Dienstag, 23. April 2024

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Fotokünstlerin Herlinde Koelbl
"Man muss wie ein Seismograf für Stimmungen sein"

Spitzenpolitiker, tote Tiere oder deutsche Wohnzimmer: Herlinde Koelbl wurde bekannt durch ihre empathischen Bildstudien von Menschen und Orten. Diese Themen seien anderen nicht als beachtenswert erschienen, aber ihr seien sie wichtig, sagte Koelbl im Dlf. Ihre Werke sind derzeit in Düsseldorf zu sehen.

Herlinde Koelbl im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 16.02.2018
    Die Fotografin Herlinde Koelbl in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen vor Fotos ihrer Serie "Kleider machen Leute" (2008 - 2012).
    Fotografin Herlinde Koelbl: "Ich zeige etwas, wo man vorher nicht hingeguckt hat" (picture alliance/dpa - Herlinde Koelbl)
    Adalbert Siniawski: "Das deutsche Wohnzimmer", das waren Menschen auf dem eigenen Sofa zwischen Hirschgeweih, Bücherschrankwand und Eiche rustikal. Oder: "Jüdische Porträts", Nahaufnahmen von Gesichtern prominenter Juden in Schwarzweiß. Oder: "Spuren der Macht", wie sich Staatsämter in den Gesichtsfalten von Merkel, Fischer und Schröder niederschlagen. Das alles eine kleine Auswahl von Projekten der Fotokünstlerin Herlinde Koelbl. Sie ist so etwas wie die Psychoanalytikerin der deutschen Wirklichkeit. Bei dem heute beginnenden neuen Festival Düsseldorf Photo wird im NRW-Forum eine Ausstellung mit Arbeiten aus ihrer Werkschau "Mein Blick" eröffnet und sie selbst in die Hall of Fame des Berufsverbandes BFF aufgenommen. Herlinde Koelbl, herzlichen Glückwunsch und willkommen zum "Corso"-Gespräch.
    Herlinde Koelbl: Ja, einen schönen guten Tag!
    Siniawski: Ich habe Sie eben als Psychoanalytikerin der deutschen Wirklichkeit bezeichnet, andere nannten Sie eine Menschenfängerin oder auch schlicht Seismograf. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
    Koelbl: Ich meine, da hat wahrscheinlich alles ein bisschen was eine Richtigkeit davon, aber ich sehe mich ganz anders – was heißt ganz anders, ich fotografiere einfach Menschen und ihre äußeren Zustände oder vielleicht auch ihre inneren Zustände. Mein Bestreben ist immer natürlich, etwas von dem Menschen zu zeigen, und wenn ich dann Serien mache, wie "Das deutsche Wohnzimmer" oder "Feine Leute" oder "Kleider machen Leute", dann hat das dann nämlich in der Sequenz dann eben als Serie tatsächlich so einen analytischen Blick auf ein Thema oder eine Gesellschaftsschicht oder eben auf eine spezifische Schicht Generation oder Gesellschaftsschicht.
    "Es ist mein Blick"
    Siniawski: Ist es das, was mit "Mein Blick" gemeint ist, oder wie die "FAZ" einmal sagte, der Koelbl-Effekt, analytisch?
    Koelbl: Es ist mein Blick, würde ich sagen, weil ich kann die Welt natürlich und den Menschen immer nur sehen mit meinem Blick, und ich könnte natürlich auch … Manche fotografieren Mode, aber das ist etwas, was mich nicht interessiert. Ich will wirklich versuchen – und deshalb ist mein Blick auf die wesentlichen Dinge, auf das, was uns Menschen immer wieder bewegt, was uns fordert, was das Leben uns bringt –, auf diese Dinge meinen Blick zu lenken und immer wieder das in Menschen zu suchen und natürlich dann auch durch Menschen und in Menschen zu zeigen. Also jetzt gerade auch hier in NRW ist es wirklich so eine Art kleine Zeitreise von meinen Anfängen in der Fotografie bis zu der kleinen Sequenz "Tod und Abschied", "Feine Leute", "Leiblichkeit", "Männer", "Targets", so eine Zeitreise eben auch, die viel von wesentlichen Themen des Lebens zeigen.
    Herlinde Koelbl steht am 08.05.2014 vor einem Bild ihrer neuen Foto-Ausstellung "Targets" in Berlin. In ihrem international angelegten Kunstprojekt hat Koelbl sechs Jahre lang in fast 30 Ländern die landestypischen Schießziele untersucht.
    Herlinde Koelbl vor einem Bild der Ausstellung "Targets" im Jahr 2014 in Berlin (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Siniawski: Ihre Arbeiten sind auch zum Beispiel in der Wochenzeitung "Die Zeit" zu sehen und zu lesen in der Serie "Das war meine Rettung", wo Prominente von Wendepunkten in ihrem Leben erzählen. Wie schaffen Sie es denn, Menschen wir Ulrich Seidl, Kardinal Marx oder eine Sahra Wagenknecht für die Aufnahme zu öffnen – braucht es ein spezielles Ritual vorher, oder denken diese Leute dann wohl, oh, Frau Koelbl kommt und macht das Foto, da muss ich jetzt einfach mal alles geben?
    Koelbl: Ich glaube, es ist anders. Ich habe ja – und das ist eben das, was die Kolumne eben bedeutet, das war meine Rettung, das sind ja Interviews, und ich mache ein Foto dazu. Das heißt, in dem Falle ist sogar der Text der wichtigere Teil als das Foto, und das ist vielleicht noch mal auch ein Blick in meine ganze künstlerische Palette. Ich mache ja nicht nur Fotos, sondern habe wie ein Künstler, der mal große, kleine Pinsel, Wasserfarben, Ölfarben benutzt, mache ich mal Fotos, mal Interviews, mal Video, mal Film, also Worte, Texte, alles zusammen oder auch getrennt. Und in dem Falle ist es so, für die Interviews mit all diesen Namen, die Sie sagten, bedeutet das erst mal eine intensive Vorbereitung und Einlesen. Und das, glaube ich, ist das Entscheidende, dass etwas gut wird, schon vorher sich einzulassen auf den Menschen, ob ich ihn jetzt interviewe oder dann eben auch fotografiere, sich wirklich einzulassen und nicht das eigene Ego zu sehen, sondern den anderen als einen wesentlichen Punkt zu sehen.
    Wir haben noch länger mit Herlinde Koelbl gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Siniawski: Aber ich frage mich schon, wie schaffen Sie es, ich sag mal, den Panzer einer Sahra Wagenknecht zu knacken? Die Promis heutzutage sind ja sehr professionell, werden überall fotografiert, sind in den Talkshows zu sehen, in der Presse, im Netz, da werden doch die Masken, die sie sich aufsetzen, ja immer härter, oder nicht?
    Koelbl: Das natürlich schon, aber vielleicht ist es eine Kunst oder so, sich dem anderen zu nähern, dass sie eben nicht die Maske aufsetzen, dass man ein etwas ehrlicheres Gegenüber hat. Man kann nicht einfach sagen wie beim Kuchenbacken, zwei Eier, 100 Gramm Zucker oder so was, das geht nicht, es ist jedes Mal ganz, ganz individuell, und man muss wirklich wie ein Seismograf sein für die Stimmungen, für die Zeichen des anderen, um sie dann eben im Foto oder im Gespräch eben wiederzugeben.
    Siniawski: Reden Ihnen die Promis oder besser gesagt die PR-Berater da irgendwie rein, also dieses Bild dürfen Sie nicht nehmen, auf gar keinen Fall, trotz Ihres Namens, oder haben Sie da immer die freie Wahl?
    Koelbl: Also ich hab das immer so gemacht, dass ich die Fotos nicht vorgelegt habe, ich bin ja kein Hofberichterstatter oder ein bezahlter Porträtist, sondern ich fotografiere die Menschen so gut wie möglich, denke ich, und so fair wie möglich, aber ich lege nicht die Fotos vor.
    "Ich habe an solchen Themen jahrelang gearbeitet"
    Siniawski: Ihre Projekte haben immer viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, das liegt nicht nur an der Art der Inszenierung, sondern auch am griffigen Oberthema, habe ich das Gefühl. "Das deutsche Wohnzimmer" haben wir gesagt, Sie waren schon auch in den deutschen Schlafzimmern, haben die feinen Leute getroffen, tierische Opfer beim Schlachten porträtiert und die Spuren der Macht bei Politikern studiert. Das sind ja alles sehr plakative Themen, das kann man sicher sagen, die auch den Voyeur in uns ansprechen – ist es das auch vielleicht?
    Koelbl: Das ist es eigentlich nicht, sondern der Titel ist natürlich griffig, da haben Sie recht, aber, und das ist das Entscheidende natürlich, ich habe an solchen Themen jahrelang gearbeitet und hab dazu gelesen, hab also dann nach vielen Jahren sozusagen die Essenz eines Themas erfasst und immer wieder reduziert, reduziert, reduziert, sodass dann wirklich, wie gesagt, so eine Essenz entsteht. Und in dieser Art, durch dieses Deutlichmachen eines Themas, was sonst nicht gemacht wird, und vielleicht auch Themen, die den anderen nicht beachtenswert erscheinen, wie das Wohnzimmer – jeder sagt, was willst du denn damit, jeder hat doch ein Wohnzimmer, ist doch nicht unspannend. "Spuren der Macht" war auch ein Thema, was man hätte erkennen können, aber es war niemandem wichtig. Aber ich habe meinen Blick darauf gewandt und fand es für mich wichtig. Und dann entstand etwas, eben auch durch dieses Komprimieren, durch die Essenz, dass ich etwas zeigte, wo man vorher nicht hingeguckt hat.
    Siniawski: Und auch lernen nach so einer Studie wahrscheinlich, das spielt auch eine Rolle, denke ich.
    Koelbl: Ja, das stimmt, absolut.
    Siniawski: Jetzt versuche ich Ihnen noch einen Stempel noch mal aufzudrücken.
    Koelbl: Okay!
    Siniawski: Sie sind quasi so – das würde ich schon sehen – der Gegenentwurf zur digitalen Denke, also diesem schnellen Schnappschuss mit dem Handy, dieser massenhaften schlichten und flüchtigen Fotografie. Sie nehmen sich Zeit für die Motive, auch für Langzeitbeobachtungen, eben diese Politikerporträts, über die wir sprachen. Geht uns denn, wie ist da Ihre Meinung, im neuen Fotografiezeitalter etwas verloren?
    Koelbl: Es geht etwas verloren auf eine gewisse Tiefe. Es ist auch so, jeder macht Fotos heute, und ganz viele Fotos, die werden aber zu 90, 95 Prozent, ich weiß nicht, sehr schnell wieder vergessen sein, weil sie eben nur dekorativ sind. Und auch im heutigen Zeitalter wird es so bleiben, dass wenn etwas mehr ist … Also gute Fotos oder auch gute Malerei muss mehr sein als Dekoration. Und wenn es mehr ist, wird es die Leute berühren, ansprechen, dass sie sich Gedanken darüber machen. Es wird sich in ihnen verankern, und das wird bleiben und diese dekorativen Bilder werden alle verschwinden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.