Donnerstag, 28. März 2024

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Fotografierte Leselust

Innenaufnahmen von Bibliotheken in Europa, den USA und Südamerika vereint der Fotoband "Bibliotheken" von Candida Höfer. Die großformatige Farbfotografien sind in den vergangenen zehn Jahren entstanden und in exzellenter Qualität wiedergegeben. So ist eine fotografische Studie über Größe und Glanz einer fast schon historisch zu nennenden Buchkultur entstanden

Von Andrea Gnam | 20.03.2006
    Die Bibliothek ist Hüterin und Bewahrerin schriftlich niedergelegten Wissens über die Jahrhunderte. Sie ist zugleich aber auch ein turbulenter Umschlagplatz für Gedanken und Ideengut jeder Art. Es gibt altehrwürdige, ja sich geradezu aristokratisch präsentierende Bibliotheken, die ihre Schätze in gittergeschützten Bücherschränken auf Galerien vor allzu schnellem Zugriff bewahren. Manche Häuser verführen in hochgestimmtem Ambiente mit Kronleuchter, ausgemalter Kuppel, Leselampen und ledernen Sesseln im Lesesaal zur Beschäftigung mit Literatur und Wissen aus längst vergangenen Zeiten. Aber es gibt auch unbekümmert demokratische Einrichtungen mit Polsterlandschaften zum Schmökern, wildgemustertem Teppichboden und Bucheinbänden in allen Farben des Regenbogens.

    In einem mitunter schon etwas historisch anmutenden Aufsatz aus dem Jahr 1981 verkürzt Umberto Eco die möglichen Zugänge zum Wissen auf ein schlichtes Entweder-Oder: Er plädiert dafür, dass in öffentlichen Bibliotheken die Regale für jedermann zugänglich sein sollten. "Bleibt schließlich die Grundfrage: Will man die Bücher schützen oder will man, dass sie gelesen werden?" sinniert der Universitätslehrer über die Aufgabe der Bibliothek. Eco hatte in den 80er Jahren als Autor des Krimis "Der Name der Rose" Furore gemacht, der die labyrinthisch angelegten Räume einer mittelalterlichen Bibliothek zum Schauplatz hat. Sein Essay leitet Candida Höfers im Schirmer/Mosel Verlag erschienen Fotografieband zum Thema "Bibliotheken" ein.

    Innenaufnahmen von Bibliotheken in Europa, den USA und Südamerika sind zu bewundern. Es handelt sich um großformatige Farbfotografien, in den letzten zehn Jahren entstanden, die in exzellenter Abbildungsqualität wiedergegeben sind. Systematische Archivierung und Ordnung der Bestände, stolze Repräsentation und tägliche Arbeit mit Büchern können, wie der Blick in die Bibliotheken dieser Welt zeigt, in einer Vielfalt von Bauformen Ausdruck finden. Als ein Museum des Wissens präsentiert sich so manche ältere Bibliotheken mit Tonnengewölbe, Gelehrtenbüsten und Kordelabspannung: man positioniert sich mit dunkelrotem Teppich und streng geometrischer Ordnung in einem würdevollen Rahmen und tradiert immer noch ein bisschen den Geist der einstigen Abtei, Fürsten oder Herrschersammlung.
    Die Bibliothek in Santander, Nordspanien, indes ist eine Prachtbibliothek mit Kronleuchtern, Säulen und Marmorfußböden - dennoch hat sich in den edlen Wandschränken eine eher ungezwungen wirkende Bücherversammlung eingefunden. In einer Bibliothek in Rio de Janeiro erscheinen die Bücher wie Bausteine platziert, die in eine Kathedralenfassade eingelassen sind, und selbst die Computerarbeitsplätze am Rande erscheinen wie Klingelbeutel, die zum Ablass mahnen.

    In Paris hat im 19. Jahrhundert die Eisenarchitektur Einzug gehalten und so erinnern manche Bibliotheksräume mit gusseisernen Streben an Bahnhofswartesäle. In einer Den Haager Bibliothek hingegen wähnt man sich in einem Kontor. Dem irdischen Treiben geradezu entrückt sind ledergebundene Buchrücken in italienischen Palazzi oder Klosterbibliotheken zu bewundern. In edlem historischen Ambiente finden sich aber auch Arbeitsplätze mit Computern und übereinander gestapelten Büchern. Hier wird die Tätigkeit des Lesens und Ordnens als das gezeigt, was sie ist: ein immer fortlaufender Lektüreprozess, der sich über die Zeiten hinweg fortpflanzt.
    Die Kamera setzt zwar den Schwerpunkt auf strenge Raumlinien, zeigt die architektonische Ordnung, verharrt aber auch auf Fundstücken. Hier eine stehen gebliebene Leiter, dort ein aufgeschlagenes Buch, solch flüchtigen Zeichen der Tätigkeit setzen anrührend vergängliche Akzente in genau durchdachten Raumgefügen. Ein rotes Tischtuch auf dem Arbeitstisch ist in der Klosterbibliothek in Bregenz zu sehen. Eine Stadtbibliothek erinnert an das Wohnzimmer einer Lehrerfamilie in den 70er Jahren. Aber auch einzelnen Büchern gilt das Augenmerk: Die warmen Brauntöne alter Lederfolianten stehen neben der fröhlichen Ungezwungenheit farbenfroher Einbände und kunterbunter Formate. Nüchterne Bücheraufbewahrung findet man in Leipzig. Die Architektur kann den Büchern Zuchtmeisterin sein oder das gesammelte Wissen so aseptisch und clean verwalten, dass jeglicher Gedanke an Glanz, Geheimnis oder unerwartete Funde im Inneren der Bibliothek schon im Keim erstickt wird.

    Candida Höfers Fotografien alter und neuer Bibliotheken sind nicht nur eine Augenlust für passionierte Leser. Sie sind mehr: eine fotografische Studie über Größe und Glanz einer fast schon historisch zu nennenden Buchkultur und deren Sachwalterinnen, die Bibliotheken, die den Umgang mit dem Leser recht unterschiedlich zu gestalten wissen.