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Forschung ohne Rücksicht auf Verluste

Ephraim George Squier gilt auch heute noch als Pionier der "Amerikanischen Volkskunde", auch wenn seine Erkenntnisse schnell als überholt galten. Auf eigene Faust erforschte er die Völker Zentral- und Südamerikas. Dabei beging er ohne Skrupel massiven Kunstraub.

Von Mirko Smiljanic | 17.04.2013
    Aufbrausend soll er gewesen sein, rücksichtslos und voller Energie – ein Workaholic. Geboren wurde Ephraim George Squier als Sohn eines methodistischen Predigers am 17. Juni 1821 in Bethlehem bei New York, ...

    "... er kam aus sehr, sehr beschränkten finanziellen Verhältnissen und hat sich dann vieles selbst erarbeitet, worauf er dann auch immer sehr stolz war während seines Lebens, ..."

    ... Andreas Beer ist Amerikanist an der Universität Rostock, ...

    "... was heute eben besonders spannend, besonders faszinierend anmutet, ist eben dieses Dilettieren und Reüssieren in verschiedenen Gebieten, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Diplomatie, im Journalismus, auch als Geschäftsmann."

    Obwohl er nur drei Jahre eine öffentliche Schule besucht hatte, begann Squier mit 18 ein Ingenieurstudium, schmiss es aber, als der Eisenbahnbau nach einer Wirtschaftskrise zusammenbrach. Mit 19 Jahren gründete er eine Zeitschrift für Lyrik, zwei Jahre später das "Poet's Magazine", er arbeitete für ein politisches Blatt, bis er schließlich sein Lebensthema fand: die Suche nach der Geschichte Nordamerikas – womit die Geschichte der Azteken, Mayas und Inkas gemeint war. Squier erforschte zunächst die prähistorischen indianischen Erdwälle in den Tälern des Ohio- und des Mississippi-Rivers. Wenig später wurde er Geschäftsträger der USA in Nicaragua, ein Job, der angesiedelt war zwischen Botschafter und Generalkonsul. In dieser Funktion hatte er genug Zeit für archäologische Expeditionen, deren Ergebnisse er ganz im Stil der Reiseberichte Alexander von Humboldts niederschrieb.

    Es war spät am Nachmittag und finstre Gewitterwolken zogen sich im Osten um den kahlen, verbrannten Pik des Momotombo zusammen, als wir von Nagarote nach Pueblo Nuevo aufbrachen, wo wir über Nacht bleiben wollten. Die Winde kamen stoßweise, waren aber kühl und erfrischend, und ich holte meinen Poncho hervor und warf ihn über den Sattelbogen, um ihn sogleich zur Hand zu nehmen, wenn das sich immer dichter um uns auftürmende Gewitter losbräche.

    Squier scheute bei seinen Expeditionen weder Mühe noch Geld noch den Einsatz von Zuckerrohrschnaps, den die angeheuerten Indianer und Mestizen bekamen, wenn sie keine Lust mehr hatten, die vom Dschungel überwucherten Stelen freizulegen und aufzurichten. In der Nähe des Managuasees fand er etwa Zeugnisse, die die letzten Jahrhunderte fast schadlos überstanden hatten.

    Das erste Monument, das unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, war eine schöngehauene Figur, die auf einem hohen, verzierten Piedestal kauernd saß. Die Hände waren unterhalb der Knie kreuzweise übereinander gelegt, der Kopf vorwärts geneigt und die Augen weit geöffnet, als ob sie auf einen Gegenstand auf dem Boden vor sich niederstarrten.

    Vasen, kleine und große Steinfiguren wurden zunächst abgezeichnet und anschließend – vorausgesetzt die Funde waren transportabel – ins Smithsonian Museum nach Washington D.C. gebracht. Squier hatte mit dem Kunstraub keinerlei Probleme. Andreas Beer:

    "Für ihn war klar, dass alle Menschen auf der Welt in Rassen aufgeteilt waren und dass die Weiße Rasse, der er natürlich sympathischerweise angehörte, die Beste war, die auch als einzige auf der Welt Zivilisation bringen könnte, sodass er beispielsweise Projekte, die er verfolgte in Zentralamerika aber auch in Südamerika, auf die Menschen dort meinte, keine Rücksicht nehmen zu müssen."

    Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, die Squire aus seinen Forschungen zog, waren schnell überholt. Trotzdem gilt er auch heute noch als Pionier der – wie es zu seiner Zeit hieß – Amerikanischen Volkskunde. Pionierarbeit hat er auch als Ethnolinguist geleistet. Wo immer es ging, sammelte Squier Informationen über Sprachen und Dialekte, er legte kleine Wörterbücher an und ließ sich grammatische Regeln erklären. In den 60er-Jahren ging er als Kommissar der Unionsstaaten nach Peru, ein paar Jahre später wurde er als Generalkonsul Honduras nach New York berufen: Ephraim George Squier hatte den Zenit seines Lebens erreicht! Doch das Glück hielt nicht: Nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, erlitt er einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholte. Zurückgezogen lebte er in Brooklyn und starb am 17. April 1888 im Alter von 66 Jahren.