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Forensische Psychiatrie
Wegsperren für immer?

Schuldunfähig wegen einer krankhaften seelischen Störung – Straftäter mit dieser Diagnose kommen nicht ins Gefängnis, sondern in den Maßregelvollzug. Etwa 10.000 Menschen sind davon momentan betroffen. Ziel bleibt, dass sie rehabilitiert werden und zurück in die Gesellschaft können. Doch wer hat das zu entscheiden?

Von Jennifer Rieger | 09.06.2015
    Ein Schild mit der Aufschrift "Forensische Psychiatrie" hängt an einem Stationsgebäude des Bezirkskrankenhauses in Bayreuth.
    Auch psychische Krankheiten sollen künftig stärker berücksichtigt werden. (David Ebener, dpa picture-alliance)
    Sexualstraftäter wegsperren, am besten für immer! Das forderte der damalige Kanzler Gerhard Schröder 2001 nach dem Mord an der achtjährigen Julia. Auch wenn er mit seinen Äußerungen einen Nerv traf: Der Maßregelvollzug will letztendlich erreichen, dass Täter rehabilitiert werden und wieder zurück in die Gesellschaft finden.
    "Auch bei Menschen mit pädosexueller Orientierung muss die Gesellschaft eine reife Umgangsform finden, wie sie mit Menschen umgeht, die eben dieses Problem, dieses Schicksal haben und auch da führt sicherlich dieses Wegsperren für immer zu einer völlig verkürzten Diskussion", sagt Dr. Nahlah Saimeh, ärztliche Direktorin am LWL Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt.
    Paragraf 63 des Strafgesetzbuches regelt die Unterbringung von Straftätern in psychiatrischen Krankenhäusern. Etwa 10.000 Straftäter befinden sich im Moment im Maßregelvollzug. Die meisten von ihnen wurden wegen schizophrener Psychosen eingeliefert, hinzu kommen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, gestörtem Sexualverhalten oder organisch bedingten psychischen Störungen.
    "Insbesondere Menschen mit klassischen psychischen Erkrankungen wie eben auch schizophrenen Erkrankungen, die können Sie im Grunde ja über einen mehr oder minder langen Behandlungszeitraum doch fast alle wieder entlassen. Es gibt aber auch eine kleine Gruppe von Menschen, von denen wir sagen müssen, dass das dauerhafte Gefahrenpotential wirklich allerschwerster Gewaltstraftaten doch so hoch bleibt, dass schwer zu verantworten ist, dass diese Menschen in Freiheit leben können."
    Das Ziel der Behandlung ist, die Gefährlichkeit eines psychisch kranken Straftäters zu vermindern, "auf nen Bereich, wie's letztendlich wir Normalpersonen, soweit man das sagen kann, haben."
    Viele finden nicht mehr zurück in die Gesellschaft
    Erklärt Professor Peer Briken vom Institut für Sexualforschung und forensische Psychiatrie in Hamburg. Wie hoch das Risiko für die Gesellschaft ist, ermitteln die Psychiater mit einer standardisierten Risikoerfassungsmethode:
    "Mit der wir zum einen die Risikofaktoren aus der Vergangenheit anschauen, also wie häufig jemand beispielsweise vorbestraft wurde und wo wir uns dann als nächsten Schritt anschauen, was hat der im Moment für Risikofaktoren, zum Beispiel so was wie ein sexuelles Interesse an Kindern und was gibt es ganz akut für Faktoren. Beispielsweise ist das jemand, der ständig alkoholisiert irgendwo aufgefunden wird, wo wir dann davon ausgehen, dass das die Fähigkeiten zur Selbstkontrolle in irgendeiner Form beeinträchtigen könnte. "
    Auf dieser Basis entscheiden die Psychiater, wie intensiv ein Straftäter therapiert wird. Die meisten Sexualstraftäter werden mit Psychotherapie oder Sozialtherapie behandelt. In manchen Fällen kommen auch Psychopharmaka zum Einsatz: etwa 10 bis 15 Prozent bekämen Testosteronhemmer, 10 Prozent Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, so Briken. Beide sollen den Sexualtrieb dämpfen.
    "Die Rückfallraten insgesamt für die Sexualstraftäter in dem Bereich mit Straftaten, wo's um Vergewaltigung und Kindesmissbrauch geht, sinken in den letzten Jahren weltweit, also in der westlichen Welt, da wo wir das sagen können. Für den deutschsprachigen Raum sind die Rückfallraten für einen Zeitraum von 5 Jahren nach Entlassung etwa bei 5 bis10 Prozent.
    Auch wenn psychisch kranke Straftäter erfolgreich therapiert werden können, finden sie oft nur schwer in die Gesellschaft zurück, so Nahlah Saimeh:
    "Da gibt es einfach einen Mangel an Einrichtungen, so dass dann Menschen in der Forensik bleiben, weil es einfach keinen richtig guten Ort gibt, wo sie sonst leben könnten. Das ist eine Gruppe von Menschen, die schwer vermittelbar ist nach außen, auch dann wenn man sie entlassen kann und wir haben als Gesellschaft die Pflicht, an der Rehabilitation mitzuwirken."