Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Forum für Journalismuskritik
Journalismus – Die Suche nach Alternativen

Der Deutschlandfunk und die Initiative Nachrichtenaufklärung haben zum Ersten Kölner Forum für Journalismuskritik geladen. In der ersten Diskussionsrunde geht es um alternative Medienentwürfe von gestern und heute - von RTL bis zu den Bloggern und der Youtube-Szene.

Von Tobias Jobke | 08.06.2015
    Diskussion über alternativen Journalismus: Manfred Wegener, Michael Wulf, Moderator Hektor Haarkötter, Dietrich Leder und Hardy Prothmann (v.l.n.r.)
    Diskussion über alternativen Journalismus: Manfred Wegener, Michael Wulf, Moderator Hektor Haarkötter, Dietrich Leder und Hardy Prothmann (v.l.n.r.) (Jann Höfer)
    Es ist ein vielbeachteter, wenngleich umstrittener Begriff, mit dem DLF-Nachrichtenchef Marco Bertolaso die erste Diskussionsrunde eröffnet: "'Lügenpresse' – ein Vorwurf, der uns als Journalisten wehtut." Und der beinhaltet, dass Journalisten gerne Kritik üben, sich selbst aber gegen Kritiker verschließen. Im gut gefüllten Kammermusiksaal des Deutschlandfunks ist das heute anders.
    So steigt Moderator Hektor Haarkötter mit Angeboten in die Debatte ein, die ganz bewusst eine Form von Gegenjournalismus darstellen wollen – allen voran sein Projekt: die Initiative Nachrichtenaufklärung, die einmal im Jahr zehn Nachrichten oder Themen vorstellt, die in der medialen Berichterstattung zu kurz gekommen sind. "Ihr Ziel ist", so Haarkötter, "ein Informationsdefizit in der Gesellschaft zu beseitigen, Informationen zu liefern, die das Publikum noch nicht hat." Als weitere Beispiele nennt Haarkötter die taz, die 1979 als alternative Zeitung an den Start ging und - als Alternative zum öffentlich-rechtlichen - der private Rundfunk.
    Für den sprach InfoNetwork-Chefredakteur Michael Wulf und schickte gleich vorweg: "Für uns gehört der Boulevard zum alternativen Journalismus, weil nicht jeder die Tagesschau versteht." Die von InfoNetwork mit Nachrichten belieferten Redaktionen wie RTL, n-tv oder RTL 2 stellen sich demnach immer die Frage: "Was ist für die Menschen gerade eine Nachricht?" Und dazu zählen Wulf zufolge auch alltägliche Dinge wie Medizin oder die neuste Musik.
    RTL geht neue Wege bei der Zuschauerforschung
    Der studierte Betriebswirt meint allerdings, dass man dabei nicht zu weit gehen dürfe. Schließlich werde man als Medium im "gesunden Konkurrenzkampf" mit "ZDF heute" um die höchsten Zuschauerzahlen ernstgenommen. Um ihr Publikum kennenzulernen, gehen die Redaktionen des Kölner Privatsenders RTL neue Wege: Wulf berichtet von Gruppen beim Messenger Whatsapp, in denen Zuschauer Kritik äußern können. Außerdem habe RTL eine Wohnung in Duisburg angemietet, in der Redakteure die Lebenswirklichkeit ihrer Zuschauer außerhalb Kölns kennenlernen sollten. Das Wissen werde anschließend in die Medienforschung miteinbezogen.
    Michael Wulf, Chefredakteur von InfoNetwork
    Michael Wulf, Chefredakteur von InfoNetwork, spricht über neue Formen der Zuschauerforschung bei RTL (Jann Höfer)
    Blogger Hardy Prothmann hat es bei der Rezipientenforschung leichter: Er kennt viele Nutzer seines Blogs für die Rhein-Neckar-Region. "Sobald der Journalismus regional oder lokal wird, trifft man sich schnell wieder." Nach den Herausforderungen für ihn als Blogger gefragt, antwortet er: "Im gesamten Journalismus geht es schon lange um die Wurst und um die kleineren Fleischtöpfe, die früher mal sehr groß waren." Das Internet biete zwar viele neue Möglichkeiten, trotzdem müssten auch Blogs Qualität beweisen – und die koste Geld. Journalisten riet Prothmann zu mehr Optimismus: Zwar müssten klassische Medien Federn lassen, aber im Ernstfall würden in den sozialen Medien verlässliche Quellen verbreitet und keine Verschwörerblogs.
    Aber was ist mit der Grundidee des Journalismus, eine bessere Gesellschaft zu schaffen? Manfred Wegener von der StadtRevue Köln hat dieses Ideal aufgegeben. Früher veranstaltete die Redaktion gar öffentliche Konferenzen, in denen sich Bürger und Lokalgrößen mit den Redakteuren austauschen konnten. Diese Idee stößt bei Blogger Hardy Prothmann auf Zustimmung, der ebenfalls einmal im Monat Bürger aus seiner Region zum Austausch einlädt. "Wenn das klappt, wird das irgendwann ein Videoformat", sagte er stolz an die Adresse von RTL-Insider Wulf.
    Wulf (InfoNetwork): "Lefloid macht einen klasse Job"
    Dieser interessiert sich aber zunehmend für Youtube, das er als spannende Informationsquelle ansieht. Die Frage sei aber, ob die junge Generation wieder zum linearen Fernsehen wechselt, wenn sie arbeitet und Kinder hat. So findet Wulf zwar, dass Youtube-Star "Lefloid" einen "klasse Job" macht, er müsse das Vertrauen aber auch über Jahre halten und seine Nische verteidigen.
    Ihre Nische haben auch die WDR-Fernsehjournalistin Judith Levold und die Journalistin Jasmin Klein gefunden: Ihr Portal meinesuedstadt.de hat sich einen besonderen Blick auf die Lebensrealität in der Kölner Südstadt zur Aufgab gemacht. Die Geschichten würden oft aufgegriffen, berichtet Levold. Allerdings verstehe sich das Portal als "digital gestützte Anregung fürs analoge Leben". Der Erfolg der Seite begründe sich auch auf einem neuen Trend zum Lokalen, den klassische Medien lange vernachlässigt hätten, berichtet Jasmin Klein.
    DLF-Nachrichtenchef Marco Bertolaso befragt Judith Levold (m.) und Jasmin Klein zu ihrem Projekt meinesuedstadt.de.
    DLF-Nachrichtenchef Marco Bertolaso befragt Judith Levold (m.) und Jasmin Klein zu ihrem Projekt meinesuedstadt.de. (Jann Höfer)
    Dietrich Leder von der KHM sieht im digitalen Journalismus eine große Chance: "Wir können alle Probleme lösen, an denen Verlage schon immer gekrankt haben: Wie kommt die Zeitung an den Abonnenten?" Das Internet ermögliche enorme Einsparungen bei der Distribution. Allerdings stelle sich die Frage nach der Refinanzierung. Zumindest Hardy Prothmann hat auf diese Frage für seinen Blog eine Antwort gefunden: eine Mischung aus klassischer Werbung, einem Förderkreis und Partnerseiten. "Die Trennung zwischen Journalismus und Werbung muss aber immer gegeben sein." Wenn ihre Glaubwürdigkeit beschädigt werde, stünden Journalisten vor einem großen Problem. "Lügenpresse" lässt grüßen.