. Haare werden in den USA bei rechtsmedizinischen Untersuchungen erst seit dem Jahr 2000 genetisch analysiert, zuvor kamen ausschließlich mikroskopische Methoden zum Einsatz, also rein optische Vergleichsanalysen. Eine unsichere Methode, hinzu kamen fehlerhafte Statistiken. Dennoch wurden auf Grundlage dieser vergleichenden Haaranalysen Urteile gesprochen, häufig zu Unrecht, wie etwa der Fall von Glenn Payne belegt.
Glenn Payne wurde 1990 beschuldigt, ein Nachbarkind sexuell missbraucht zu haben. Bei der Verhandlung wurde ein Haar, das der Angeklagte bei der Verhaftung verloren haben soll, mit einem Haar verglichen, das bei dem Nachbarskind gefunden wurde. Vor Gericht errechnete ein Laboranalytiker die Wahrscheinlichkeit, mit der das Haar zufällig zum Tatort gelangt sei, mit einer Chance von "1 in 129.600".
2013 hatte die Bundespolizei FBI bestätigt, dass diese Methode wissenschaftlich nicht haltbar ist, dennoch wurde Glenn Payne erst 2018 entlassen, 28 Jahre nach seiner Verhaftung.
Zu großes Vertrauen in Einzelanalysen
"Ein Teil des Problems ist, dass wir diese Fälle immer nur im Nachhinein aufdecken und daraus lernen können."
Einige Methoden, auf deren Grundlage viele der Freigelassen einst verurteilt wurden, sind heute nicht mehr vor Gericht zulässig. Dazu gehört auch eine Software des Chief Medical Examiner in New York, wonach genetische Spuren, die nur bruchstückhaft vorliegen, ergänzt werden und so einen genetischen Fingerabdruck liefern sollen. Dennoch wird es noch Jahre dauern, alte Fälle aufzuarbeiten, so Barbara O’Brien.
"Spannend fand ich die Tatsache, dass es 2018 wieder mehr offizielle Stellen bei den Staatsanwaltschaften gab, die sich mit unschuldig Verurteilten befassen und Fehlurteile überprüfen. Wir wissen aber leider nicht, wie groß das Ausmaß dieses Problems wirklich ist."
Doch nicht nur Altfälle müssen aufgearbeitet werden. Gleichzeitig müsse alles dafür getan werden, dass niemand wegen eines Verbrechens verurteilt wird, nur weil zufällig eine wissenschaftliche Methode eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für einen Tathergang errechnet hat. Daher warnt die Juristin vor zu großem Vertrauen in einzelne Analysemethoden; sie können die Rechtsprechung nur unterstützen, aber nicht ersetzen.