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Forschung über Schusswunden
Typische Blutspritzer

Nach Schießereien bleiben oft viele Blutspritzer am Tatort zurück, die Aufschluss über den Tathergang geben könnten. Bislang gab es allerdings keine Methode, um diese detailliert zu analysieren. Das hat sich jetzt geändert.

Von Michael Stang | 09.08.2016
    Blutspuren sind am 23.05.2013 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) im Gras am Rande eines Feldweges zu sehen. Eine Passantin entdeckte am Donnerstagmorgen auf einem Fußweg den leblosen Körper des Jugendlichen. Nach Angaben der Polizei floss bei der Tat viel Blut.
    Blutspritzer können über den Tathergang viel verraten (dpa/picture-alliance/David Young)
    Am 3. Februar 2003 ging bei der Polizei im Großraum Los Angeles ein Notruf ein. Im Haus des ehemaligen Beatles-Produzenten Phil Spector war die Schauspielerin Lana Clarkson durch einen Revolverschuss in den Mund zu Tode gekommen. Spector wurde wegen Mordes angeklagt. Er selbst gab sich unschuldig und sprach von einem "Selbstmord aus Versehen", als Clarkson "die Waffe geküsst" habe.
    "Interessant war, dass Phil Spector in der besagten Nacht einen weißen Smoking trug, auf dem keine Blutspritzer zu sehen waren, was man ja eigentlich erwarten würde. Mit dieser Begründung verhinderte sein Anwalt auch bei der ersten Gerichtsverhandlung eine Verurteilung, weil nicht klar war, ob Spector die Schauspielerin getötet hatte oder ob es nicht doch ein Suizid war."
    Unabhängig von dem Medieninteresse damals sei der Fall für Forensiker oder für ihn als Ingenieur sehr spannend gewesen, sagt Alexander Yarin von der Universität von Illinois in Chicago. Er ist Experte für die Verteilung von Flüssigkeiten. Bislang gab es keine Methode, die eine der wichtigsten Fragen bei solchen Fällen mit Schussverletzungen detailliert beantworten kann:
    Studie zum Verhalten von Blutstropfen bei Schussverletzungen
    Woher stammen die Blutflecke an einem solchen Tatort und wie sie sind dorthin gekommen? Alexander Yarin fragte sich, ob es möglich sei, in einem theoretischen Modell die Form, Größe und Verteilung der Bluttropfen zu beschreiben, um die gesuchten Rückschlüsse daraus ziehen zu können. Die Antwort interessiert auch das US-Justizministerium, das sich an der Förderung der Studie beteiligte.
    "Wir wollten den Mechanismus klären, wie Blutstropfen bei einer Schussverletzung geformt werden, was ihre Größe bedingt, wie schnell sie auf den Untergrund gespritzt sind, wie ihre Flugbahn verlief und welchen Einfluss Schwerkraft und Luftwiderstand dabei hatten."
    Denn allein der Abstand der Schusswunde zum Boden hat einen großen Einfluss auf die Blutverteilung an einem Tatort. In das Modell floss die Analyse der einzelnen Bluttropfen ein, sowie deren Verteilung und Dichte. Ebenso relevant waren Faktoren wie Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur, zudem Größe und Form des Geschosses. Um die theoretischen Überlegungen zu überprüfen, standen als nächstes Experimente an. Am Fort Dodge Police Department in Iowa haben die Forscher Blutpakete präpariert. Auf die apfelsinengroßen Schwämme, die mit Schweineblut vollgesogen waren, das einen Hämatokrit-Wert von 40 Prozent aufwies, wurde schließlich geschossen – aus allen möglichen Höhen, Winkeln und Entfernungen.
    Schüsse auf blutgetränkte Schwämme
    "Die physikalische Erklärung sieht so aus: Wenn man eine Flüssigkeit hat, die dichter ist als Gas und diesem ausgesetzt wird, führt diese Instabilität zur Tropfenbildung. Nun kann man die Tropfenform- und Größe bestimmen und die Geschwindigkeit ableiten. Der Geschosstyp ist wichtig, der Untergrund ebenso. Nun kann man die Flugbahn rekonstruieren, also im Prinzip exakt den Weg, den die Blutstropfen zurückgelegt haben. Und daraus können wir nun die Wucht und den Winkel des Einschlags der Kugel rekonstruieren und damit schließlich den Ursprung der Tropfen bestimmen."
    Herausgekommen sind seitenweise Formeln, die alle Faktoren berücksichtigen, versichert Alexander Yarin. Denkbar wäre ein Softwareprogramm, in das man bei einem Tatort nur noch Größe, Form, Anzahl und Verteilung der Bluttropfen eingeben muss. Dann wären grobe Angaben wie "mit großer Wucht eingeschlagen" Geschichte. Forensiker und Polizeibeamte könnten daher die Ermittlungen schnell voranbringen, zeigt sich der Ingenieur überzeugt.
    Sein Model hätte auch die lange diskutierte Frage im Phil-Spector-Fall klären können, ob es möglich ist, dass ein aus einer Entfernung von 1,80 Metern abgegebener Schuss in den Mund eines Opfers tatsächlich keine Blutspitzer auf dem weißen Smoking des vermeintlichen Schützen hinterlässt oder nicht. In einer zweiten Verhandlung war sich die Jury auch ohne ein solches Modell einig. 2009 wurde der Musikproduzent wegen Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 19 Jahren verurteilt.