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Forschen auf Zeit

Viele Doktoranden, Hilfskräfte und wissenschaftliche Mitarbeiter haben keine sichere berufliche Perspektive. Laut einer Studie haben 83 Prozent aller Beschäftigten an Hochschulen nur eine befristete Stelle und werden zudem schlecht bezahlt.

Von Lars Krupp | 19.05.2012
    Sonja Gipper hat ihren Traumberuf gefunden. Nach ihrem Examen hat die 34-Jährige in Linguistik am Max-Planck Institut promoviert. Inzwischen erforscht sie Sprachen, schreibt wissenschaftliche Artikel und unterrichtet Studenten.

    "Wenn man erstmal anfängt, zu promovieren und richtige Forschung macht, dann ist das natürlich sehr aufregend und macht auch sehr viel Spaß."

    Momentan ist sie Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Uni Köln und leitet mehrere Seminare und Übungen. Sie hat einen Vertrag für eine dreiviertel Stelle, muss aber deutlich mehr arbeiten.

    "Das Problem daran ist, dass man für die wissenschaftliche Arbeit neben der Lehre dann kein Geld bekommt, also, weil man das in seiner Freizeit macht. Dazu zwingt einen ja niemand, das ist in der Stellenbeschreibung ja nicht mit drin. Aber das muss man trotzdem machen, weil wenn man sich dann später bewirbt, sonst keine Stelle findet. Das möchte man auch, denn das ist ja das, was interessant ist an der wissenschaftlichen Forschung."

    In eineinhalb Jahren endet ihr Vertrag an der Uni Köln. Wie es dann weiter geht, weiß sie noch nicht. Wahrscheinlich wird sie umziehen müssen, in eine neue Stadt, in ein fremdes Umfeld.

    "Für mich ist es schwierig, das Leben zu planen. Alleine schon 'ne Wohnung einzurichten. Da überlegt man sich natürlich ob man das macht, oder nicht. Und für mich ist es so, ich möchte eigentlich nicht mehr weg aus Köln. Aber natürlich wäre jetzt der nächste Schritt in der Karriere natürlich nach diesem Job wo anders hinzugehen, weil eben diese Lehrkraftstellen nicht beliebig verlängert werden können. Das Problem ist eben, dass man keine Aussicht hat, eine feste Stelle irgendwo an einer Uni zu bekommen und das wirkt sich auf das Leben aus."

    Sonja Gipper ist kein Einzelfall. Eine Studie des Hochschul Informations Systems hat ergeben, dass 83 Prozent aller Beschäftigten an Hochschulen eine befristete Stelle haben. Damit die Wissenschaftler weiter in ihrem Traumberuf arbeiten können, müssen sie häufig den Ort wechseln, mit Phasen der Arbeitslosigkeit rechnen und können nur schwer eine Familie gründen.
    Bis zur Promotion sind die Arbeitsbedingungen noch schlechter. In vielen Fällen enden die Verträge der Nachwuchswissenschaftler nach weniger als einem Jahr.

    "Meine längste Befristung, obwohl ich da noch mal mit Nachdruck hinterher war, war eineinhalb Jahre. Die Situation ist so, dass ich eine Kollegin in Elternzeit vertreten habe, aber meine Chefin hat klar gesagt, dass bei mir auch Feierabend ist, wenn meine Kollegin wieder da ist. Sie soll dann die volle Stelle bekommen und wir können nicht halbe-halbe machen."

    Erzählt Melanie, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Auch bei ihr geht die Stellensuche immer aufs Neue los. Deshalb ist die Sorge vor einem sozialen Abstieg groß.

    "Ich zahl einerseits noch BAföG und Bildungskredit ab und andererseits muss nächstes Jahr der Kleine in die Kita. Das heißt, da ginge mehr als die Hälfte meines Gehalts weg, wenn man so rechnen will für die Infrastruktur drauf. Da sind halt große Sprünge nicht möglich und das, obwohl ich das Gefühl habe, dass ich eine volle Arbeitskraft bin."

    Viele Doktoranden, Hilfskräfte und wissenschaftliche Mitarbeiter haben keine sichere Perspektive, weil sie nur befristete Verträge bekommen. Außerdem werden sie trotz einer hohen Arbeitsbelastung schlecht bezahlt. Sie arbeiten Vollzeit, bekommen in vielen Fällen aber nur das Gehalt für eine halbe Stelle. Doktor Matthias Burchard von der Uni Köln beobachtet die Arbeitsbedingungen an Hochschulen mit großer Sorge.

    "Wenn aber immer die Vertragsverlängerung die nächste Hürde ist und auch noch Konkurrenzsituationen entstehen unter den Kollegen, ist das einer Bildungsatmosphäre und einer Arbeitsatmosphäre durchaus abträglich, bis hin zu dem Punkt, dass man auch Depressionen feststellt. Gescheiterte Promotionen, die einfach aus psychischen Gründen misslingen, weil die Leute nicht die Sicherheit und die Freiheit haben auch mal was auszuprobieren, die Zeitrahmen sind relativ eng gesteckt. Also, da ist das ganze System durchaus kontraproduktiv, was die Förderung wissenschaftlichen Nachwuchses angeht."

    Die Hochschulen argumentieren, sie müssten sparen. Befristete Arbeitsverträge seien nötig, um flexibel planen zu können. Sonja Gipper findet, dass sichere Perspektiven nicht nur den Mitarbeiten, sondern auch den Hochschulen nutzen würden:

    "Davon würden nicht nur wir, die Angestellten im Mittelbau profitieren, sondern auch die Studierenden, dadurch, dass sie eine kontinuierliche Betreuung hätten, sondern auch die Institute. Weil man sich sicherlich besser für ein Institut einsetzen kann, wenn man weiß, dass man dort länger beschäftigt ist. Also man kann eben längerfristig Projekte planen und längerfristige Aufgaben übernehmen. Wenn da das Personal immer wechselt, kann das auch für ein Institut nachteilig sein."