Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Forschung in Katalonien
Barcelona als Wissenschaftsstandort attraktiv

Als ambitionslos galt Barcelonas Forschungslandschaft noch vor 20 Jahren. Seitdem hat sich viel getan: Unter den europäischen Wissenschaftsstandorten liegt die katalanische Stadt auf Platz acht, In Südeuropa ist sie führend. Doch die Wirtschaftskrise und der Katalonien-Konflikt haben Spuren hinterlassen.

Von Marc Dugge | 04.09.2019
Ein Blick in den Lesesaal der Universität von Barcelona
Barcelona hat sich unter Wissenschaftlern einen guten Ruf erworben (imago/ecomedia/robert fishman)
Wenn Reimund Fickert Seeluft schnuppern will, muss er nur das Fenster aufmachen. Vor seinem Büro liegt ein Strand, dahinter schimmert das Mittelmeer. Schöner lässt sich kaum forschen – auch an einem kühlen Tag wie heute:
"Barcelona lebt hauptsächlich vom Tourismus, nicht von der Wissenschaft. Aber es gibt mehrere Forschungseinrichtungen in der Stadt, die auf europäischer Ebene führend sind."
Der Deutsche ist Projektdirektor am Biomedizinischen Forschungspark von Barcelona. 1.400 Menschen aus 50 Ländern arbeiten in dem großen Gebäudekomplex am Meer. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen der Biomedizin, kümmern sich um unterschiedliche Themen - forschen aber unter einem Dach. Im Keller studieren Studenten die Hirnentwicklung von Zebrafischen, ein paar Meter weiter durchleuchten Forscher Bioproben mit Spezialmikroskopen. Barcelona ist seit Hunderten Jahren eine Wissenschaftsstadt, die Universität dort wurde schon 1450 gegründet. Und doch hatte die Stadt unter Wissenschaftlern lange einen schlechten Ruf. Barcelonas Forschungslandschaft galt in den 90er Jahren als verschlafen und ambitionslos, die Universitäten als Hort von Günstlingswirtschaft – viele Forscher gingen ins Ausland:
"Meine Kollegen fanden das völlig verrückt, dass jemand überhaupt die Idee bekommen könnte, nach Barcelona zu gehen. Das war vor weniger als 20 Jahren. Seitdem hat sich viel getan. Denn die gleichen Leute hassen mich, wenn sie sehen, was aus dem Projekt geworden ist. Die sagen: Wie konntest Du das wissen? Ich sage immer: Wir wussten es nicht. Es ist passiert - und wahrscheinlich auch nicht wiederholbar."
Barcelona als Wissenschaftsstandort in Südeuropa führend
Es hat sich viel getan in Barcelona. Im Ranking der renommierten Fachzeitung "Nature" liegt Barcelona mittlerweile unter den europäischen Wissenschaftsstandorten auf Platz acht – hinter Berlin und München aber vor Madrid. In Südeuropa ist die Stadt jedenfalls führend. Das ist vor allem dem konservativen Politiker Andreu Mas-Colell zu verdanken, zu Beginn des neuen Jahrtausends war er Wirtschaftsminister in Katalonien:
"Wir hatten beschlossen, Forschungszentren aufzubauen – und zwar von Grund auf. Es war für uns klar, dass wir keine bestehenden Einrichtungen umbauen wollten. Wir hatten ja schon unsere Universitäten, die recht gut funktionierten. Außerdem gab es die Forschungszentren des CSIC, des spanischen Wissenschaftsrats. Dieser ist eine Behörde mit Staatsangestellten – was uns nicht sehr gefiel."
Vergleich zwischen Wissenschaft und Privatunternehmen
Mas-Colell wollte schlanke Strukturen statt schwerfällige Apparate und Bürokratie. In Katalonien gründete er CERCA, ein Netzwerk, dem die verschiedenen Forschungseinrichtungen der Region untergeordnet sind. Das Kuratorium von CERCA ernennt nicht nur die Leiter der verschiedenen Zentren, es evaluiert auch die Arbeit der Wissenschaftler. Wer keine Leistung zeigt, muss gehen:
"Die Wissenschaft hat etwas mit einem Privatunternehmen gemein: Beide gehen sie Risiken ein. Anders der Staatsdienst: Der ist so angelegt, nichts zu riskieren."
In solchen Momenten klingt Mas-Colell sehr amerikanisch. Tatsächlich hat er dort viel Zeit seines Lebens verbracht. Der heute 75-jährige ist nicht nur Politiker, sondern auch ein bedeutender Forscher: Er zählt zu den führenden Wirtschaftsmathematikern der Welt. In den USA lehrte er unter anderem in Berkeley und Harvard. Dort begriff er auch, dass es für einen Wissenschaftsstandort vor allem darauf ankommt, welche Köpfe er anzieht. Mas-Colell gründete daher in Barcelona die Stiftung ICREA, die mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Das Ziel: Talente und Kapazitäten aus aller Welt nach Katalonien zu locken, sie an wissenschaftliche Einrichtungen zu vermitteln - und ihnen dabei zu helfen, ihre Forschung zu finanzieren. Derzeit sind mehr als 260 Forscher bei der Stiftung unter Vertrag - darunter Philosophen ebenso wie Astrophysiker. Eine Investition, die sich rentiert, sagt Mas-Colell. Denn die Wissenschaftler machen für ihre Arbeit Forschungsgelder auch aus anderen Töpfen locker - Geld, das nach Katalonien fließt:
"Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut funktionieren würde, dass wir so viele Bewerbungen bekommen würden. Es war eine tolle Überraschung, der Versuch hatte viel Erfolg. Es hat sicher geholfen, dass wir hier Einrichtungen haben, die anziehend auf Forscher wirken."
Neben dem Bioforschungspark gibt es in Barcelona mittlerweile einen Teilchenbeschleuniger. Außerdem steht in Barcelona einer der leistungsfähigsten Computer der Welt, der Supercomputer Mare Nostrum. Und dann ist da das ICFO, das "Institut für Photonische Wissenschaften" in der Nähe von Barcelona. Am ICFO wird rund um die Photonik geforscht. Heißt: Rund ums Licht – und wie es nutzbar gemacht werden kann. Das Jahresbudget des ICFO liegt heute bei 27 Millionen Euro. Zur Wahrheit gehört aber auch: Für den Bereich Photonik gab das deutsche Max-Planck-Institut schon 2013 480 Millionen Euro aus - fast 18 Mal so viel.
Einfluss des Konflikts zwischen regionaler und nationaler Regierung
Die spanische Wirtschaftskrise hat auch die Wissenschaften heftig getroffen: Der Teilchenbeschleuniger beispielsweise konnte wegen Geldproblemen 2010 erst nach langer Verzögerung in Betrieb gehen. Mittlerweile ist die Krise ist abgeflaut, aber Katalonien ist noch immer die am stärksten verschuldete Region Spaniens. Der Konflikt zwischen der separatistischen Regionalregierung und der spanischen Regierung in Madrid hat bisher verhindert, dass mehr Geld nach Katalonien fließt. Barcelona hat sich unter Wissenschaftlern einen guten Ruf erworben. Aber, sagt Andreau Mas-Colell, ein guter Ruf will auch gepflegt werden. China mache jedenfalls gerade vor, dass ein Land keine 500 Jahre alte Forschungskultur brauche, wenn es in den Wissenschaften führend werden will.