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Fotografie
Silberbilder auf Glas

Junger Fotograf mit uralter Technik. So könnte man das Schaffen von Stefan Sappert auf den Punkt bringen, der zurzeit in der Kölner schaelpic photokunstbar ausstellt. Der Künstler fertigt sogenannte Ambrotypien: Silberbilder auf Glas.

Von Thomas Frank | 17.03.2014
    In einer Dunkelkammer werden Fotos entwickelt.
    Eine Dunkelkammer. Auch Stefan Sappert entwickelt seine Ambrotypien selbst. (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Der kleine Ausstellungsraum in der Kölner photokunstbar "schaelpic" erinnert an ein Fotoatelier aus dem 19. Jahrhundert: eine große Balgenkamera aus Holz auf einem Stativ, eine Laterne zum Ausleuchten, ein großer Tisch mit Chemikalien-Fläschchen, Glasplatten, Fotowannen und eine mobile Dunkelkammer, die aus einem alten Koffer zusammengebaut ist. Keine Museumsstücke, die der nostalgischen Betrachtung dienen. Nein, sie werden verwendet. Kurioserweise von einem jungen Fotografen: Stefan Sappert, Jahrgang 1982. Der Österreicher hat sein mobiles Fotostudio selbst gebaut. Seit fünf Jahren kreiert er damit Ambrotypien: Silberbilder auf Glas. Hergestellt werden sie mit der sogenannten Kollodium-Nassplatten-Technik:
    "Kollodium-Nassplatten-Fotografie ist ein altes fotografisches Aufnahmeverfahren aus dem 19. Jahrhundert. Das Besondere ist: Die Bilder oder die Fotografien entstehen auf Platten, sprich auf Glas oder Aluminiumplatten."
    In Hemd, Stoffhose und Sneakers flitzt Sappert zwischen seinen archaischen Foto-Utensilien hin und her und demonstriert mit großer Passion, wie die Kollodium-Nassplatten-Technik funktioniert, die um 1850 von den Fotopionieren Frederick Scott Archer und Gustave Le Gray entwickelt worden war. Sappert wirkt offen, sympathisch, weltgewandt und verschließt sich der Moderne nicht, wie man vielleicht zunächst vermuten könnte. Die Besucher sind angehalten, teilzunehmen. Sappert fertigt von ihnen klassische Kopf-Porträts an. Das erste Modell: Eine 30-jährige Frau. Sie nimmt auf dem Stuhl vor der Kamera Platz. Ihre langen blonden Haare hat sie zum Zopf gebunden, den lang geschnittenen Pony über die halbe Stirn gelegt. Im Gesicht sitzt eine schwarze Designerbrille. Sappert platziert die junge Frau nun so, dass sie sich später beim Fotografieren nicht mehr bewegt. Ansonsten würde das Bild verwackeln. Dazu bringt er eine Kopfstütze an:
    "Bitte ganz entspannt hinsetzen, anlehnen ... Achtung, die Kopfstütze kommt ... Wichtig ist, nicht mit Druck dagegen, sondern du sollst es nur spüren."
    Die benötigten Chemikalien stellt Sappert selbst her
    Nun stellt der Fotograf die Kamera ein, legt den Bildausschnitt fest und justiert die Schärfentiefe. Als nächstes schneidet Sappert eine schwarze Glasplatte zurecht, auf der das Bild entstehen wird: Dann kommen die ersten Chemikalien zum Einsatz. Sappert stellt sie alle selbst her – nach alten Rezepturen aus dem 19. Jahrhundert. Denn im Handel sind sie nicht mehr erhältlich. Der Fotograf öffnet die Flasche mit dem zähflüssigen, gelblichen Kollodium:
    "Einmal mittig auf die Platte, in jede Ecke verteilt, damit die ganze Platte beschichtet ist, das Überschüssige abgegossen ... es riecht ein bisschen streng, das ist der Ether, der verdampft. So, das Ganze trocknet jetzt relativ rasch und muss genau zum richtigen Zeitpunkt, damit das nicht zu flüssig ist und auch nicht fest, ins Silberbad gesetzt werden. Deckel drauf und bleibt dann drei Minuten da drin und wird dann sensibilisiert. Und jetzt reagieren die Salze im Kollodium mit dem Silbernitrat, und die lichtempfindliche Schicht entsteht."
    Jetzt setzt Sappert das beschichtete Glas in den Plattenhalter der Kamera. Und fotografiert. Die Porträtierte darf sich nun nicht mehr bewegen. Sappert setzt die Kassette mit der Glasplatte in die Kamera, nimmt die Objektivkappe ab und setzt sie nach circa sieben Sekunden wieder auf. Die Aufnahme ist gemacht. Jetzt wird es entwickelt. Dazu greift der Fotograf die Glasplatte aus der Kassette, hält sie über eine Fotowanne, gießt zunächst Entwickler und dann Wasser darauf. Daraufhin wird die Glasplatte in eine Wanne mit Fixierflüssigkeit getaucht und das Foto nimmt langsam Gestalt an. Die Porträtierte reagiert überrascht:
    "Irgendwie befremdlich. Die Augen waren sehr scharf, weil wohl der Scharfstellpunkt der Kamera auf die Augen ausgerichtet war. Also dementsprechend waren auch meine Nase Ohren und Haare unscharf. Eben alles, was so ein bisschen tiefer oder weiter vorne lag, war eben unscharf."
    Die Ränder des Fotos sehen aus wie eingerissen, hier und da zeichnen sich schwarze Schlieren ab. Es ist eine Aufnahme entstanden, die tatsächlich so wirkt, als wäre sie vor 150 Jahren gemacht worden. Sie strahlt eine Aura der Unsterblichkeit aus – hervorgerufen durch eine "unvollkommene Ästhetik". Und genau das reizt Stefan Sappert an der Ambrotypie: Bei jedem Arbeitsschritt können Bildfehler entstehen:
    "Ob's das Reinigen der Platte ist, ob noch ein bisschen ein Dreck drauf ist. Ganz im Gegensatz zu damals, wo man das Verfahren ja perfektionieren wollte, verwende ich's halt eher genau im Gegenteil: nämlich moderne Fotografie mit "Unperfektionen" unter Anführungsstrichen, weil natürlich das Nichtperfekte genau das ist, was die Sache interessant macht."
    Ein Grund, weswegen Sappert sich nie der digitalen Fotografie zugewendet hat. Sie langweilte ihn nur. Ein Foto müsse in einer Kamera entstehen, sagt er, nicht am Computer, an dem eine Aufnahme stundenlang nachbearbeitet werden kann. Bei Sappert wird jedes Foto zum Unikat. Damit widersetzt er sich dem Diktat der Auflagen und endlosen Reproduzierbarkeit von Bildern.