Donnerstag, 25. April 2024

Forum neuer Musik 2021
Eres Holz' Quartett "Dunkle Risse"

Der Berliner Komponist Eres Holz rührt an Fragen von existenzieller Dimension. Als Künstler will er kein trügerisches Paradies entfalten, sondern den Widersprüchen des Lebens, Ängsten und Grenzsituationen ins Auge sehen. Das Asasello Quartett hat sein Auftragswerk "Dunkle Risse" ersteingespielt.

Am Mikrofon: Hanno Ehrler | 20.11.2021
    Drei Männer und zwei Frauen stehen im Kreis. Einer der Männer hat einen Instrumentenkofferbei sich.
    Eres Holz erläutert dem Asasello Quartett sein Stück "Dunkle Risse" (Deutschlandradio/ Thomas Kujawinski)
    Eres Holz
    "Dunkle Risse" (UA)
    Kompositionsauftrag des
    Asasello Quartett
    Aufnahme, Schnitt, Mastering: Matthias Reuland

    Notizen zu Werk und Komponist. Von Hanno Ehrler

    Mit seinem Komponieren fragt Eres Holz nach dem Sinn des Lebens. Dabei müsse er sich auch auf Nachteiliges, Unerfreuliches einlassen. "Ohne Negativität verkümmert das Leben zum toten Sein. Gerade die Negativität erhält das Leben lebendig", schreibt der gleichfalls in Berlin lebende koreanische Philosoph Byung-Chul Han. Das könnte auch Eres Holz gesagt haben. Holz beobachtet, dass man in unserer Gesellschaft heute nur das Positive sehen wolle. Wodurch Oberflächlichkeit entstehe. Sie verleihe den Dingen einen schalen Glanz und verdecke die Abgründe des Lebens. Und nicht zuletzt auch den Tod.
    Unter Optimierungszwang
    Das aber passt nicht zu gegenwärtigen Idealen wie Erfolg und Gewinnmaximierung. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht hier von einem "Steigerungszwang", der uns dazu antreibe, immer gesünder, aktiver und fitter zu werden. Wir konfigurieren unseren Körper und unseren Geist auf eine Weise, dass beide die gesellschaftlich geforderte Leistung bringen können. Fantasien, den Tod zu überwinden, sind die Folge dieser Ausrichtung unseres Strebens. Sie gipfeln im sogenannten "Transhumanismus". Dessen Verfechter postulieren, den Menschen technologisch aufzurüsten, also in eine Maschine zu verwandeln. Endlich wäre er von allen körperlichen Einschränkungen befreit, einschließlich des Todes. Ein solcher Transhumanismus ist eine der Bewältigungsstrategien, mit denen das Thema Tod heute angegangen wird. Eine andere Strategie ist seine Verbannung aus dem privaten Raum in Krankenhäuser, Hospize und Beerdigungsinstitute.
    Eres Holz’ Strategie ist das Schreiben von Musik. In den Werken der letzten zehn Jahre hat sich der heute 44-jährige Komponist unter anderem mit den Todesengeln der griechischen Mythologie, mit den apokalyptischen Reitern und mit altägyptischen Grabmalereien beschäftigt. In all diesen Stücken geht es inhaltlich und musikalisch um Grenzen. "Sich künstlerisch mit Grenzüberschreitung zu befassen, heißt für mich nichts anderes, als sich mit dem Tod und dessen Fatalität zu konfrontieren", hat Holz zu seinem Streichquartett notiert. Er möchte die Zuhörer emotional berühren, auch wenn es vielleicht ein unbequemes Erlebnis ist.
    Raum für neue Erfahrungen
    Um das zu erreichen, bezieht sich Eres Holz auf eine klassische Eigenheit der Gattung Streichquartett: Die Instrumente verschmelzen zu einem einheitlichen Klangkörper. Mit ihm formt der Komponist in dem fünfsätzigen Werk Klangfolgen. Deren Schwerpunkt liegt nicht auf den gewohnten Akkordbeziehungen, auch nicht allein auf ihrer Farbe. Vielmehr entsteht ein Fluss, der einen musikalischen Raum öffnet.
    Überhaupt ist Raum ein wesentlicher Aspekt von Eres Holz’ musikalischen Strategien. Wenn er komponiert, stellt er sich vor, wie der Klang den Aufführungsraum füllt. Als begeisterter Chorsänger hat er das oft erlebt. Dadurch ist ihm auch die Musik der Renaissance und des Frühbarock vertraut. Deren archaisch anmutende Harmonik inspirierte ihn zu seiner eigenen Klanglichkeit und zu seiner eigenwilligen Kompositionstechnik. Verwendet werden die üblichen zwölf Töne unseres Tonsystems. Dazu jedoch treten Mikrotöne, die die Klänge färben und verfremden.
    In "Dunkle Risse" unterbrechen plötzliche Pausen das Kontinuum dieser Klänge. Sie reißen es geradezu auf. Eres Holz füllt die Risse mit hellen Flageoletttönen, die zur dunklen Klangcharakteristik der Akkorde kontrastieren. Das Stück "oszilliert zwischen Höhen und Tiefen, zwischen Schwerkraft und Schwerelosigkeit", schreibt Holz. Somit öffnet die Musik einen Raum zwischen hell und dunkel, zwischen Positivem und Negativem, und, wenn man so will, zwischen Leben und Tod. Dorthin führt der Komponist seine Hörer – an Grenzen, die neue Erfahrungen ermöglichen und Existenzielles spüren lassen.

    Komponist und Mitwirkende

    Eres Holz
    Wurde 1977 in Rechovot (Israel) geboren und lebt heut in Berlin. Künstlerisch befasst er sich seit Längerem mit Grenzüberschreitung, Tod und Identität. Antike Mythologie, Texte und Traditionen jüdischer wie christlicher Herkunft inspirieren dabei. Holz studierte 1998-2002 in Tel Aviv bei Rouben Seroussi und 2004-12 in Berlin bei Hanspeter Kyburz und Wolfgang Heiniger. Er lehrt an der Berliner Musikhochschule "Hanns Eisler" algorithmische Komposition. www.eresholz.de
    Asasello Quartett
    2000 in Basel gegründet und ist seit 2005 in Köln ansässig. Die vier Musiker:innen verstehen sich als europäisches Ensemble mit neuen Konzepten und Programmformen wie z.B. "Paysage" und "Orbit Schönberg". Seit 2014 Tanzprojekte mit Choreografen wie Richard Siegal und Stephanie Thiersch. Auftritte in diversen europäischen Ländern. 2010 Preis des VDKD für das Format "1:1 - schon gehört?". Regelmäßige CD-Koproduktion im Deutschlandfunk. 2016 Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik.
    Rostislav Kozhevnikov – Violine
    Barbara Streil – Violine
    Justyna Sliwa – Viola
    Teemu Myöhänen – Violoncello