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Forsa-Chef: Röttgen passt aus Sicht der Wähler nicht nach NRW

Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Norbert Röttgen hätte sich im Wahlkampf deutlicher zu seinem Bundesland bekennen sollen, meint der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner. Ihm würden die Wähler nicht zutrauen, das Land zu repräsentieren.

Christiane Kaess im Gespräch mit Manfred Güllner | 12.05.2012
    Christiane Kaess: Morgen Abend wissen wir, wer die Wahl gewonnen hat - Umfragen sehen die Union bei 30 bis 34 Prozent, die SPD bei 34 bis 38 Prozent. Im direkten Vergleich würden 57 Prozent der Wähler für die amtierende SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft stimmen und 28 Prozent für den CDU-Spitzenkandidaten und Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Sollten sich die Umfragen bestätigen, könnte Hannelore Kraft aus der gescheiterten rot-grünen Minderheitsregierung eventuell eine Mehrheitsregierung machen. Rein theoretisch gibt es demnach aber auch andere Möglichkeiten: eine Ampel mit SPD, Grünen und FDP - dagegen hat sich FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner allerdings schon ausgesprochen -, eine große Koalition scheint möglich oder wieder eine Minderheitsregierung. Die große Unbekannte der Landtagswahl morgen ist die Anzahl der Parteien, die den Sprung in den Landtag schaffen können, und darunter sind auch die Piraten.

    Am Telefon ist Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Guten Morgen, Herr Güllner!

    Manfred Güllner: Ja, schönen guten Morgen!

    Kaess: Herr Güllner, großes Thema im letzten NRW-Wahlkampf 2010 war die Schul- und die Bildungspolitik. Ist der Schwerpunkt jetzt zur wirtschaftlichen Situation gerutscht, also zu den Schulden in NRW, so wie CDU und FDP das gerne hätten?

    Güllner: Na, die Bildungspolitik ist nach wie vor ein großes Problem in den Augen der Menschen an Rhein und Ruhr, nicht nur dort, aber gerade auch hier. Das ist auch nicht dadurch geringer geworden, dass man einen Schulkompromiss gefunden hat. Und hier geht es ja immerhin um die Zukunft der Kinder und der Enkel, und das interessiert deshalb doch große Teile der Bürgerinnen und Bürger hier. Aber die ökonomischen Probleme sind natürlich nach wie vor wichtig, und dazu gehört auch die Finanzausstattung des Staates, das heißt, des Bundes, aber auch der Länder und gerade der Kommunen. Man hat ja doch Befürchtungen, dass, wenn die Städte und Gemeinden nicht mehr genügend Geld zur Verfügung haben, dass dann Leistungen gekürzt werden, dass die Schlaglöcher aus dem Winter nicht zugemacht werden können, dass die Schulklassen nicht mehr angestrichen werden können, dass Freizeiteinrichtungen, kulturelle Einrichtungen geschlossen werden müssen. Also das ist auch schon ein Problem, was die Menschen bewegt.

    Kaess: Hannelore Kraft wurde ja von ihren politischen Gegnern gern als Schuldenkönigin bezeichnet, das schlachten die CDU und FDP jetzt im Wahlkampf aus und versuchen eben, das Thema Finanzen zentral zu stellen. Aber sollten sich die Umfragen bestätigen, scheint dieses Thema die Wähler ja weniger zu bewegen.

    Güllner: Das ist eben nicht die Art und Weise, wie man den staatlichen Haushalt zusammenstellt, das ist für die meisten ja etwas Abstraktes, etwas, was die Finanztechnokraten tun sollen. Und was die Menschen bewegt, ist eben die Angst davor, dass das Geld nicht da ist oder falsch ausgegeben wird. Aber die Schuldenkrise an sich, das ist etwas, was für die meisten wie gesagt etwas Abstraktes ist, und damit kann man in der Tat keine Wahlen gewinnen. Das mag für einige, etwa für die FDP-Klientel, FDP-Wählerklientel ... die denkt da ein bisschen anders, da kann man mit solider Finanzpolitik punkten, aber ansonsten geht es den Bürgerinnen und Bürgern darum, dass das, was sie dem Staat geben an Steuern, auch sinnvoll angewandt und ausgegeben wird.

    Kaess: Und wenn man sich jetzt die Umfragen ansieht - ist das ein Beleg dafür, dass Sparkonzepte bei den Wählern noch unpopulärer sind als Schulden machen?

    Güllner: Nein, ich glaube, hier geht es ja bei der Landtagswahl darum, wem die Menschen insgesamt zutrauen - und nicht nur bei dem Thema Finanzen -, das größte Bundesland in der Republik in der Zukunft vernünftig führen zu können. Und da beurteilt man den Zustand der einzelnen Parteien und ihrer Spitzenkandidaten. Und da kommt im Augenblick eben Hannelore Kraft, unabhängig von ihrer Finanzpolitik, insgesamt besser an. Sie ist nicht nur sympathischer, sondern man traut ihr auch mehr oder häufiger zu, dieses Land quasi repräsentieren zu können, als ihrem Gegenkandidaten Norbert Röttgen.

    Kaess: Wenn Sie das so sagen - ist das dann eine Wahl über Personen oder über Themen?

    Güllner: Personen spielten schon immer in der Wahlgeschichte der Bundesrepublik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine große Rolle, das darf man nie unterschätzen. Natürlich muss die Person auch zu der Partei passen, es muss sozusagen eine Einheit hergestellt werden. Aber Personen sind immer ganz entscheidend auf allen Politikebenen, ob das um die Bundespolitik, die Landespolitik oder auch die Politik in den Gemeinden geht.

    Kaess: Worin gründet sich denn die große Beliebtheit von Hannelore Kraft? Sie ist ja immerhin gerade mit einer Minderheitsregierung - auch kein unkompliziertes Konzept - gescheitert.

    Güllner: Ja, vielleicht sollte man kurz auf Norbert Röttgen noch mal blicken, denn es hängt ja auch immer davon ab, wie beliebt jemand ist, wie unbeliebt die Alternative ist. Und Norbert Röttgen passt nun zu diesem Land in der Einschätzung der Menschen wohl überhaupt nicht, weder der arbeitslose Stahlkocher in Dortmund, noch die katholische Oma in Köln, noch der sauerländische Sensenfabrikant, noch der Universitätsassistent in Bielefeld findet, dass Norbert Röttgen irgendwo zu diesem Land passt. Und da kann natürlich Hannelore Kraft strahlen bei einem solchen Gegenkandidaten. Sie ist diejenige, die eigentlich wenig Fehler gemacht hat. Sie hat vielleicht auch gar nicht so sehr viel gemacht, aber sie ... durch ihre Art, wie sie auftritt, hat sie einfach hier das Vertrauen der Menschen gewonnen.

    Kaess: Nehmen die Wähler Norbert Röttgen übel, dass er sich für den Fall einer Wahlniederlage nicht klar für NRW entschieden hat?

    Güllner: Ja, sicher, das hat man ja schon bei Frau Künast in Berlin gesehen, die gesagt hat, ich komme nur als Regierende Bürgermeisterin und sonst kehre ich Berlin wieder den Rücken. Und hier kann ja jeder fühlen, dass Norbert Röttgen gar nicht nach Nordrhein-Westfalen kommen will. Dann fragt man sich natürlich, warum hat er das Amt des Landesvorsitzenden überhaupt übernommen, obwohl damals schon klar war, dass ja irgendwann auch hier Neuwahlen anstehen können - also das ist ein ganz schwerer strategischer Fehler der CDU insgesamt, auch insbesondere von Norbert Röttgen, hier, ich sage mal etwas flapsig, herumzueiern und so zu tun, als würde er noch überlegen, ob er nach Nordrhein-Westfalen auch als Oppositionsführer kommt.

    Kaess: Inwiefern spielt denn seine Einlassung eine Rolle, die Landtagswahl sei auch eine Abstimmung über die Europapolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel? Ist das etwas, was nur die Politik interessiert, oder auch die Wähler?

    Güllner: Das ist vielleicht so ein letzter Versuch gewesen, noch mal zu mobilisieren, aber das ist natürlich ein völlig untauglicher Versuch, weil die Menschen an Rhein und Ruhr ja auch nicht dumm sind, die sind schlau wie alle anderen Wähler auch, sie wissen, es geht um die Mehrheit im Landtag in Düsseldorf, es geht nicht um Angela Merkel in Berlin, es geht nicht um die Rettung der Eurokrise, sondern es geht darum, wer ... wem kann man die Führung dieses Landes anvertrauen? Und da mit einem solchen Versuch hier, noch mal versuchen, zu punkten, das ist einfach überhaupt nicht sinnvoll, das wird von den Menschen auch nicht als opportunistischer Versuch gewertet.

    Kaess: Welche Signalwirkungen haben diese Wahlen jetzt in NRW für die Bundesebene?

    Güllner: Es ist ja eine unausrottbare Sichtweise, dass immer gesagt wird, Landtagswahlen haben auch Signalwirkung für die Bundespolitik, sie sind eine Testwahl für das, was in ... auf der Bundesebene passiert. Aber auch hier unterschätzt man die Menschen, die eben wissen, es ist eine Landtagswahl und keine Bundestagswahl, es ist auch keine Niederlage für Frau Merkel, wenn Herr Röttgen hier verliert. Insofern werden die Auswirkungen aus meiner Sicht und auch, wenn ich die historische Entwicklung angucke und etwa mir angucke, dass Herr Adenauer, der absolute Mehrheiten gewonnen hat auf Bundesebene, seine Partei immer Landtagswahlen verloren hat. Also ich denke, die Auswirkungen sind eher minimal.

    Kaess: Die FDP kann in Nordrhein-Westfalen offenbar von einem Lindner-Effekt profitieren, wenn man das so sagen kann. Kann davon auch die Bundes-FDP profitieren?

    Güllner: Da ist es vielleicht eine ... die einzige Ausnahme zu verzeichnen, dass in der Tat ein Lindner-Effekt festzustellen ist. Wir hatten ja gerade in der Woche Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen gemacht und gesehen, dass die FDP von zwei schon auf vier Prozent hochschnellt und nun alle Chancen hat, wieder in den Landtag einzuziehen. Und das ist eindeutig der Nominierung von Christian Lindner geschuldet, so auch der Person, genauso wie der Erfolg der FDP in Schleswig-Holstein Herrn Kubicki geschuldet ist, und beide Erfolge haben natürlich Auswirkungen auf die Situation der FDP. Und man sieht eben durch Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, dass die FDP nicht nur aus Herrn Westerwelle und Herrn Rösler besteht.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch kurz auf die Piraten, die sind auf einem wahren Siegeszug, ein Einzug in den Landtag wird ihnen in Nordrhein-Westfalen auf alle Fälle vorhergesagt. Würden die Wähler der Piraten ihre Partei denn gerne in Regierungsverantwortung sehen?

    Güllner: Das ist, glaube ich, den meisten Wählern der Piraten im Augenblick noch eher gleichgültig, denn was sich hier bündelt, ist ja der Unmut über die Art und Weise, wie viele Akteure in den anderen Parteien Politik machen. Und dieser Politikstil der Piraten ist das, was deren Wähler anzieht, und das sind ja keine Radikalen, das sind Leute, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen, die aber wirklich über die anderen Parteien so viel Groll haben, so viel Unzufriedenheit hegen, dass sie jetzt sagen: Hier habe ich die Piraten, das ist eine Hülle, wo ich meinen Unmut mit meiner Stimme hineintun kann.

    Kaess: Halten Sie das für ein vorübergehendes Phänomen oder für ein dauerhaftes?

    Güllner: Das ist zunächst mal ein Phänomen, was nicht kurzfristig verschwindet, weil dieser Unmut ja auch nicht verschwindet über die anderen Parteien. Nur: Der Praxistest für die Piraten steht aus. Wenn die mal fünf Jahre im Landtag in Nordrhein-Westfalen gesessen haben und in anderen Parlamenten, wenn sie in den Bundestag kommen, dann können sie nicht vier oder fünf Jahre lang sagen: Ich weiß nichts zu dem und dem, sondern dann müssen sie auch Antworten geben zu den Problemen, die wir ja anfangs auch angesprochen haben - ob das die Schulpolitik ist, ob das die Finanzierung des Haushaltes ist und so weiter.

    Kaess: Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Güllner!

    Güllner: Ja, bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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