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Forscher rücken einer Impfung gegen Krebszellen näher

Der Krebsforscher Volker Schirrmacher arbeitet an einer Impfung gegen die Krankheit: Individuell präparierte körpereigene Zellen werden in einen Tumor eingeimpft und töten die bösartigen Zellen ab. Das Verfahren ist teuer und funktioniert nicht immer - doch Schirrmacher wirbt für eine Zulassung.

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 24.02.2012
    Christoph Heinemann: Wissenschaftlerinnen und Forscher sprechen gegenwärtig, während des deutschen Krebskongresses in Berlin, über Therapieformen und über die Vorsorge gegen Krebs. Die Spritze gegen Krebs gibt es nicht, hoffentlich können wir sagen noch nicht, aber es gibt immerhin bereits Impfungen gegen Krebszellen, die das Leben von Krebspatientinnen und –Patienten zumindest verlängern können. Der Impfstoff wird aus dendritischen Zellen gewonnen. Dendritische Zellen, das sind körpereigene Killerzellen, die scharfgemacht und via Blutbahn auf Tumorzellen angesetzt werden können. Diese Impfung ist bislang für die allgemeine klinische Anwendung nicht zugelassen, und dass sich das ändern möge, dafür wirbt unter anderem Professor Volker Schirrmacher, der wissenschaftliche Direktor der Tumor-Immunologie am immunologischen und onkologischen Zentrum Köln. Das ist eine private Praxis. Vor der Sendung habe ich Professor Schirrmacher gefragt, über welche Eigenschaften diese dendritischen Zellen verfügen.

    Volker Schirrmacher: Wie der Name sagt, haben diese Zellen ganz besondere Ausläufer, so ähnlich wie Nervenzellen. Aber im Unterschied zu Nervenzellen sind sie überall in unserem Organismus verbreitet, in der Haut und in vielen anderen Geweben sind diese dendritischen Zellen vorhanden, auch als Vorläufer, und man kann sie eben in Kultur nehmen und züchten unter bestimmten Voraussetzungen.

    Heinemann: Welche Wirkung haben sie denn?

    Schirrmacher: Die dendritischen Zellen sind ganz wichtig für das zelluläre Immunsystem, weil diese T-Lymphozyten Antigene, also fremde Stoffe, nicht per se erkennen können, die brauchen einen Vermittler sozusagen, einen Übersetzer, einen Anbieter, und das machen diese dendritischen Zellen. Die zerlegen ein Antigen, ein Reagenz, wogegen jetzt das Immunsystem reagieren soll, und kleine Bruchstücke werden an der Oberfläche dieser dendritischen Zellen den T-Lymphozyten präsentiert.

    Heinemann: Können wir von Killerzellen sprechen?

    Schirrmacher: Ja.

    Heinemann: Wie findet die dendritische Zelle den Tumor?

    Schirrmacher: Ja! Ein Tumor im Gehirn ist sicher schwieriger aufzufinden für das Immunsystem, als eine jetzt, sagen wir mal, in der Haut, wo das Immunsystem sehr präsent ist. Und über das Blut gelangen eben die Vorläufer von dendritischen Zellen in die verschiedenen Gewebe hinein und nehmen mit dem lymphatischen Abfluss eben auch Antigene auf und transportieren die dann in Lymphknoten. Also die Interaktion mit den Abwehrzellen, den Killerzellen, passiert erst mal in speziellen Organen, den Lymphknoten, und da muss auch das Antigen vom Tumor hintransportiert werden. Gerade bei Hirntumoren ist es wichtig, dass man impft, damit man überhaupt eine Immunantwort zustande bekommt.

    Heinemann: Wie wirken jetzt diese Zellen auf die Tumore, wenn sie sie gefunden haben?

    Schirrmacher: Wenn es Killerzellen sind, dann gibt es sozusagen einen Nahkampf von den Killern gegen die Tumorzellen. Das kann man heute schon unter ganz speziellen Mikroskopen direkt live beobachten, wie schnell das geht. So eine Killerzelle, die zerrt richtig an der Tumorzelle, bis die sozusagen ihren Geist aufgibt, und dann geht sie zur nächsten, und die kann das eine ganze Zeit lang betreiben, vielleicht 20 Tumorzellen nacheinander abtöten, und die rasen wie verrückt in so einem Gewebe, wo sich eben dann die Tumorzellen befinden, herum, um den Feind dingfest zu machen.

    Heinemann: Die bisherigen Verfahren, nämlich Chemotherapie und Bestrahlung, kann man vielleicht vergleichen mit der Schrotschuss-Technik. Das heißt, sie bekämpfen gute wie auch böse Zellen. Kann dieses Verfahren der Tumor-Impfungen Chemotherapie und Bestrahlung ersetzen?

    Schirrmacher: Ich glaube, das wäre jetzt sehr kühn, das zu behaupten. Ich denke, die Standardverfahren der Schulmedizin, die haben schon ihren festen Stellenwert in der Behandlung von Krebs. Aber was eben bisher nicht ausreichend beachtet wird bei der Therapie, ist eben das Immunsystem des Patienten. Das muss intakt sein, möglichst intakt sein, muss unterstützt werden, und wenn es zu einer Impfung kommt, dann eben eine ganz spezifische Immunantwort gegen den Tumor zu generieren. Das unterstützt dann auch die anderen therapeutischen Maßnahmen wie Chemo- und Strahlentherapie, weil das Immunsystem in jedem Falle dann einen zusätzlichen Schutz vermittelt und sehr häufig, wenn es eben gut gemacht ist, dann auch auf das Überleben des Patienten einen Einfluss haben kann.

    Heinemann: Können solche Impfungen denn bestimmte Krebsarten auch heilen?

    Schirrmacher: Von Heilen rede ich nicht so gerne, weil man da sicher den Mund zu voll nimmt. Ich rede lieber von einer Stabilisierung des Geschehens. "Stabile desece" ist etwas, was man bei vielleicht 30 Prozent, vielleicht auch noch mehr der Krebspatienten erreichen kann durch immunologische Maßnahmen. Es hängt ja ganz vom Erkrankungsstadium ab, ob man überhaupt noch von einer Kuration reden kann.

    Heinemann: Also die Wirkung ist lebensverlängernd?

    Schirrmacher: Ja, bei einem großen Teil der Patienten. Natürlich trifft das nicht für jeden Patienten zu.

    Heinemann: Die Patienten müssen trotzdem operiert werden?

    Schirrmacher: Ja, das ist der Schritt Nummer eins, auch weil wir das Material des Tumors brauchen, um den entsprechenden Impfstoff individuell für jeden eigenen Patienten herstellen zu können.

    Heinemann: Wie funktioniert das?

    Schirrmacher: Wir nehmen in Köln in dem Labor diese Tumorzellen entgegen – das muss natürlich vorher mit der Klinik abgesprochen sein -, dann kommt das in ein speziales Zellkultur-Labor und da werden die Tumorstückchen vereinzelt, dass einzelne Stellen entstehen, und die werden in Kultur genommen. Und zum Glück mit großer Häufigkeit gelingt es, daraus die Zellen zu vermehren, und dann werden die erst mal aufbewahrt. Die Tumorzellen des Patienten werden eingefroren in flüssigen Stickstoff und sind sozusagen dann das Reservoir für Tumor-Antigene, mit denen nachher die dendritischen Zellen beladen werden.

    Heinemann: Welche Rolle spielen der Gesamtzustand oder auch das Alter eines Patienten für diese Therapie?

    Schirrmacher: Der Gesamtzustand ist wichtig. Das Immunsystem muss noch möglichst intakt sein. In einem sehr fortgeschrittenen Krebsstadium ist das im Allgemeinen nicht mehr der Fall. Da ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass das noch Sinn macht mit so einer Impfung. Wir haben unsere meisten Studien in der adjovanten Situation, also direkt nach Operation des Primärtumors, durchgeführt und da ist das Immunsystem im Allgemeinen noch recht intakt, da hat man eine gute Chance.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, ein Gespräch mit dem Kölner Immunologen Professor Volker Schirrmacher. – Wieso sind Tumorimpfungen bisher nicht für die allgemeine klinische Anwendung zugelassen?

    Schirrmacher: Ja, hier gibt es natürlich ganz festgelegte Verfahren. Es müssen klinische Studien vorliegen, die in Phasen unterteilt werden, Phase eins, Phase zwei, Phase drei. Wir haben solche bis zur Phase drei durchgeführt. Aber dann ist der nächste Schritt: Dann muss man zu den entsprechenden Zulassungsbehörden. Man muss jemand haben, der das Ganze finanziert. Man muss nach Möglichkeit ein Patent haben, sonst findet man keinen Pharmapartner, der interessiert ist, so etwas zu finanzieren. Von daher ist es wie jedes normale Arzneimittel ein langer Weg von Jahrzehnten.

    Heinemann: Ein solches Verfahren, eine solche Therapie, habe ich gelesen, kostet rund 20.000 Euro. Wieso ist dieses Verfahren so teuer?

    Schirrmacher: Ja, ob es teuer ist oder nicht, unsere eigenen Erfahrungen, die sind doch so, dass ich lieber 20.000 für so eine Tumorimpfung ausgeben würde als das Mehrfache für eine Chemotherapie.

    Heinemann: Nun sagten Sie eben, das ersetzt die Chemotherapie nicht.

    Schirrmacher: Das hängt natürlich jetzt von dem Tumor ab. Bei Brustkrebs ist eine Chemotherapie der Standard, man muss dann die Tumorimpfung versuchen zu kombinieren, das haben wir in unseren Studien auch gemacht. Das heißt, für jeden Tumortyp muss man spezielle Protokolle ausarbeiten.

    Heinemann: Kann man sich denn vorstellen, dass eine solche Therapie jemals von den Krankenkassen übernommen würde, oder wäre das nur eine Medizin für Reiche?

    Schirrmacher: Nein, vorstellbar ist das. Wenn man jetzt so ein Verfahren zugelassen bekommt als Arzneimittel, dann müsste das eben auch von den Krankenkassen erstattet werden. Aber es gibt jetzt in den USA den ersten Tumorimpfstoff, der zugelassen ist, und das wird natürlich dann erstattet.

    Heinemann: Wäre denn, abgesehen von den Kosten, eine flächendeckende Versorgung mit Tumorimpfungen in Deutschland überhaupt möglich?

    Schirrmacher: Also ich denke, das ist schwer zu beantworten. Flächendeckend wird es sicher nicht so schnell gelingen. Wir können froh sein, wenn wir einige Institutionen und Plätze haben, wo so etwas angeboten wird, aber ich arbeite an diesem Thema schon seit über 25 Jahren und möchte nicht den Mund zu voll nehmen. Ich habe gesehen, dass das eben doch alles sehr langsam nur geht. Ich bin froh, dass es überhaupt noch existiert, dass dieses den Patienten angeboten werden kann. Aber da die Anforderungen mit den Jahren immer höher geschraubt wurden, ist es auch immer teurer geworden. Es ist kein Wunder, wenn wir für einen individuellen Heilversuch bei einem Patienten, einen individuellen Impfstoff herzustellen, solche Regularien machen müssen wie die Pharmafirma für ein Fertigarzneimittel, dass dann damit auch die Kosten in die Höhe getrieben werden.

    Heinemann: Diese Therapie wäre, wenn sie zugelassen würde, auf jeden Fall ein Millionengeschäft für die Immunologiezentren in Deutschland?

    Schirrmacher: Ja. Ich glaube, die Zentren, ob die jetzt da so ein Millionengeschäft daraus machen, ich denke, das wäre letztendlich doch wieder nur mit Pharmafirmen möglich, den Weg über Zulassung zu beschreiben. Das können öffentliche Institutionen gar nicht bezahlen. Ich habe ja am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg das Meiste der Forschung gemacht über 30 Jahre, und solche öffentlichen Institutionen haben einfach auch nicht die Gelder, die für klinische Studien erforderlich sind bis zu einer Zulassung.

    Heinemann: Kein Heilungsversprechen haben Sie eben klar gesagt, plus gewaltiger Kostenschub im Gesundheitssystem. Ist das mit Blick auch auf die demografische Entwicklung in Deutschland, also weniger Beitragszahler, mehr Patienten, wäre das zu verantworten?

    Schirrmacher: Also ich könnte mir vorstellen, dass man die Gelder im Gesundheitssystem nicht unbedingt erhöhen müsste, wenn man eine Immuntherapie kombiniert mit Chemotherapie oder Strahlentherapie. Es könnte sein, dass man dann die Chemotherapie etwas reduziert und für das gleiche Geld mehr Immuntherapie anbietet, denn die Kombination dürfte mindestens so gute Ergebnisse zeugen wie die Chemotherapie alleine. Da könnten also Gelder, die sozusagen jetzt für die Chemotherapie alleine ausgegeben werden, eingespart werden, denn sehr viele Krebspatienten kriegen ja auch die Chemotherapie quasi umsonst – das heißt nicht jetzt finanziell umsonst, sondern es nützt bei ihnen nichts, es schadet nur, es hat Nebenwirkungen. Von daher sollte man viel gezielter die Chemotherapie möglichst nur solchen Subgruppen anbieten, die davon auch profitieren. Es wird also viel zu breit nach meiner Überzeugung mehr oder weniger flächendeckend die Chemotherapie angeboten, und das sollte meiner Ansicht nach mehr mit immunologischen Verfahren kombiniert werden.

    Heinemann: Über Tumorimpfungen sprachen wir mit dem Kölner Immunologen Professor Volker Schirrmacher.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.