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Formkonstrukteur der Musik

Alban Berg hat nur wenige Kompositionen hinterlassen, darunter aber solche Meisterwerke wie die 1925 uraufgeführte Oper Wozzeck. Auch sein Violinkonzert trug dazu bei, dass der 1885 geborene Berg heute der meistgespielte Komponist der Wiener Schule ist.

Von Albrecht Dümling | 09.02.2010
    Wozzeck ist ein einfacher Soldat. Seinen Vorgesetzten bittet er um Verständnis für sein uneheliches Kind. Er ist zu arm, um alle Spielregeln der guten Gesellschaft einhalten zu können.

    Im Mai 1914 stieß Alban Berg in einem Wiener Theater auf das Dramenfragment Georg Büchners. Die historisch verbürgte Leidensgeschichte des Soldaten Wozzeck, der von allen ausgenutzt wurde und als Mörder endete, berührte ihn stark. Sogleich verwendete er sie für eine erste Oper. Die Melodie zu den Worten "Wir arme Leut'" ist darin ein Hauptthema.

    Erst nach dem Weltkrieg stellte Berg die Wozzeck-Partitur fertig, die er mit Hilfe Alma Mahler-Werfels drucken ließ. Er bot sie vielen Opernhäusern vergeblich an, bis sich Erich Kleiber für das anspruchsvolle Werk entschied. Die von ihm geleitete Uraufführung am 14. Dezember 1925 an der Berliner Staatsoper brachte Alban Berg den Durchbruch. Der Komponist Berthold Goldschmidt erinnerte sich Jahrzehnte später daran. Die 34 Orchesterproben und alle Aufführungen hatte er aus nächster Nähe erlebt, denn er spielte dabei die Celesta.

    "Die Uraufführung war auch ein Ereignis, das mir nicht so leicht aus dem Gedächtnis entschwinden wird. Der Komponist war anwesend und Alma Maria Mahler war anwesend mit ihrem Mann Franz Werfel. Und die saßen in der ersten Reihe bei den Proben und redeten immer in den Zwischenpausen auf Kleiber ein. Alban Berg äußerte sich nie. Er machte den Mund nicht auf und sah nur immer etwas melancholisch aus, was sowieso in seiner Natur war. Aber er musste mit dieser Aufführung außerordentlich zufrieden sein."

    In Bergs Opernversion wirkte der alte Stoff wieder neu und aktuell. Bis heute zählt Wozzeck zu den wichtigsten und meistgespielten Opern, wie der Impresario Gérard Mortier bestätigt.

    "Berg hat natürlich mit seiner Oper Wozzeck einen Meilenstein gesetzt für die ganze Musik des 20. Jahrhunderts."

    Der am 9. Februar 1885 als Sohn eines Kunsthändlers in Wien geborene Komponist war eine hochgewachsene, an Oscar Wilde erinnernde Gestalt. 15-jährig hatte er mit dem Komponieren begonnen, wobei Lieder zunächst ganz im Vordergrund standen.

    Ab Herbst 1904 nahm Alban Berg Kompositionsunterricht bei Arnold Schönberg, der ihn zu größeren Formen hinführte. Wohl auch wegen der ebenso strengen wie unaufdringlichen musikalischen Struktur seiner Wozzeck-Oper nannte ihn Igor Strawinski den begabtesten Formkonstrukteur des Jahrhunderts. Diese Qualitäten zeigen sich auch in seiner "Lyrischen Suite" für Streichquartett oder in der unvollendeten Oper "Lulu" nach Wedekind. Viel länger als Schönberg hielt Berg an der Tonalität fest, die er in seinem Violinkonzert mit der Zwölftontechnik versöhnte. Der Regisseur Volker Schlöndorff konnte dieses Konzert schon als Pariser Filmstudent nicht oft genug hören.

    "Das ist einfach diese tiefe Melancholie in der Musik drin, also irgendwie so der tragische Unterton - und das aber verbunden mit einer unglaublichen Dynamik."

    Sein Violinkonzert widmete Berg "dem Andenken eines Engels", womit er Manon Gropius meinte, die Tochter aus Alma Mahlers zweiter Ehe, die 1935 erst 18-jährig an Kinderlähmung gestorben war. Der Komponist ahnte nicht, dass er damit sein eigenes Requiem schrieb. Als das Konzert 1936 in Barcelona uraufgeführt wurde, lebte er nicht mehr. Am 24. Dezember 1935 war Alban Berg gerade 50-jährig einer Blutvergiftung erlegen.