Freitag, 29. März 2024

Archiv

Forschung
Philosophie als Wissenschaft?

Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob Philosophie eine Wissenschaft ist. Dabei gab es schon Versuche zur Versöhnung, etwa durch die Integration von Experimenten. Heute könnte sich auf die Aufgabe der Philosophie geeinigt werden, Grenzen der Forschung festzuhalten und diese kritisch zu beobachten.

Von Mirko Smiljanic | 04.07.2019
Collage mit einem Mann und Messanzeige
Früher galt die Philosophie als die zentrale Wissenschaft, aus der alle anderen hervorgingen (Imago Images)
Ob Philosophie zu den Wissenschaften zählt, ist umstritten. Die einen sagen ja, wird das Fach doch an Universitäten gelehrt. Nein, kontern andere, zumindest sei Philosophie keine Erfahrungswissenschaft, weshalb sie nicht wissenschaftlich werden könne, indem sie empirische Methoden verwende. In der Phase, bevor die Naturwissenschaften sich endgültig entfalteten – also Physik, Chemie, Psychologie und so weiter – hatte die Philosophie im Wissenschaftsbetrieb einen überragend hohen Stellenwert. Philosophie war nicht nur Wissenschaft, genau genommen war sie die zentrale Wissenschaft überhaupt:
"Heute wird die Bezeichnung der Philosophie als Wissenschaft eher skeptisch gesehen, weil eben die Erfahrungswissenschaften das Paradigma für Wissenschaftlichkeit vorgeben."
Philosophie war die Basis vieler Einzelwissenschaften
Matthias Koßler, Professor für Philosophie an der Universität Mainz und Leiter der Schopenhauer-Forschungsstelle:
"Es gab noch Jura und Medizin als andere Fächer, aber alles andere, was wir heute mit Naturwissenschaften verbinden, Psychologie und was wir heute alles differenziert haben, das war alles eine Wissenschaft. Aus diesem Gemeinsamen der Philosophie sind die verschiedenen Wissenschaften hervorgegangen, haben sich emanzipiert."
Außerdem haben sie Methoden entwickelt, die sich zwangsläufig von denen der Philosophie unterscheiden mussten. Philosophie ist keine Erfahrungswissenschaft, wie etwa Biologie oder Geologie, bei denen Hypothesen und Theorien an der Erfahrung scheitern können. Forschungsergebnisse in Erfahrungswissenschaften lassen sich durch Beobachtung überprüfen, in der Philosophie ist das nicht möglich. Außerdem, so Matthias Koßler, kennt die Philosophie keinen linearen Fortschritt. Sie sieht ihre Aufgabe darin:
"die Methode der Wissenschaft zu reflektieren und die Begriffe, auf denen die Wissenschaft aufbaut, beispielsweise Natur oder Materie immer wieder zu befragen. Was ist Natur eigentlich, was ist Materie, dass das die Philosophie immer im Zusammenhang der gesellschaftlichen Situation auch machen muss. Und von daher gibt es einen Fortschritt in der Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Entwicklung, aber keinen linearen Fortschritt, sodass man sagen könnte, die eine Philosophie baut auf der anderen auf, so wie bei den Naturwissenschaften, und wir können die anderen vergessen, und die neueste ist immer die beste, das kann man in der Philosophie nicht sagen."
Philosophie und Wissenschaft zusammenführen
Trotzdem entwickelten Philosophen immer wieder Konzepte und Ideen, Philosophie und Wissenschaft miteinander zu versöhnen. Hegel etwa versuchte es mit dem Begriff "Holismus", einer Lehre, die alle Erscheinungen des Lebens aus einem ganzheitlichen Prinzip ableitet – so Nina Lott, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität Mainz:
"Damit sie Wissenschaft ist, die Philosophie, muss sie in der Form des Systems auftreten. Hegel sagt, das Wahre ist das Ganze, insofern ist Hegels Philosophie ein Holismus, in dem jedes Wissenselement in inferentiellem Zusammenhang mit anderen, mit allem anderen Wissen dargestellt werden muss. Also, alles im System muss vermittelt und abgeleitet werden können. Dies tut bei Hegel der ‚Begriff‘, das würde die Wissenschaftlichkeit ausmachen."
Selbst aufkeimende Einzelwissenschaften versuchte Hegel in sein holistisches System einzugliedern:
"Er würde sagen, die Einzelwissenschaften sind enthalten als aufgehobene Unterschiede in seinem Gesamtkonzept. In seiner Wissenschaft der Logik versucht er die allgemeinen Denkformen darzustellen, er würde sagen, dass die Einzelwissenschaften auch auf diese Denkformen angewiesen sind."
Experimente integriert in Philosophie
Schelling, ein Hauptvertreter des Deutschen Idealismus, versuchte sogar, das Experiment – ein zentrales Element von Erfahrungswissenschaft – in seine Philosophie zu integrieren. Wie er das machte, erklärt Erik Eschmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Mainz, so:
"Ein Beispiel ist in der Philosophie immer relativ schwer, was man allerdings machen kann, zu zeigen, wie er das Verhältnis auseinanderlegt. Nämlich dass er zeigt, dass das Experiment durchaus für die Kontingente, das heißt für die zufälligen Erscheinungen in der Welt relevant sind, da ein System des Wissens, das a priori vorgehen soll, nicht von alleine nicht alle möglichen Erscheinungen deduzieren kann. Sondern angewiesen ist auf die Resultate der Experimente, die quasi als Zwischenglieder dienen sollen, um ein System des Wissens der Natur a priori konstruieren zu können."
Trotz aller Versuche, Philosophie als Wissenschaft zu definieren, wirklich gelungen ist es bis heute nicht. Dabei – so Matthias Koßler, Professor für Philosophie an der Universität Mainz – reicht schon ein Blick auf den modernen Wissenschaftsbegriff, um Ungereimtheiten aufzudecken und mögliche Perspektiven der Philosophie deutlich zu machen:
"Man scheint immer zu wissen, was Wissenschaft ist, weil man es mit Erfahrung kombiniert, Experimenten, aber wenn man die Paradigma für die Wissenschaft genau bestimmen will, wird es sehr schwierig. Man kann im Allgemeinen sagen, Wissenschaft sollte ein rationales Verfahren sein, das in der Gesellschaft anerkannt wird als argumentationsfähig. Das ist sehr allgemein, aber es muss in Bezug auf die Philosophie auch allgemein bleiben, weil die Philosophie den Dialog zwischen verschiedenen Wissenschaften gestalten sollte, und zwar auf rationale Art, nicht auf beliebige."
Philosophie als kritische Beobachterin von Einzelwissenschaften
Methodisch heruntergebrochen auf den Minimalkonsens, Wissenschaft solle ein rationales Verfahren sein, das die Gesellschaft als argumentationsfähig anerkennt, hat Philosophie durchaus Aufgaben bezüglich anderer – ohnehin anerkannter – Wissenschaften:
"Beispielsweise Atomkraft, die Vernichtung der Menschheit, das sind ja ethische Gesichtspunkte, die den Wissenschaftler eigentlich gar nicht interessieren müssen, der macht seine Forschung, sagt, die können auch nicht aufgehalten werden, die Forschung geht immer weiter. Das wäre zum Beispiel auch eine Aufgabe der Philosophie, hier die Grenzen der wissenschaftlichen Forschung festzuhalten und eben kritisch zu beobachten im Vergleich zu den ethischen Anforderungen, die an Forschung gestellt werden zu den anderen Ansätzen, die es in der Forschung ja auch gibt. Es gibt ja nicht nur die naturwissenschaftliche Behandlung der Natur, sondern die Natur wird auch ästhetisch behandelt. Nehmen wir zum Beispiel aus dem Bereich der Medizin, da gibt es ja auch alternative Heilformen, die man jetzt nicht einfach aussparen kann, sondern die man dann in ihrer rationalen Begründungsfähigkeit dann auch untersuchen muss. Das wäre so etwas, was die Philosophie in Bezug auf die Wissenschaften leisten sollte."