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Forschen im Ausland
Boston oder Berlin?

Wer forschen will, den zieht es in die USA – das ist seit Jahrzehnten so und wird wohl auch in Zukunft so bleiben. Und es ist gut, denn in Amerika lernen die deutschen Nachwuchswissenschaftler andere Arbeitsweisen kennen und können sich ein internationales Netzwerk aufbauen.

Von Thomas Reintjes | 24.08.2014
    Blick auf den East River mit Manhattan im Hintergrund, aufgenommen vom Ufer in Williamsburg, Brooklyn, New York am 22.06.2014.
    Die USA, hier New York City, sind und bleiben ein Magnet für die Wissenschaftler der Welt. (picture alliance / dpa / Alexandra Schuler)
    "Biermann hat gesagt: 'Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier.' Das hat er geschrieben, als er noch in der DDR war. Bei ihm war es eine andere Situation, ich bin ja nicht im Exil hier, ich bin ja vollkommen freiwillig hier."
    Peter Müller. Forscht seit 13 Jahren in den USA.
    "Aber ja, ich fühl mich so: Ich bin sehr gerne hier, aber ich wäre auch gerne dort."
    Brain Drain war vor rund zehn Jahren ein viel diskutiertes Schlagwort in der deutschen Wissenschaftspolitik: der Verlust der schlauesten und bestausgebildeten Köpfe an das Ausland.
    "Bei Vorträgen, die man hier hört, Seminaren, wird häufig reingerufen oder reingefragt, mal mit Melden, mal ohne Melden. Und damit ein sehr lebendiges Gespräch, ein lebendiger Vortrag angestoßen."
    Tobias Lenz, seit drei Jahren Post-Doc in Boston.
    "Und das kenne ich aus Deutschland gar nicht. Da wird der Vortrag erstmal bis zum Ende geführt, und am Ende kann man, wenn man Glück hat, noch ein paar Fragen stellen. Wenn die Frage relevant war, um den Vortrag zu verstehen, dann hat man halt Pech gehabt, dann ist man wahrscheinlich selber zu dumm dafür, oder so."
    Vor allem in den USA sahen Wissenschaftler bessere Chancen für sich und ihre Arbeit als in Deutschland. Standorte wie Boston mit dem MIT und der Elite-Universität Harvard oder Stanford und Berkeley in Kalifornien können sich bis heute konkurrenzlos nennen.
    "Damals, das war ja zwischen 1987 und 1999, waren die Voraussetzungen für die Forschung einfach optimal für mich."
    Barbara Conradt, nach rund 20 Jahren in den USA jetzt wieder in Deutschland.
    "Mir standen alle Türen offen. Es wurde an Bereichen geforscht, die mich absolut begeistert haben. Das Studium hat mich viel mehr motiviert, da habe ich zum ersten Mal gemerkt, wofür ich eigentlich studiere. Und ich glaube, das war für mich ausschlaggebend und hat dazu geführt, dass ich eine lange Zeit in den USA geblieben bin."
    Magnet für Forscher
    An keinem Ort in Europa gibt es eine derartige Häufung von Spitzenforschung. Wie ein Magnet wirken sie auf junge Forscher, die sich meist nach der Doktorarbeit in Richtung USA aufmachen, um dort ein paar Jahre als PostDoc zu verbringen. Gefördert werden die Auslandsaufenthalte oft von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, also mit Steuergeldern. Eine zweifelhafte Investition, wenn die Jungforscher nicht zurückkehren. Manche Top-Wissenschaftler sehen sich gar genötigt, Deutschland den Rücken zu kehren.
    "2001, da kam ich an das deutsche Emeritierungsalter. Und ich hatte, seitdem ich das Drama der Emeritierung meines Vaters erlebt hatte, da hab ich damals gedacht, also das möchte ich lieber vermeiden."
    Klaus Rajewsky, potenzieller Nobelpreiskandidat, ausgewandert mit Mitte 60.
    "Dann kam eben dieses Angebot aus Harvard. Und dann habe ich gedacht, dann mache ich das, bevor ich überhaupt in diese Emeritierungsproblematik komme."
    Vier deutsche Wissenschaftler, deren Karrierewege sich in Boston, an der US-Ostküste kreuzen, hin- und hergerissen von den Zwängen und Möglichkeiten der Forschungsstandorte Deutschland und USA.
    "Mein Name ist Doktor Peter Müller, ich komm aus Deutschland, ursprünglich, bin seit fast 13 Jahren jetzt in den USA, arbeite am MIT als Leiter der Röntgenkristallographischen Abteilung für das Institut der Chemie. Davor war ich in Los Angeles für drei Jahre. Der Plan war, ich gehe drei Jahre lang nach Los Angeles und als dann zwei von meinen drei Jahren um waren, ist mir aufgefallen, dass ich immer noch da war und ich hab dann angefangen, mich zu bewerben, nach Deutschland natürlich. Und da ist mir aufgefallen, dass die deutschen Unis immer erwarten, dass man selbst seine Reisekosten bezahlt. Die hatten alle erwartet, dass ich mir das selbst finanziere. Und als PostDoc hat man nicht so viel Geld, insofern hat das nicht geklappt."
    Anzahl deutscher Wissenschaftler in den USA: 13.000
    Anzahl deutscher Wissenschaftler mit Doktortitel in den USA: 6.500
    13.000 deutsche Wissenschaftler gibt es in den USA, die Hälfte von ihnen hat einen Doktortitel.
    Müller: "Ich hab dann ein Angebot vom MIT gekriegt, das man als Wissenschaftler nur sehr schwer ablehnen kann. Da kann man nicht Nein sagen. Insofern bin ich dann nach Cambridge, Massachusetts, gezogen. Und da bin ich seit ungefähr zehn Jahren."
    Ungewöhnliche Dichte an Universitäten
    "Ich bin Tobias Lenz, bin in Hamburg geboren und habe in Hamburg auch studiert und später meine Doktorarbeit gemacht. Und bin dann mit einem DFG-Stipendium hier nach Boston gekommen. Hier gibt es einmal sehr gute Universitäten und dann auch sehr viele Universitäten. Ich glaube, es gibt hier elf oder zwölf Universitäten allein in Boston, was natürlich eine ganz andere akademische Dynamik bringt. Im Vergleich zu Hamburg ist hier ein extrem dynamisches und inspirierendes Leben."
    Anzahl der weltweit 50 besten Universitäten, die sich in den USA befinden: 34
    Anzahl der weltweit 50 besten Universitäten, die sich in Europa befinden: 11
    Von den weltweit 50 besten Universitäten befinden sich 34 in den USA und nur 11 in Europa.
    Tobias Lenz: "Man könnte täglich zu zwei, drei interessanten Vorträgen gehen, die in benachbarten Instituten stattfinden zum eigenen Thema. Ein Vorteil ist auch, dass gerade hier in Boston viele sehr gute Wissenschaftler arbeiten, die man teilweise von Publikationen kennt und sonst vielleicht auf einer Konferenz treffen würde, wo man hier aber einfach mal über die Straße geht und sagt: 'Hallo, ich bin der und der und bin da und da dran interessiert und können wir nicht zusammen arbeiten?' Und viele sind dafür sehr offen, was ich auch aus Deutschland eher nicht so kenne: Diese Offenheit, Daten zu teilen und sogar eigene Ideen zu hinterfragen und neu zu beleuchten aus einer anderen Perspektive. Und das war für mich ein sehr toller Moment, als ich das so wahrgenommen habe und kennen gelernt habe. Und ich glaube, das macht das sehr attraktiv."
    "Mein Name ist Barbara Conradt und ich bin momentan Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität hier in München und ich habe einen Lehrstuhl für Zell- und Entwicklungsbiologie. Ich hab hier in Deutschland Agrarbiologie studiert und wollte eigentlich schon immer mal für eine längere Zeit ins Ausland. Dann gab es die Möglichkeit, mich für ein Stipendium zu bewerben, um für ein Jahr an die University of Massachusetts in Amherst, USA, zu gehen, habe mich beworben, habe das bekommen und somit ging's dann in die USA. Also ich muss sagen, ich war von meinem Studium in Deutschland nicht sehr begeistert, ich war keine motivierte Studentin. Und in den USA auf einmal wurde ich sehr motiviert, ich habe mich sehr für das Studium dort begeistert und hab mich dann sofort entschlossen, das Studium dort, in den USA, fertig zu machen."
    Ausgaben deutscher Hochschulen pro Student im Jahr 2009: 16.000 Dollar
Ausgaben US-amerikanischer Hochschulen: 27.000 Dollar
    US-amerikanische Hochschulen gaben ihm Jahr 2009 pro Student 27.000 Dollar aus, deutsche nur 16.000 Dollar
    Barbara Conradt: "Ich habe dann zuerst meinen Master fertig gemacht und bin dann danach für eine Promotion an die University of California nach Los Angeles gegangen. Nach der Promotion dann habe ich mir gedacht: Ich suche mir den bestmöglichen Postdoc und das war am MIT. Und dann hat es mich von der Westküste wieder an die Ostküste gezogen. Also ich denke, damals, das war ja zwischen 1987 und 1999, waren die Voraussetzungen für die Forschung einfach optimal für mich. Mir standen alle Türen offen. Es wurde an Bereichen geforscht, die mich absolut begeistert haben. Und ich weiß noch, meine Mutter hat damals schon gesagt: 'Du wirst nie wieder kommen.' Und das hat sich dann fast als Wahrheit herausgestellt."
    "Mein Name ist Klaus Rajewsky, ich bin Immunologe und Genetiker und arbeite zur Zeit am Max-Delbrück-Zentrum in Berlin-Buch, eine Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft. Ich hab ja 38 Jahre lang in Köln gearbeitet, an der Universität Köln, in einem Institut, das hieß Institut für Genetik, das war der Platz, wo damals in der Nachkriegszeit die begabten jungen Leute aus Amerika hinkamen, um wieder in Deutschland Molekularbiologie zu betreiben. Das war sozusagen ein Platz, wo man hin ging."
    Dreht sich der Trend?
    Zahl der Zuwanderer nach Deutschland mit Hochschulabschluss um 1970, durchschnittlich pro Jahr: 800
    Zahl der Zuwanderer nach Deutschland mit Hochschulabschluss um 1980, durchschnittlich pro Jahr: 4000
    Zahl der Zuwanderer nach Deutschland mit Hochschulabschluss um 2010, durchschnittlich pro Jahr: 30.000
    Um 1970 herum wanderten pro Jahr im Schnitt 800 Menschen mit Hochschulabschluss nach Deutschland ein. Um 1980 waren es 4000 Akademiker pro Jahr. Zwischen 2007 und 2010 lag der Jahresdurchschnitt bei 30.000 Einwanderern mit Hochschulabschluss.
    Rajewsky: "Und dann 2001, da kam ich also an das deutsche Emeritierungsalter. Und ich hatte, seit ich das Drama um die Emeritierung meines Vaters erlebt hatte... Seinerzeit hatte ich mir geschworen, dass ich das Problem jedenfalls vermeiden wollte. Mein Vater war Direktor von einem Max-Planck-Institut in Frankfurt und der wollte halt nicht gerne emeritiert werden. Und dann ergab sich da eben eine Situation mit Härten und unangenehmen Aspekten. Und da habe ich damals gedacht, das möchte ich lieber vermeiden. Dann kam eben dieses Angebot aus Harvard, und dann habe ich gedacht: Dann mache ich das, bevor ich überhaupt in diese Emeritierungsproblematik komme. Und in Harvard bekam ich dann meinen Vertrag, da stand drin: Without limit of time, ohne Zeitbegrenzung, was natürlich ein bisschen paradox ist, aber das war angenehm."
    Seit 2001 hat sich in Deutschland einiges verändert. Nicht nur das Problem der Zwangsemeritierung wurde entschärft. Die gleichen Organisationen, die jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen dabei helfen, ins Ausland zu gehen - der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD und die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG - bemühen sich inzwischen auch verstärkt darum, diese Wissenschaftler wieder zurückzugewinnen. Sie wissen: Wissenschaftler mit internationaler Erfahrung leisten im Schnitt bessere Arbeit. Aber sie wissen auch, dass die Gefahr besteht, dass die Nachwuchsforscher den Weg zurück nicht finden. Im deutschen Generalkonsulat in Boston hat das Auswärtige Amt sogar extra einen Mitarbeiter dafür abgestellt, mit den deutschen Wissenschaftlern vor Ort Kontakt zu halten. Das Spannungsfeld heute: In den USA mangelt es zunehmend an Geld, dafür fehlen in Deutschland Karriereperspektiven. Und wer jahrelang nicht im deutschen Wissenschaftsbetrieb war, für den kann die Rückkehr ungeahnte Hürden bereithalten.
    Peter Müller: "Mir fehlt Deutschland. Ich würde sofort zurückgehen, wenn sich eine gute Möglichkeit böte. Aber ich bin eigentlich gerne Akademiker und würde gerne in eine akademische Stelle. Und solche Stellen werden rar. Der Mittelbau in Deutschland wird zusammen gestrichen. Wenn ein Kristallograph - gut, die sind ja alle beamtet - wenn die in Ruhestand gehen, wird die Stelle erst einmal gesperrt und dann meistens gestrichen, oder wenn sie neu besetzt wird, als halbe Stelle besetzt. Oder wenn es eine volle Stelle ist, hat dann der Kollege auch noch andere Sachen zu tun, die überhaupt nichts mit Kristallographie zu tun haben. Ja, ich wäre gern in Deutschland im Mittelbau, aber nicht zu den Gehältern und außerdem gibt's die Stellen kaum noch, bedauerlicherweise."
    Tobias Lenz: "Es ist ja hier in den USA so, dass es dieses Tenure-Track-System gibt. Man macht häufig so ein bis zwei PostDocs, also zwei bis vier Jahre vielleicht PostDoc, je nach dem wie gut die Publikationen sind, die man schafft. Und kann sich dann bewerben auf diese Assistenzprofessuren, die dann im allgemeinen, wenn man den Platz bekommt, einem ermöglichen, nach Evaluation nach ein paar Jahren, eine feste Stelle an der Uni zu bekommen. Und das ist zwar sehr attraktiv, weil man schon planen kann: OK, wenn ich diese Stelle hab, dann kann ich potenziell hier für immer bleiben. Die sind natürlich aber sehr stark umkämpft diese Stellen, gerade an den guten Unis."
    Barbara Conradt: "Nach dem PostDoc geht man dann eigentlich in Assistenzprofessuren über in den USA. Ich hab mich dann aber entschlossen, wieder nach Europa zu gehen. Es war für mich schon schwierig, hier auch Fuß zu fassen, und ich glaube, ich hab mir das damals nicht so schwierig vorgestellt."
    Rückkehr stößt auf Hürden
    Lenz: "Ich hatte jetzt gerade persönlich ein Erlebnis, wo ich mich auf eine Juniorprofessur beworben habe an einer der besseren Exzellenzunis in Deutschland und auch eingeladen wurde und dann am Ende auf der Berufungsliste auch auf den zweiten Platz gekommen bin, aber der erste Platz an eine Person ging, die aus dem Hause, die direkt schon in der Abteilung arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter... Und objektiv betrachtet, vom Lebenslauf her und von der Publikationsliste her, habe ich eigentlich mehr zu bieten. Das klingt jetzt vielleicht doof, und ich möchte kein schlechter Verlierer sein, aber das gibt einfach so ein schlechtes Gefühl, wenn jemand eben aus der gleichen Abteilung dann diese Stelle kriegt. Die Stelle war sowieso schon sehr eng beschrieben, also fast perfekt passend auf dieses Profil von der Person. Und ich hab jetzt mit mehreren Leuten gesprochen und das scheint durchaus üblich zu sein, dass Juniorprofessuren aus dem eigenen Haus heraus besetzt werden. Und das ist natürlich ein katastrophales Signal an Leute im Ausland, auch an Deutsche im Ausland, die ja kein eigenes Netzwerk erstmal haben oder kein so starkes, die nicht an einer Uni dort arbeiten und das heißt immer benachteiligt werden gegenüber Leuten aus dem eigenen Haus. Und wenn man das hört, wenn sich das verbreitet, dann wird es noch weniger Leute geben, die wieder zurück wollen nach Deutschland."
    Anteil deutscher Forscher, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehren, in Prozent: 60
    Anteil US-amerikanischer Forscher, die aus dem Ausland in die USA zurückkehren, in Prozent: 74
    Nur 60 Prozent der deutschen Forscher, die ins Ausland gehen, kehren nach Deutschland zurück. US-Amerikaner kehren zu 75 Prozent aus dem Ausland in die USA zurück.
    Lenz: "Das war für mich schon ein sehr verblüffendes Erlebnis."
    Conradt: "Also für mich war der Übergang vom MIT, von meiner Postdoktorandenzeit zu meiner Zeit als Nachwuchsgruppenleiterin eine schwierige Zeit. Dadurch, dass es eine unabhängige Nachwuchsgruppenstelle war, wo man nicht so Mentoring oder Unterstützung hat wie man das hätte in den USA, mit einer Assistenzprofessur. Aber ich hab mich dann ja auch sehr schnell wieder in Richtung Amerika bewegt. Sobald ich ein Angebot hatte auf eine Assistenzprofessur bin ich dann vom Max-Planck-Institut wieder in die USA zurückgegangen. Dort ging ich an eine Uni mit einer Assistenzprofessur, Tenure Track. Das heißt, dass die Fakultät, die mich berufen hat, wirklich für mich auch eine langfristige Perspektive mir bieten konnte. Tenure Track bedeutet ja, dass man von einer Assistenzprofessur auf eine Associate Professur und dann Full Professur befördert werden kann, wenn man sich bewährt in Forschung und Lehre."
    Lenz: "Parallel gibt es eben so etwas wie Juniorprofessuren, die ja ausgeschrieben werden in Deutschland, immer noch. Und das ist eigentlich gedacht als Parallele zu dieser Assistenzprofessur, die es hier gibt in den USA, aber eben sehr viel nackter, weil man vor allem diese Tenure-Track-Option sehr selten nur hat. Das heißt, man kriegt diese Stelle, man hat einen netten Professorentitel, was natürlich hübsch ist, aber einem letztendlich dann bei der Forschung nicht so viel hilft, und man hat nur diese sechs Jahre, vier Jahre plus Evaluation. Sechs Jahre, das heißt man muss danach im Prinzip wieder neu was suchen und ziemlich sicher nicht an der gleichen Uni."
    Amerikanische Universitäten wollen Nachwuchs halten
    Rajewsky: "In Amerika ist es im Gegenteil so, dass gerade die Top-Institutionen interessiert daran sind, dass die besten jungen Leute, die die selbst rekrutiert haben, dass die auch wirklich dann da bleiben können. Das ist eine völlig andere Einstellung."
    Conradt: "Tenure Track wird ja auch versucht in Deutschland einzuführen, das gibt es auch, aber nicht flächendeckend, wie es in den USA der Fall ist. Und ich denke wirklich, das hat mir als Nachwuchswissenschaftlerin sehr, sehr geholfen, war vielleicht auch essenziell um mich zum Erfolg zu bringen. Da hat man einfach Zeit und man weiß, die Fakultät hat langfristig Interesse an mir, investiert auch in mich durch Mentoring, durch Unterstützung bei Drittmittelanträgen, in der Lehre, bei der Betreuung von Doktoranden. Und das gibt einem schon eine gewisse Perspektive, die längerfristig ist und die auch vielleicht mehr Vertrauen dann erweckt. Und ich weiß nicht, muss ich ehrlich sagen, ob ich in Deutschland überlebt hätte."
    Lenz: "Das heißt, man kann sich mit einer Familie zum Beispiel nicht hinsetzen und sagen: Hier bleiben wir jetzt, hier bauen wir unsere Familie auf, hier geht unser Kind jetzt zur Schule und alles wird gut. Sondern man muss damit rechnen, dass man nach sechs Jahren eben wieder los muss und wieder eine neue Stelle finden muss. Und das macht es wesentlich unattraktiver im Vergleich zu dieser Assistenzprofessur mit Tenure-Track-Option."
    Conradt: "Ich denke, dass dieses Tenure-Track-System mit ein Grund ist, weshalb es in den USA mehr Frauen mit einer Professur gibt."
    Frauenanteil unter deutschen Wissenschaftlern, in Prozent: 25
    Frauenanteil unter US-amerikanischen Wissenschaftlern: unbekannt.
    Frauenanteil unter britischen Wissenschaftlern, in Prozent: 38
    Über den Frauenanteil in der US-Wissenschaft gibt es keine Statistik. Unter britischen Wissenschaftlern sind 38 Prozent Frauen. In Deutschland liegt der Anteil bei 25 Prozent, einer der niedrigsten in Europa.
    Tenure Track bietet eine langfristige Perspektive. Was nicht enthalten ist: Eine üppige Ausstattung mit Geld. Die jungen Professoren müssen sich um staatliche oder private Fördergelder bewerben. Dass die fließen, davon hängt nicht nur ihre eigene Forschung ab, sondern auch die ihres Teams.
    Forschung hängt in den USA von Drittmitteln ab
    Conradt: "Dadurch dass in den USA ja oft die Gehälter zum Teil auch von Drittmitteleinwerbungen abhängen - also ich musste 50 Prozent meines Gehalts auch selbst als Full Professor durch Drittmittel einbringen. Und die Vorstellung, dass 50 Prozent meines Gehalts weg fallen, wenn ich diese Anträge nicht durchkriege, das ist schon ein Stress, den man nicht unbedingt haben will."
    Rajewsky: "Das Wichtigste beim Wissenschaft Betreiben ist eigentlich, dass man eben Zeit und Raum und Geld dafür bekommen kann, dass man seine eigene Fantasie spielen lässt."
    Conradt: "Dadurch dass die Professuren in den USA zum großen Teil nackte Professuren sind, hängen die Gehälter aller Mitarbeiter, alle Gelder für Verbrauchsmittel, alles von Drittmitteln ab. Und wenn die Drittmittel eben nicht mehr da sind, dann hört die Forschung auf."
    Müller: "Wenn die Fördermittel gekürzt werden oder wegfallen, dann stehen die Doktoranden auf der Straße. Das ist zum Teil übel. Klar ist das nicht mehr so attraktiv wie es mal war. Die privaten Unis haben wesentlich mehr Geld und da wird vieles aufgefangen, aber auch hier am MIT, eine von den ganz großen in der Naturwissenschaft, ist das Geld knapp. Das Geld wird abgezogen, die staatlichen Fördermittel werden abgezogen von den Wissenschaften hin mehr zur Rüstungswissenschaft. Verteidigungsmittel werden ja kaum gekürzt hier. Wenn man ein Projekt hat, das Terrorismusbekämpfung irgendwo drin stehen hat, hat man viel bessere Chancen, gefördert zu werden. Reine Wissenschaft, die nicht unbedingt landesverteidigungsrelevant ist, wird weniger gefördert. Und dass das Land davon profitiert, dass die Wissenschaft gut ist und auch gut bezahlt ist, das wird zum Teil nicht so gesehen. Ja, in der Tat, Amerika wird weniger attraktiv, ist weniger attraktiv geworden im Verlauf der letzten fünf bis zehn Jahre, das ist mir schon aufgefallen."
    Rajewsky: "Als ich nach Amerika kam, das war 2001, da war die finanzielle Situation für meine Art von Forschung in Amerika extrem gut. Also, man kam wirklich leicht an Forschungsgelder und alles war im Wachstum begriffen. Und dann nach zehn Jahren hatte sich die Situation wirklich deutlich geändert. Jetzt sind die Forschungsgelder viel knapper geworden, die Budgets stagnieren oder gehen leicht runter."
    Rückgang staatlicher Ausgaben der USA für Forschung und Entwicklung seit 2010, in Prozent: 15
    Rückgang staatlicher Ausgaben der USA für Forschung und Entwicklung seit 2010, in Dollar: 24 Milliarden
    Staatliche Ausgaben der USA für Forschung und Entwicklung sind zwischen 2010 und 2014 um 15 Prozent gesunken. Das entspricht einem Rückgang um 24 Milliarden Dollar.
    Rajewsky: "Ich mache Forschung, die mit genetisch veränderten Mausstämmen zu tun hat. Das ist eine sehr aufwändige Forschung, die kostet also viel Geld für Infrastruktur. Und es war einfach klar für mich, dass auf Dauer diese Art von Forschung in dem Ausmaß wie ich sie machte, mit normalen Forschungsanträgen in Amerika nicht würde finanziert werden können."
    Conradt: "Das hat die ganze Situation in den USA sehr aggressiv gemacht, auch unter den Wissenschaftlern. Und es fallen viele Wissenschaftler, die hervorragend sind, aus dem System."
    Rajewsky: "Das Paradoxe war ja das: Als ich dann zehn Jahre in Amerika, in Boston geforscht hatte und gearbeitet hatte, da bekam ich dann plötzlich ein Angebot von dem Max-Delbrück-Zentrum in Berlin.
    Positiver Trend in Deutschland
    Peter Müller: "Es ist eine fürchterliche Unordnung hier. Das ist gewachsen über zehn Jahre. Das sind verschiedene Sedimentierungsschichten, hier auf meinem Schreibtisch. Ich bin hier zuhause auf diesem Schreibtisch oder unter diesem Schreibtisch – auf ist gar kein Platz mehr. Hier weg zu gehen ist schwierig, beruflich. Insofern: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich hier mein Leben beenden werde, aber vermutlich werde ich meine Karriere hier beenden.
    Conradt: "Ich wurde dann angesprochen auf eine Ausschreibung hier von der LMU auf einen Lehrstuhl für Zell- und Entwicklungsbiologie. Und am Anfang wollte ich mich überhaupt nicht bewerben. Mir hat es sehr gut gefallen, wo ich war, war zufrieden, hatte super Kollegen, hab mich dann aber doch beworben, weil ich gedacht habe: Vielleicht, wenn ich eine Zusage bekomme, kann mir das auch in den USA helfen. Dann bin ich also hierher eingeladen worden und war, muss ich sagen, sehr sehr positiv überrascht, wie sich der Münchner Standort in diesen acht Jahren, in denen ich dann wieder in den USA war, verändert hat. In vielen Hinsichten: Mir kam es viel internationaler vor, es waren auch mehr Frauen, mehr Kolleginnen da. Die Vernetzung schien viel stärker geworden zu sein, zwischen den einzelnen Lehrstühlen, aber auch zwischen universitären Bereichen und Max-Planck-Instituten und Helmholtz-Zentren zum Beispiel. Mir kam es vor wie wenn hier sich ganz viel getan hätte in diesen acht Jahren. Und das fand ich sehr positiv und es hat mich letztendlich dann auch dazu bewogen, dann doch wieder hierher zu kommen."
    Rajewsky: "Es ist ganz klar, dass in Deutschland insbesondere, aber auch ich muss sagen in Europa, die Situation für die Forschung sich meiner Meinung nach stark verbessert hat. In Deutschland gab es ja dieses Instrument der sogenannten Exzellenzinitiativen. Das habe ich von Boston aus wirklich erlebt, wie in Deutschland das zu einem ungeheuren, begeisterten Aufschwung führte, wo die Leute anfingen, miteinander zu konkurrieren und zu sagen: Wir machen jetzt einmal hier etwas Neues und wir sind besser als andere, und so weiter. Was eigentlich bis heute sich fortsetzt, und wo man bis heute noch den neuen Geist spürt."
    Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am deutschen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2001, in Prozent: 2,5
    Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am deutschen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2011, in Prozent: 2,9
    Ausgaben für Forschung und Entwicklung hatten im Jahr 2001 einen Anteil von 2,5 Prozent am deutschen Bruttoinlandsprodukt. Zehn Jahre später, im Jahr 2011 waren es 2,9 Prozent.
    Klaus Rajewsky: "Und in Europa, da gab es ja auch eine wirklich tolle, neue Entwicklung, und das war die Gründung dieses so genannten Europäischen Forschungsrates, der heißt ERC, European Research Council, wo nämlich die europäischen Staaten Geld einzahlen für Forschungsförderung, und wo aber jetzt nicht nach irgendwelchen Schlüsseln von nationalen Paritäten oder so, sondern einzig und allein aufgrund von wissenschaftlicher Qualität Forschungsanträge von einzelnen Forschern potenziell gefördert werden können."
    Tobias Lenz: "Also Drittmittel einwerben von NSF und NIH ist schwierig. Und die Erfolgschancen liegen, so weit ich weiß, unter zehn Prozent. Und das ist schon enorm, wenn man als PostDoc eben darauf angewiesen ist für den nächsten Schritt und dann weniger als zehn Prozent Chance hat, ist das schon hart. Und da ist dann eben Deutschland tatsächlich wieder attraktiver, weil eben Deutschland im Moment zumindest eine gesündere und besser geförderte Drittmittelforschung bietet, also einfach mehr Geld zur Verfügung ist für weniger Forscher und man dadurch gerade als junger Forscher auch eine gute Chance hat, was zu bekommen, um sein eigenes Ding aufzubauen."
    Amerika weiterhin im Vorteil
    Ein großer Teil des staatlichen Forschungsbudgets wird in den USA über die National Science Foundation, NSF, und die National Institutes of Health, NIH, verteilt. Als der Staat im Oktober 2013 für mehr als zwei Wochen alle Finanzmittel einfror, beim so genannten Government Shutdown, waren auch Wissenschaftler betroffen. Viele Labors blieben geschlossen, bei der NASA stand die Forschung still, Wissenschaftler konnten nicht zu Konferenzen fahren oder zu Forschungsreisen, etwa in die Antarktis, aufbrechen. In Langzeitstudien klaffende nun Datenlücken. Nicht nur konkrete wissenschaftliche Arbeit wurde dadurch beschädigt, sondern auch die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts USA insgesamt.
    Peter Müller: "Natürlich wird Amerika weniger attraktiv. Man muss nur sehen: Ist Deutschland gleichzeitig attraktiver geworden? Ich meine: Nein. Ist Deutschland unattraktiver geworden? Das kann ich schlecht beurteilen von hier, ich meine ja, aber das ist nicht besonders gut fundiert. Ich hab das Gefühl, dass Deutschland weniger attraktiv geworden ist im gleichen Zeitraum. Vermutlich ist Deutschland weniger weniger attraktiv geworden als Amerika weniger attraktiv geworden ist, aber die ganze Sache ist ja ein Gleichgewicht. Ist Amerika nach wie vor attraktiver für junge Wissenschaftler als Deutschland? Ich meine unbedingt."
    Lenz: Wollen wir zurück oder wollen wir hier bleiben? Und wir fühlen uns hier eigentlich sehr wohl, in Boston. Für mich wäre die Forschung hier wesentlich interessanter... Und was letztlich der Hauptfaktor ist zurück zu gehen ist: Familie und Freunde in Deutschland. Und langfristig der Wunsch, dass unser Kind in Deutschland aufwächst, auch."
    Anteil deutscher Wissenschaftler mit Auslandserfahrung, die im Jahr 2011 bessere Forschungsförderung als wichtigen Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland nennen, in Prozent: 40
    Anteil deutscher Wissenschaftler mit Auslandserfahrung, die bessere Karrieremöglichkeiten als wichtigen Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland nennen, in Prozent: 50
    Anteil deutscher Wissenschaftler mit Auslandserfahrung, die persönliche oder familiäre Belange als wichtigen Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland nennen, in Prozent: 72
    Nur 40 Prozent der deutschen Wissenschaftler mit Auslandserfahrung, gaben im Jahr 2011 bessere Forschungsförderung als wichtigen Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland an. Bessere Karrieremöglichkeiten spielten für die Hälfte der Befragten eine entscheidende Rolle. Die meisten, 72 Prozent, nannten persönliche oder familiäre Belange als wichtigen Grund für ihre Rückkehr nach Deutschland.
    Tobias Lenz: "Wenn das Geldproblem nicht wäre, würde ich definitiv überlegen hier zu bleiben. Außer, die privaten Gründe, die da noch mit reinspielen."
    Barbara Conradt: "Ich hab es bis jetzt noch nicht bereut, nach 20 Jahren USA mich langfristig jetzt wieder in Deutschland hier niederzulassen. Und ich bin wirklich optimistisch, dass es auch für Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen in Zukunft hier mehr Möglichkeiten und mehr Karrierewege geben wird."
    Der Brain Drain ist fast vergessen, Europa und Deutschland sind wieder attraktiver, auch wenn Politik und Hochschulen noch nicht alle Hausaufgaben gemacht haben. Fachleute sprechen heute von Brain Circulation. Sie wissen, dass Wissenschaftler Auslandserfahrung brauchen. Und da sind die Deutschen gut aufgestellt. Drei von fünf deutschen Forschern sind oder waren im Ausland, aber nur einer von fünf Amerikanern.
    Tobias Lenz: "Die Offenheit, Daten und Ideen zu teilen, das würde ich gerne mitnehmen."
    Barbara Conradt: "Also mit diesen Hierarchien in Deutschland habe ich manchmal schon zu kämpfen."
    Peter Müller: "In Göttingen damals war ich als Fachschafter aktiv und habe sehr gekämpft gegen Studiengebühren, das sehe ich inzwischen anders: Studiengebühren haben ihr Gutes."
    Klaus Rajewsky: !Dass die Leute dort alle denken, sie sind selbst die Schmiede des eigenen Glücks. Sie müssen es selbst machen. Das fand ich auch ungeheuer belebend."