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Fortpflanzungsmedizin
Forscher züchten Eierstockzellen im Labor

Eierstockzellen gezüchtet komplett im Labor. Forschende aus Japan sind dabei einen entscheidenden Schritt weiter gekommen: Sie haben befruchtungsfähige Eizellen aus Mäuse-Stammzellen gezüchtet. Bisher mussten die von lebenden Tieren kommen. Mit Blick auf den Menschen wirft das ethische Fragen auf.

Christine Westerhaus | 16.07.2021
Nahaufnahme einer Pipette, die in eine Petrischale gehalten wird.
Petrischale in einem Labor (Eyeem / Dewwastocker)
Fortpflanzung komplett im Labor – so viel fehlt dazu jetzt nicht mehr. Einige Schritte dorthin sind inzwischen möglich: Schon vor ein paar Jahren haben Forscher die Vorläufer von Eizellen aus menschlichen Körperzellen gezüchtet. Was bisher nicht ging: diese Vorläufer dazu zu bringen, sich weiterzuentwickeln. Bis jetzt. Katsuhiko Hayashi von der Kyushu Universität in Fukuoka und sein Team wussten schon länger, was es bei Mäusen dafür braucht: Eierstockgewebe.
"Wir haben vor ein paar Jahren Eizellen aus Mäuse-Stammzellen, gezüchtet. Dabei haben wir gesehen, dass es sehr wichtig ist, dass die Keimzellen mit Zellen aus dem Eierstockgewebe Kontakt haben. Nur so entstehen daraus befruchtungsfähige Eizellen. Deswegen wollten wir herausfinden, welche Signale das Eierstockgewebe sendet, damit die Eizellen reifen können."

Eierstock in der Petrischale

Offenbar brauchen die Eizellen also einen Kick von den Eierstockzellen, um zu reifen, wahrscheinlich eine ganze Reihe von Stoffen. "Aber wir wissen noch nicht, welche das sind. Deswegen haben wir dieses Gewebe gezüchtet, um diese Vorgänge zu verstehen und mehr über diese Signale herauszufinden." Als die Forschenden aus Mäuse-Stammzellen gezüchtete Eizellen-Vorläufer mit Gewebe aus Eierstöcken vermischten, entwickelten sie sich zu reifen Eizellen weiter. Die Forschenden konnten sie befruchten und Mäuseweibchen einsetzen, die dann gesunde Nachkommen bekamen.

Durchbruch in der Fortpflanzungsmedizin

Allerdings entwickelten sich auf diesem Weg deutlich weniger Embryonen, als das bei Mäusen normalerweise der Fall ist. Katsuhiko Hayashi wertet das als Zeichen dafür, dass die Technik noch nicht ausgereift ist. Für Stefan Schlatt, Direktor des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie in Münster ist diese Studie dennoch ein Meilenstein, den die Japaner markiert haben. "Das ist schon ein Durchbruch. Das muss man sagen. Es ist nicht eine so ganz große Überraschung, weil wir alle daran gearbeitet haben, aber es ist schon ein ganz wesentlicher Durchbruch, weil da jetzt etwas gelungen ist, was doch sehr wohl starke Konsequenzen haben kann.

Hoffnung nicht nur für gleichgeschlechtliche Paare

Denn nun ist es möglich, Eizellen komplett außerhalb des Körpers zu züchten. Dafür braucht man Stammzellen oder umprogrammierte Körperzellen. Womöglich könnten eines Tages also auch Paare Nachwuchs bekommen, die gar keine Eizellen oder Spermien haben. Und auch gleichgeschlechtlichen Paaren stünde der Weg zum gemeinsamen Kind offen. "Also Sie könnten sehr verrückte Sachen machen," sagt Stefan Schlatt. Denn Eizellen-Vorläufer könnte man theoretisch nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern gewinnen. Aus normalen Körperzellen.
"Ob das dann klappt ist die andere Frage. Und sie können damit natürlich einiges an ethisch schwierigen Dingen machen. Also man kann jetzt im Prinzip, ohne dass man einen Organismus hat, kann man Eizellen gewinnen. Und da kann man sich viel Unsinn überlegen."

Risiko: Bedenkliche Menschenexperimente

Denn Forschende könnten theoretisch sogar Eizellen von Verstorbenen gewinnen, denen vor dem Tod Stammzellen entnommen wurden. Allerdings: Anders als im Labor werden im Körper fehlerhafte Vorläufer-Eizellen aussortiert. Für Stefan Schlatt ein Punkt, an dem es gefährlich wird: "Wir lösen hier einen der wichtigsten Mechanismen, nämlich Keimzellen zu selektieren, aus dem Organismus heraus und machen das in der Kulturschale. Und das finde ich schon sehr bedenklich, weil wenn es, sagen wir mal Mechanismen gibt, Checkpoints für Qualitätskontrolle bei Keimzellen, die im Organismus stattfinden und wir die jetzt einfach nicht mehr stattfinden lassen in der Kulturschale, weil wir das zu sehr pushen, dann haben wir ein großes Problem."
Die Folge könnten zum Beispiel mehr genetische Erkrankungen der Nachkommen sein. Bevor Reproduktionsmediziner*innen also noch weiter in die natürliche Fortpflanzung eingreifen, sollten mögliche Risiken genauestens erforscht werden, so Schlatt. Nicht zuletzt sei es aber auch eine ethische Frage, wie weit die Menschen für ein eigenes Kind gehen dürfen. Und genau diese Frage hat der Durchbruch der japanischen Forschenden jetzt neu aufgeworfen.