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Forsters "Ansichten vom Niederrhein"
Kein harmloses Reisebuch

Georg Forster war neben Humboldt der wichtigste aller deutschen Weltreisenden - und er war ein brillanter Wissenschaftler und Schreiber. Bereits sein erstes Buch, der Bericht von der 1772 bis 1775 gemeinsam mit James Cook unternommenen "Reise um die Welt" wurde ein Erfolg. 1790 ging Forster erneut auf Reisen, wieder entstand ein Meisterwerk: "Ansichten vom Niederrhein".

Von Uli Hufen | 29.12.2016
    Der Naturforscher, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster, der mit James Cook in die Südsee segelte, in ein em Gemälde von J. H. W. Tischbein.
    Der Naturforscher, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster. (imago/United Archives)
    Die Rheinromantik war als Genre noch nicht erfunden, als Georg Forster am 25. März 1790 von Mainz aus auf große Rhein-Reise ging. Doch auch Forster hatte ein Auge für Naturschönheiten und Denkmäler.
    Die Nähe von Koblenz rief uns bald zum zweiten Mal hervor. Schöne Formen von Gebirgsrücken, Baumgruppen und Gebäuden wechseln hier miteinander ab; die Hügel tragen eine dichte Krone von Wäldern; das neue kurfürstliche Schloss prangt am Ufer, und der Ehrenbreitstein hängt herrlich und erhaben auf dem jenseitigen Gebirge.
    Ein Understatement-Titel
    Forster kann die Natur nicht nur besingen, sondern auch erklären. Er kennt sich mit Gesteinsarten, Botanik und Vulkanismus bestens aus. Doch wichtiger ist anderes:
    "Nicht die unwichtige Kostbarkeit dieser Festung; nicht die weite Aussicht von dem höchsten Gipfel des Berges, – nichts von dem allen konnte mich für den abscheulichen Eindruck entschädigen, den die Gefangenen dort auf mich machten, als sie mit ihren Ketten rasselten und zu ihren räucherigen Gitterfenstern hinaus einen Löffel steckten, um dem Mitleiden der Vorübergehenden ein Almosen abzugewinnen."
    Spätestens hier hat auch der letzte Leser verstanden, dass Georg Forsters "Ansichten vom Niederrhein" alles andere sind als ein harmloses Reisebuch.
    Nichts gegen den Niederrhein, wunderbar. Aber wenn man ein Buch lesen soll: "Ansichten vom Niederrhein", dann denkt man an Schafe und an Wiesen. Das ist das Problem bei dem Buch: es war damals schon ein Understatement-Titel.
    Der Autor Jürgen Goldstein wird am 17.03.2016 auf der Buchmesse in Leipzig für sein Buch "Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt" in der Kategorie Sachbuch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2016 ausgezeichnet.
    Der Autor Jürgen Goldstein wird am 17.03.2016 auf der Buchmesse in Leipzig für sein Buch "Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt" in der Kategorie Sachbuch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2016 ausgezeichnet. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Der Philosoph Jürgen Goldstein gewann im Frühjahr mit einem Buch über Forster den Preis der Leipziger Buchmesse für das beste Sachbuch des Jahres und hat jetzt auch die Einführung zur prächtigen Neuausgabe der "Ansichten vom Niederrhein" verfasst:
    "Wir Heutigen müssen uns erst mal klar machen, um was für eine Art von Buch es sich handelt. Denn zwischen den Zeilen vibriert es. Es ist eine Reise in Zeiten der Revolution. 1790. Ein Jahr nach der großen Revolution in Frankreich.
    Als den als Bibliothekar in Mainz angestellten Forster 1789 die Nachrichten von der Französischen Revolution erreichen, ist er erregt. Forster begreift intuitiv, dass Europa auf eine Art in Bewegung geraten ist, die zu seinen Überzeugungen passt. Doch Forster ist kein Schreibtischdenker, ihm geht nichts über die eigene Anschauung.
    Unklar, wo seine Sympathien liegen
    Und so bricht er im Frühjahr 1790 auf, um mit eigenen Augen zu sehen, wie die Revolution sich auf Frankreich und seine Nachbarn Deutschland, Holland und England auswirkt. Er weiß, dass er vorsichtig sein muss:
    "Er sagt es einmal so schön in einem Brief an Jacobi, dass er behutsam gehen muss, weil er den Samen säen will, ohne dass es jemand bemerkt. Dieser Samen ist natürlich der Samen der Freiheit und Gleichheit aller.
    Wer die Ansichten vom Niederrhein liest, ist allerdings nie im Unklaren darüber, wo Forsters Sympathien liegen. In Köln bewundert er den noch turmlosen Dom. Doch die Schönheit der Kathedrale ändert nichts daran, dass die Stadt unter dem Despotismus des Klerus leidet.
    "In Köln sollen viele reiche Familien wohnen; allein das befriedigt mich nicht, so lange ich auf allen Straßen nur Schaaren von zerlumpten Bettlern herumschleichen sehe. Die Geistlichen aller Orden, die hier auf allen Wegen wimmeln, und deren ungeheure Menge auf einen Reisenden immer einen unangenehmen Eindruck macht, könnten zur Moralität dieser rohen, ungezügelten Menge auf das heilsamste wirken. Allein sie tun es nicht."
    Ganz anders 50 Kilometer stromab. Düsseldorf hatte damals nicht nur die bedeutendste Kunstgalerie weit und breit mit Bildern zum Beispiel von Raffael und Rubens.
    "Düsseldorf atmet natürlich eine andere Luft, dort ist für ihn der Hort der Aufklärung, des frischen neuen Denkens."
    Die Straßen von Aachen wimmeln von Bettlern
    Von Düsseldorf reist Forster über Land weiter. Er beschreibt die wohlhabenden, aber engstirnigen Bauern der Voreifel und erreicht schließlich Aachen.
    "Die Straßen von Aachen wimmeln von Bettlern, und das Sittenverderbnis ist so allgemein, dass man die Klagen darüber zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften hört."
    War es in Köln die Allmacht des Klerus, die Fortschritt und Wohlstand verhindert, so ist es in Aachen die korrupte feudale Verwaltung. Wer Abhilfe schaffen kann und wird, ist Forster offensichtlich:
    "Wie klein und nichtswürdig erscheint nicht ein jeder Despot, der vor der Aufklärung seiner Untertanen zittert, verglichen mit dem Privatmanne, dem Fabrikanten eines freien Staats, der seinen Wohlstand auf den Wohlstand seiner Mitbürger und auf ihre vollkommenere Einsicht gründet!"
    "Im Grunde genommen ist es die Idee, die heute auch noch virulent ist: dass Republikanismus, dass Demokratie unser Wohlergehen fördert."
    In Lüttich beobachtet Forster begeistert, wie politisierte Bürger in Cafés und Kneipen Zeitung lesen und debattieren. Er interessiert sich für die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften, besucht Fabriken und denkt darüber nach, wie ein dem Menschen verpflichteter Staat einzurichten sei. Allerdings:
    "Er ist während der Rheinreise 1790, auch beim Verfassen des Textes noch nicht der Revolutionär, nicht derjenige, der zur Revolution aufruft."
    Als die "Ansichten vom Niederrhein" schließlich erscheinen, ist die Reaktion verhalten. Goethe und Lichtenberg loben das Buch, obwohl sie revolutionären Ideen ablehnend gegenüberstehen. In den Rezensionsorganen aber werden die "Ansichten" totgeschwiegen. Vielleicht auch deshalb verliert Forster die Lust an seinem Werk, dessen 3. Teil nie erscheint. Die Wirklichkeit ist plötzlich verführerischer als die Literatur. Im Oktober 1792 erobern französische Revolutionstruppen Mainz, im November tritt Forster dem Mainzer Jakobinerklub bei, im März 1793 wird in Mainz die Republik ausgerufen. Die Erste auf deutschen Boden.
    Forster stirbt einsam in Paris
    Forster reist nach Paris, um den Anschluss der Mainzer Republik an die französische zu erreichen. Doch Paris versinkt im Terror und bald schon fällt Mainz. Revolutionäre wie Forster sind jetzt von der Reichsmacht bedroht. Und so stirbt Georg Forster, einsam, erschöpft, enttäuscht und keine 40 Jahre alt, im Januar 1794 in einer Pariser Dachkammer.
    "Er ist politisch in Ungnade gefallen und man durfte seinen Namen eigentlich nicht mehr in den Mund nehmen. Das hat dazu geführt, dass Forster im 19. Jahrhundert tatsächlich ein vergessener Autor wurde."
    Es hat lange gedauert, aber heute spielen solche Ressentiments zum Glück keine Rolle mehr. Und so kann Georg Forster endlich jenen Platz einnehmen, der ihm von Rechts wegen gebührt: den eines Klassikers der deutschen Literatur, der sich zeitlebens für Freiheit und Aufklärung eingesetzt hat.
    Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790. Die Andere Bibliothek, 480 Seiten. 79 Euro.