Dienstag, 19. März 2024

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Forschungsreise vor 30 Jahren
Als die Polarstern erstmals den Nordpol erreichte

Am 7. September 1991 gelangte mit dem Eisbrecher Polarstern erstmals ein konventionell betriebenes Schiff zum Nordpol. 30 Jahre später sind die damals mitgereisten Forscher in akuter Sorge um das Eis am nördlichsten Punkt der Welt. Und warnen vor dramatischen Folgen.

Von Monika Seynsche | 07.09.2021
    Polarforscher in der Arktis . Im Hintergrund das deutsche Forschungsschiff Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) für Meeres- und Polarforschung. (Undatierte Aufnahme
    Der Forschungseisbrecher Polarstern in der Arktis - er erreichte als erstes konventionell betriebenes Schiff den Nordpol (picture-alliance/ dpa/dpaweb / Hinrich Bäsemann)
    Im Sommer 1991 brachen sich die Wellen des arktischen Ozeans am Bug zweier Schiffe. Die beiden Forschungseisbrecher, die deutsche Polarstern und die schwedische "Oden", nahmen Kurs Richtung Norden. Als Student mit an Bord war der heutige Leiter der Meereisforschung am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, Christian Haas:
    "Das war so ein bisschen eine Fahrt ins Ungewisse: Wie würde das Eis sein? Würden wir hinkommen? Würden wir steckenbleiben und nicht uns selber mehr bewegen können, sondern vom Eis eingeschlossen werden? Und dieser Eindruck ist natürlich dadurch noch verstärkt worden, dass das Wetter sehr schlecht war. Im Sommer ist es in der Arktis extrem neblig, und ich glaube, insgesamt hatten wir weniger als 24 Stunden Sonnenschein, trotz des Polartages. Und der Nebel und das dunkle Licht hat dem Ganzen natürlich noch mehr Spannung und eine bedrohliche Atmosphäre gegeben."

    "Wir haben da gegrillt, Glühwein getrunken"

    Um kostbaren Treibstoff zu sparen, wechselten sich die beiden Schiffe immer wieder damit ab, einen Weg durchs Eis zu brechen. Mit voller Motorkraft rammten sie die mehrere Meter dicken Eisplatten und kämpften sich mühsam voran. Bislang war es nur ungleich stärkeren sowjetischen Atomeisbrechern gelungen, so weit nach Norden vorzudringen. Am 7. September 1991 dann waren die Oden und die Polarstern als erste konventionell betriebene Eisbrecher am Nordpol angekommen. Christian Haas erinnert sich:
    "Wir haben an der Eisscholle angelegt, alle sind aufs Eis gegangen, wir haben da gegrillt, Glühwein getrunken, Fußball gespielt und uns gegenseitig besucht. Und ja, das war also ein wirklich tolles Fest und ein tolles Ereignis auch durch die Internationalität und das Neue und den Rekord, den wir aufgestellt haben sozusagen."

    Nordpol nicht eigentliches Ziel der Expedition

    Vor ihnen hatten erst wenige Menschen den Nordpol erreicht. 1909 war das seinen eigenen Angaben zufolge dem Amerikaner Robert Peary gelungen, allerdings gab es erhebliche Zweifel an seinen Schilderungen. 1968 hatten dann erwiesenermaßen vier Amerikaner mit Schneemobilen den nördlichsten Punkt der Welt erreicht, neun Jahre später die Sowjets mit einem nuklear betriebenen Eisbrecher. Doch bei der Fahrt der Oden und der Polarstern 1991 war der Nordpol gar nicht das erklärte Ziel der Expedition. Die Schiffe waren aufgebrochen, um die Geophysik des arktischen Ozeans zu erforschen. Der Nordpol selbst liegt in einem eher unspektakulären Bereich dieses Meeres.

    "Eis ist mehr als die Hälfte dünner geworden"

    Viel spannender für die Forschung waren die unterseeischen Formationen in seiner Umgebung, wie der Lomonossow-Rücken und das Amundsen-Becken. Sie geben Aufschluss darüber, wie sich vor über 60 Millionen Jahren Europa und Amerika voneinander getrennt haben und der arktische Ozean sich bildete. Gleichzeitig untersuchten die Wissenschaftler das Meereis, die Wasserströmungen im arktischen Ozean und das Klima. Sie starteten die ersten genauen Messreihen, die bei späteren Expeditionen in die Region fortgeführt wurden, so Polarforscher Christian Haas:
    "Und die Messungen zeigen ganz klar, dass das Eis deutlich dünner geworden ist, das ist wahrscheinlich die wichtigste Veränderung. Das Eis war damals so um die zweieinhalb Meter dick und heutzutage ist es nur noch weniger als einen Meter dick, das heißt, das ist mehr als die Hälfte dünner geworden. Und das liegt natürlich daran, dass insgesamt die Luft auch wärmer geworden ist."
    Das deutsche Forschungsschiff «Polarstern» unterwegs in der Arktis. Um es herum treiben Eisschollen im Meer. 
    "Meereisphysikerin: Dem Polareis geht es gar nicht gut"
    Ein Jahr lang waren Wissenschaftler bei der Mosaic-Expedition 2019 in der Arktis unterwegs, um Klimaveränderungen zu untersuchen. Die Meereisphysikerin Stefanie Arndt war dabei und warnt: Die Entwicklung im Nordpolarmeer führt schon jetzt zu Dürresommern in Deutschland.
    Die Arktis erwärmt sich zurzeit stärker als jede andere Weltregion. Und das hat Folgen. Die zu untersuchen, war das Ziel der großen Mosaic-Expedition, die im Jahr 2019 startete. Die Polarstern ließ sich im Meereis einfrieren und trieb ein ganzes Jahr mit dem Eis über den arktischen Ozean. An Bord gelangte auch Christian Haas wieder in die Nähe des Nordpols:
    "Wir wissen ja, dass die Arktis insgesamt, dass die Eisbedeckung immer weniger wird und dass sich sozusagen der Meereisgürtel immer weiter nach Norden zurückzieht. Weil der Nordpol die nördlichste Stelle ist, ist der Nordpol davon noch nicht betroffen. Aber irgendwann wird sich das Eis im Sommer auch bis zum Nordpol zurückziehen und dann finden natürlich dramatische Veränderungen statt, weil wenn das Eis nicht mehr da ist, dann kann das Wasser mehr Strahlung absorbieren, dann können wichtige Lebewesen von Mikroorganismen bis hin zu Eisbären natürlich dort nicht mehr leben, und dann wird sich das ganze Ökosystem ändern und auch die Klimaerwärmung wird schneller vonstattengehen als heutzutage."
    Ein Eisbär bei Dämmerung mitten im Eis.
    Das "letzte Eis" nördlich von Grönland schmilzt
    Die Wandelsee nördlich von Grönland gilt als eine Art Arche für bedrohte Arten wie Eisbär, Narwal und Ringelrobbe. Dort soll sich das Meereis Jahrzehnte länger halten als anderswo. Doch eine aktuelle Studie zeigt: Diese Hoffnung könnte trügerisch sein.
    Denn das weiße Meereis reflektiert die Sonnenstrahlung und wirkt wie ein Sonnenschirm für den darunterliegenden Ozean. Je mehr Eis schwindet, desto stärker erwärmt sich das Wasser und lässt noch mehr Eis schmelzen. Ein Teufelskreis, der den Nordpol schon bald völlig verändern wird.