Freitag, 29. März 2024

Forum neuer Musik 2016
"Wie aus Atem musikalisches Material wird"

Die Mezzosopranistin Inbal Hever hat schon weltweit an vielen Orten gelebt. Das habe vor allem ihre künstlerische Arbeit bereichert, aber auch ihre jüdische Identität, die sie dadurch immer wieder neu verhandele, sagt sie. Auf dem Forum neuer Musik singt sie die Komposition von Chaya Czernowin- und setzt sich so erneut mit der Frage nach der jüdischen Identität auseinander.

Inbal Hever im Gespräch mit Constanze Pilaski | 10.04.2016
    Die Sängerin Inbal Hever
    Inbal Hever hat in den Niederlanden Alte Musik und Zeitgenössische Musik studiert. Inbal Hever hat in den Niederlanden Alte Musik und Zeitgenössische Musik studiert. (Deutschlandradio/ Thomas Kujawinski)
    Constanze Pilaski: Bei dem Konzert werden sie eine Komposition von Chaya Czernowin vortragen, die für Stimme und Atem geschrieben wurde. Wie werden Sie singen?
    Inbal Hever: Das Stück, das ich singen werde, heißt "Adiantum Capillus-Veneris. Etudes in Fragility für Stimme und Atem" und ist in drei Teile gegliedert. Alle drei Teile basieren hauptsächlich auf einer Struktur aus dem Aus- und Einatmen, der Stille und dem Ausbrechen der Stimme. Das Ausbrechen der Stimme geschieht während der Stille, was wie eine Erinnerung oder ein Echo von etwas aus der Vergangenheit oder der Zukunft wirkt.
    Pilaski: Wie setzen Sie Ihre Stimme bei diesem Konzert ein?
    Hever: Wir alle wissen, wie man atmet: einatmen, ausatmen. Dieses Atmen ist aber sehr präzise und kontrolliert. Es ist in der Partitur sehr genau festgehalten. Tatsächlich stellt sich bei diesem Stück die Frage, wie aus dem Atmen musikalisches Material wird und wie er kontrolliert werden kann. Der Atem erzeugt innerhalb des Taktes, der Phrase und des gesamten Stückes Spannung. In dem Stück gibt es aber auch Motive, die sich wiederholen und die der Zuhörer wiedererkennen wird. Ein bisschen geht es darum mit unterschiedlichen Formen des Atmens, die wir alle kennen, zu spielen. Aber es geht auch darum etwas loszulassen. Sehr überraschend für mich bei der Arbeit an dem Stück war wie ungeschützt man ist, wenn man in einem Raum steht – ob nun mit oder ohne Publikum – und laut in einer sehr kontrollierten Weise atmet. Das fühlt sich für mich auch sehr zerbrechlich an. Das dann vor einem Publikum zu performen hat etwas sehr Sinnliches, sehr Vertrautes und sehr Körperliches, aber auch Ungeschütztes. Man kann sich dabei nicht hinter seiner Stimme verstecken.
    "Die Auseinandersetzung mit dem Stück hat mich mehr über meinen Körper nachdenken lassen"
    Pilaski: Hat die Arbeit an dem Stück von Chaya Czernowin Ihre Art über Musik zu denken verändert? Hat es Ihre Art zu singen verändert? Was hat es mit Ihrer Stimme gemacht?
    Hever: In der Vergangenheit habe ich Solo-Werke aufgeführt, bei denen ich alleine auf der Bühne stand. Das bringt etwas sehr Empfindliches mit sich, das ist wirklich meins. Im Gegensatz zu einem Sänger, der neben einem Klavier steht oder sich als Sänger selbst am Klavier begleitet. Wenn du aber alleine, ohne Begleitung singst, ist es sehr direkt, aber auch zugleich sehr fragil.
    Die Auseinandersetzung mit dem Chayas Stück hat mich tatsächlich mehr über meinen Körper und irgendwie auch über meine inneren Organge nachdenken lassen. Ich habe dadurch – mehr als sonst – über meine Lungen und ihre Kapazität nachgedacht. Wie stark kann ich mein Atmen wiedergeben? Was bedeutet es einzuatmen? Und was macht mein Körper, wenn ich vom Atmen zum Singen und dann zur Stille wechsele? Auch die Herausforderung wie die Stille zwischen den Atem-Phrasen, die in der Partitur notiert sind, zu verbinden sind, hat mich beschäftigt.
    Pilaski: Wie ist es mit der Komponistin Chaya Czernowin für dieses Projekt zusammenzuarbeiten?
    Hever: Chaya ist für mich eine sehr inspirierende Persönlichkeit. Sie ist eine großartige Komponistin und bei der Zusammenarbeit eine wunderbare Person. Ich hatte das Glück mit ihr an diesem Stück zu arbeiten. Bei zeitgenössischer Musik ist die Auseinandersetzung mit dem Werk immer ein Prozess. Nicht immer, wenn du die Partitur bekommst, wurde sie zuvor bereits aufgeführt. Und dann ist es ein erfreulicher Prozess, das Stück zu entschlüsseln. In der Zusammenarbeit mit Chaya habe ich einige Metaphern angewendet, die sie mir im Gespräch über das Leben, über Musik im Allgemeinen und das Stück im Besonderen mitgegeben hat. Denn in dem Stück gibt es keine Geschichte, keine Wörter. Es gibt zwar eine bestimmte Dramatik, aber eben keine Geschichte.
    "Ich verhandele meine jüdische Identität immer wieder"
    Pilaski: In Anlehnung zu dem Titel "Jüdische Identitäten": Was bedeutet für Sie heute Jüdischsein?
    Hever: Ich habe bereits an vielen Orten gelebt. Ich bin in Israel geboren, ging in die Niederlande, lebte in New York und seit einem Jahr wohne ich in Berlin. Als ich mit dem Singen angefangen habe, habe ich hauptsächlich israelische und jüdische Musik gesungen. Als ich zum Studium der Alten Musik und Zeitgenössischen Musik nach Den Haag ging, hatte das nichts mit israelischer, jüdischer Musik und meiner israelischen und jüdischen Identität zu tun. Ich war glücklich, diese neue Perspektive auf das Leben und die Musik, freizulegen und kennenzulernen. Damals habe ich zum Beispiel Musik von Barbara Strozzi und Meredith Monk gesungen, die beiden stehen gar nicht mit jüdischer Kultur in Verbindung. Von den Niederlanden ging ich dann nach New York. Die Stadt hat etwas sehr Jüdisches, dort leben sehr viele Juden und viele identifizieren sich dort mit jüdischem Leben und jüdischer Kultur. Aber New York bietet auch viele, viele andere Möglichkeiten, die ich mitnehmen konnte. Nun lebe ich seit einem Jahr in Berlin. Die Stadt bietet auch beides: jüdisches Leben, aber eben auch viele andere Möglichkeiten - vor allem in der klassischen Musik-Szene.
    Ich denke aufgrund von diesen unterschiedlichen Perspektiven, die ich bislang erfahren habe, verhandele ich ständig meine Identität als eine jüdische Künstlerin und als eine jüdische Person. Und auch wenn Chayas Werk nicht zwangsläufig jüdisch ist ... Ich bin nicht sicher, ob in der Essenz des Stückes wirklich etwas Jüdisches enthalten ist. Aber es im Rahmen von diesem Festival zu singen, verhandelt wieder die Frage: Was bedeutet es, Jüdisch zu sein?
    Pilaski: Vielen Dank für das Gespräch.