Freitag, 29. März 2024

Archiv

Fotojournalismus
Welt aus Kriegen und Katastrophen

Fünf Tage dauerte auf dem ehemaligen EXPO-Gelände in Hannover das 4. Lumix-Festival für jungen Fotojournalismus. Zu sehen waren ausgewählte Reportage-Serien von Fotografen im Alter von bis zu 35 Jahren - mit insgesamt 1400 Fotos.

Von Volkhard App | 23.06.2014
    Der Fotograf Felix Kleymann steht am 17.06.2014 beim "4. Lumix Festival für jungen Fotojournalismus" an der Fachhochschule Hannover (Niedersachsen) neben einem Foto aus seiner Serie "Pacificacao", die sich mit einer Favela in Rio de Janeiro auseinandersetzt.
    Der Fotograf Felix Kleymann neben einer Aufnahme aus seiner Serie "Pacificacao" (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Sie haben ihre Körper provisorisch geschützt, ja geradezu gepanzert und wirken wie Außerirdische - nur hier und da sind Gesichter zu erkennen bei diesen Majdan-Kämpferinnen und -Kämpfern, die die junge italienische Fotografin Valentina Piccinni einzeln porträtiert hat. Mit dabei ein Student, ein Zimmermann, ein Lehrer, eine Verkäuferin aus dem Supermarkt. Eine Reportageserie, nahe dran an der politischen Wirklichkeit - und doch schon ein Stück Geschichte.
    Blick in die Favelas Rio de Janeiros
    Wie ein Kommentar zur gegenwärtigen Fußballeuphorie erscheinen dagegen die scharfen Schwarzweiß-Bilder des 29-jährigen Felix Kleymann - er hat einen Blick in die Slums von Rio de Janeiro geworfen:
    "Meine Serie handelt konkret von dem Prozess, der in den Favelas und um die Favelas stattfindet - sowohl vom Militär, das in den Favelas kämpft als auch von den Menschen und den sozialen Projekten, die dort positive Arbeit leisten."
    Kompromisslose Polizei und kriminelle Bosse - und dazwischen orientierungslose Jugendliche. In den Favelas zu fotografieren, war gefährlich:
    "Ich war häufig in Favelas, die noch nicht 'befriedet' sind, wo die Polizei noch keine Obermacht hat. Und dort besteht immer eine Art Restrisiko, denn die werden durch Drogenbarone beherrscht, Waffen und Gewalt sind an der Tagesordnung."
    Ein global orientiertes Festival: vom Kriegsalltag in Damaskus zwischen selbstvergessenem Brettspiel und Straßen-Explosion erfuhr man hier und von den Opfern des Völkermords in Guatemala. Ein GI erlebt in Afghanistan per Skype die Geburt seines Kindes in der Heimat, in Griechenland suchen Obdachlose ihren Bedarf aus Mülltonnen zusammen.
    Eine Jury hatte 60 Reportageserien von Teilnehmern aus 23 Ländern ausgesucht - von Jungfotografen, die teils noch studieren, teils schon als Profis unterwegs sind und sogar bereits durch Preise ermutigt wurden.
    Dieses von Professor Rolf Nobel initiierte Festival, das von seiner ersten Ausgabe an in Qualität und Publikumszuspruch ein Erfolg war, soll die international an den Hochschulen geleistete Arbeit bekannt machen:
    "Und wir wollten zeigen, dass in einer Zeit, in der der Fotojournalismus oft totgeredet wird - was ja nicht stimmt: nicht er ist in einer Krise, sondern die Medien sind es -, wollten wir zeigen, dass der Fotojournalismus noch nie so gut war wie in der jetzigen Zeit."
    Eine Gegenöffentlichkeit kritischer Zeitgenossen
    Als kritische Zeitgenossen erweisen sich diese jungen Fotografen, wollen im Bildermeer für Gegenöffentlichkeit sorgen. Konrad Lippert, der in Belfast die katholischen und protestantischen Wohngebiete mit den furchtbaren Mauern dazwischen fotografiert hat:
    "Dass zwischen diesen Menschen immer noch ein großer Zwist besteht, dass sie nicht miteinander umgehen können, sondern getrennt sind durch Mauern - das wollte ich wieder ins Bewusstsein rufen: dass noch nicht alles vorbei ist, sondern wir mitten in Europa noch einen großen Konflikt haben."
    Eine Herausforderung für das Publikum stellte nicht nur die Fülle von 1400 Wettbewerbsbildern dar. Diese Welt aus Kriegen und Katastrophen ist innerlich nur schwer zu bewältigen, dieses Aufeinandertreffen sozialer Gegensätze: hier stirbt in China ein junger Bergarbeiter qualvoll an seiner durch mangelnden Schutz verursachten Lungenkrankheit, dort werden im saturierten Westen Kinder für einen Modewettbewerb geschminkt und in Kostüme gesteckt.
    Der 26-jährige Mario Wezel hat sich in Dänemark mit einem unter Downsyndrom leidenden fünfjährigen Mädchen befasst, für das im Kindergarten ein spezieller Betreuer ständig anwesend sein muss:
    "Ich fand die Entwicklung in Dänemark sehr spannend: dass dort in den letzten 10 Jahren immer weniger Kinder mit Downsyndrom geboren wurden. Und ich wollte für mich herausfinden, wie der Alltag aussieht, wenn ein Kind eine solche Behinderung hat"
    Brisante Fragen haben das Festival die Jahre über begleitet: zum Beispiel, wieweit es legitim ist, bei der Reportagefotografie die Bilder digital zu verändern. Rolf Nobel beobachtet im Profi-Gewerbe eine starke Zunahme solcher Eingriffe:
    "Was ich kritisiere - was man erklären kann mit dem wahnsinnigen Druck, dem die Fotojournalisten in der Branche unterliegen. Gerade die Fotografen, die hier ausstellen, spielen in der Spitzenklasse mit - und da ist die Luft sehr dünn. Und dort greift man dann zu Mitteln, um die Bilder etwas aufzuhübschen, was ich eigentlich nicht tolerieren kann."
    Wichtigstes Thema bleiben die Zukunftschancen der jungen Fotografen angesichts kriselnder Zeitungen und Zeitschriften und vorsichtig agierender Buchverlage. Manche der Akteure zeigen sich dennoch optimistisch, wieder andere sehen - wie Felix Kleymann - den weiteren Weg sehr nüchtern:
    "Diese Erfahrung spüre ich jetzt am eigenen Leib. Ich bin seit dem vergangenen Jahr fertiger 'Diplom-Fotograf' und versuche, meine Abschlussarbeit zu verkaufen. Und das erweist sich als ausgesprochen schwierig. Bis jetzt habe ich noch keinen zählbaren Erfolg. Um ehrlich zu sein, sehe ich meine Zukunft nicht nur als Fotograf, sondern werde versuchen, mich auf ein zweites oder drittes Standbein zu konzentrieren."
    Thementag Crowdfunding
    Der Eigeninitiative durch Crowdfunding war ein besonderer Thementag auf diesem Festival gewidmet. Damit ist auch die Hoffnung verbunden, dass die digitalen Medien zunehmend Schauplatz von Qualitätsfotografie sein werden. Rolf Nobel:
    "Wir haben jetzt erlebt, dass Krautreporter 900.000 Euro gesammelt hat, um eine Internetzeitung auf den Markt zu bringen, wir sehen ein hervorragendes digitiales Magazin in Holland und wie ein Unternehmen in Frankreich seit drei Jahren mit 90.000 Abonnenten schwarze Zahlen schreibt. Ich glaube, dass die Zukunft des Fotojournalismus zu einem großen Teil im Internet liegen wird."
    Ein Festival war es mit viel Erfahrungsaustausch, etablierte Profis gaben in überfüllten Sälen Einblick in ihre Arbeit. Zehntausende wollten sich diese Schau nicht entgehen lassen. Mit dem Hauptpreis ausgezeichnet, dem Freelens Award, wurde eine finnische Reportage über die Verstümmelung von Mädchen in Afrika. Eine beklemmende Serie unter vielen. In zwei Jahren wird die engagierte Reportagefotografie auf dem früheren EXPO-Gelände erneut ihren großen Auftritt haben.