Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Forscher warnen
"Erdgas ist ein Klimaschädling genau wie Kohle"

Wenn der Strom aus erneuerbaren Energien nicht reicht, soll Erdgas die Lücken schließen. Allgemein wird angenommen, Erdgas sei klimaneutraler als etwa Kohle. Allerdings stimmt diese Rechnung offenbar nicht. Beim Erdgas-Fracking etwa werde viel Methan freigesetzt, warnen Forscher.

Von Kai Rüsberg | 06.02.2020
Arbeiter stehen auf der Baustelle der Empfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2.
Durch die umstrittene Nord-Stream-2-Pipeline sol russisches Erdgas nach Europa gelangen (dpa-Zentralbild / Stefan Sauer )
Kohle deckt in Deutschland einen wesentlichen Teil des Energiebedarfs für die Wärme- und Stromerzeugung. Bisher gilt Erdgas, das überwiegend per Pipeline aus Russland oder der EU bezogen wird, als Möglichkeit den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken. Das gilt in der Branche als Standard. Und so rechnet es auch Gerald Linke vor. Er ist Vorsitzender des technisch-wissenschaftlichen Vereins des Gas- und Wasserfaches, DVGW:
"Unsere Rechnungen zeigen auch, dass wir die größten Einsparungen unserer Emissionen in Deutschland und die schnellsten Einsparungen erzielen können durch die Umstellung von Kohle auf Gas."
Der Physiker Linke begründet diese Aussage damit, dass sich mit dem zusätzlichen Bezug von Erdgas wesentlich schneller als durch einen großflächigen Ausbau von Wind- und Sonnenkraftwerken, die Lücke der wegfallenden Kohle- und Atomkraftwerke füllen ließe.
"Der erste entscheidende Schritt ist, dort Erdgas einzusetzen, weil Erdgas halt deutlich weniger Emissionen hat als Braunkohle oder als die Steinkohle."
Erdgas bietet bei der Verbrennung eine höhere Energieeffizienz als Kohle. Zudem sind die Treibhausgase, die bei der Verbrennung entstehen, geringer. Linke rechnet mit bis zu 260 Gramm CO2-Äquivalenten pro erzeugter Kilowattstunde Strom gegenüber dem Doppelten bei importierter Steinkohle. Dabei seien auch Erzeugung und Transport berücksichtigt.
Eine aktuelle Studie der Energy Watch Group kommt dagegen zu ganz anderen Ergebnissen, sagt Mitautor Hans-Josef Fell:
"Beim Erdgas haben wir die Situation, dass sehr hohe Methanverluste auf der gesamten Kette passieren. Methan ist hoch treibhausgaswirksam, und wenn man nur CO2 betrachtet, kommt man zu einem falschen Bild."
"Erdgas darf nicht benutzt werden"
Der Widerspruch der Aussagen steckt in den sogenannten CO2-Äquivalenten, die mit CO2e abgekürzt werden. Damit wird ausgedrückt, dass zusätzlich zum CO2 im Abgas der Verbrennung schon beim Abbau, Transport und Lagerung weitere sehr klimaschädliche Gase, wie Methan in die Atmosphäre gehen, wo sie massiv zum Klimawandel beitragen.
"Wenn man konventionelles Gas nimmt, beispielsweise Gas aus Russland, dann sind die Emissionen insgesamt Kohlendioxid und Methan in der Wirkung ähnlich schlimm wie bei einem Kohlekraftwerk. Also der Wechsel vom Kohlekraftwerk zum Erdgaskraftwerk bringt keinen Klimaschutzvorteil. Wenn man aber modernes Gas, Fracking-Gas aus den USA nimmt, wo beispielsweise die Bundesregierung jetzt mit Subventionen LNG-Terminals unterstützt, dann sind die Emissionen sogar um 40 Prozent höher gegenüber einem Kohlekraftwerk. Erdgas ist ein Klimaschädling, genauso wie Kohle, und darf nicht benutzt werden."
"25 Mal größeres Treibhauspotential als Kohlendioxid"
Entscheidend bei der Berechnung ist, wie die klimaschädliche Wirkung von aufsteigendem Methan berechnet wird. Bei der Studie der Energy Watch Group wurden vor allem die kurz- und mittelfristigen Wirkungen bis 20 Jahre betont, die langfristigen weniger.
Besonders beim Fracking steigt schon in der Förderung viel Methan in die Luft. Diese Förderstellen hat der Bremer Umweltphysiker John Burrows an verschiedenen Standorten in Amerika untersucht und kommt zu ähnlichen Aussagen wie Fell.
"Methan hat 25 Mal größeres Treibhauspotential als Kohlendioxid, infolgedessen ist eine Leckage von ungefähr zwei bis drei Prozent Erdgas ausreichend, um jeglichen Vorteil der Verbrennung von Erdgas zu beseitigen."
Forscher stellt Nutzung von Frackinggas in Frage
Burrows ist weltweit anerkannter Experte für die Fernerkundung der Erdatmosphäre. Die Ausgasung an Förderstandorten von Kohle oder Erdgas hat er aus Flugzeugen sowie mit Hilfe von Satellitenerkundung untersucht. Sein Urteil über den Nutzen von LNG-Erdgas aus den USA für die Europäische Energieversorgung ist eindeutig.
"Die Nutzung von Fracking zur Gewinnung von Energie hat keine Vorteile über die Nutzung von Kohle."
Diese neuen Erkenntnisse widersprechen allerdings den bisherigen Standards. Bevor weiter in die Nutzung des fossilen Energieträgers Erdgas öffentliches Geld investiert wird, stehen diese Standards nun zur Diskussion.