Dienstag, 19. März 2024

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Fotos aus den deutschen Kolonien
Afrikanische Postkartenidylle

In den wenigen Jahrzehnten des deutschen Kolonialismus wurde in der Presse des Kaiserreichs viel berichtet über das Leben in den Kolonien. Natürlich gehörten dazu auch Illustrationen. Zum Beispiel Farbfotos, die derzeit der Kölner Historiker Jens Jäger erkundet, um die Kolonien-PR besser einzuordnen.

Von Anja Reinhardt | 19.05.2019
Das Bild zeigt ein kleines Boot aus Holz am bewachsenen Ufer der genannten Bucht.
Aufnahme aus "Die Deutschen Kolonien" von Kurd Schwabe von 1908 (Entnommen aus: Kurd Schwabe (Hg.), Die Deutschen Kolonien, 2 Bde., Berlin: Verlag für Farbenphotographie Weller & Hüttich 1909/1910)
Landschaften, so idyllisch wie Urlaubsziele: Sattes Grün zieht sich über sanft geschwungene Hügel, im Hintergrund eine strahlend weiße Kirche. Andere Bilder zeigen weite, goldgelbe Wüstengebiete, durch die eine Lokomotive rauscht. Die vor rund 110 Jahren entstandenen Farbfotografien zeigen Afrika und China als vertraute Fremde, meint der Historiker Jens Jäger.
"Es geht darum zu zeigen: Ah, die Schönheit der Kolonien, die Schönheit der Landschaft, der Natur, die Üppigkeit der Natur. Ein anderes Seh-Erlebnis, aber gleichzeitig auch zu zeigen, welche positiven Wirkungen die Infrastruktur-Investitionen aus dem Kaiserreich mit sich bringen. Es geht auch darum, den Leuten in Deutschland zu zeigen: Hier lässt es sich genauso leben wie im Kaiserreich."
Mit patriotischer Technik im Gepäck
Ein Berliner Verlag schickte die Fotografen Bruno Marquardt, Eduard Kiewning und Robert Lohmeyer 1907 in die deutschen Kolonialgebiete, um dort mit neuester Technik zu fotografieren - in Farbe. Dabei griff man nicht etwa auf das von den Brüdern Lumière entwickelte Verfahren zurück, sondern ganz patriotisch auf eine vom Berliner Adolf Miethe entwickelte Technologie für farbige Fotos.
"Es ist umständlich, weil man drei Negative braucht für ein Farbbild und die muss man natürlich direkt hintereinander weg fotografieren. Dafür ist aber eine extra Kamera entwickelt worden, die alle drei auch im Gepäck hatten. Dadurch ist das dann weniger kompliziert, als es im ersten Augenblick erscheint."
PR für die Kolonien
Es entstanden verblüffend modern wirkende Hochglanz-Bilder, die Afrika als Naturschönheit darstellen - exotisch, aber nicht bedrohlich. Mit dem Bonus der Authentizität, den Malerei so nicht vermitteln konnte. Propaganda im Sinne der kolonialen Herrlichkeit. Die Fotografien sollten für einen Pracht-Band verwendet werden, der 200 Mark kostete, umgerechnet heute rund 2.000 Euro. Er erscheint vor dem Ersten Weltkrieg und nach brutalen kriegerischen Auseinandersetzungen in den sogenannten Schutzgebieten, mit zehntausenden Toten, manche sprechen von Hunderttausenden.
"Es ist so, dass die Kolonien in der Krise sind. Es gibt den Herero-Nama-Krieg in Südwestafrika, es gibt den Maji Maji-Aufstand in Ostafrika, der 1905 ausbricht. Dadurch sind die Kolonien sehr präsent in der Bevölkerung und sie werden auch kritisch gesehen. Und daraus ergibt sich ein Wandel innerhalb der Regierung und derjenigen, die eigentlich kolonialbegeistert sind, dass man im Grunde genommen heute würde man sagen PR machen muss für die Kolonien."
Deswegen erscheint nicht nur der teure Prachtband, sondern auch eine günstige Variante mit den spektakulären Farbfotografien, für 3,50 Mark, was in etwa dem Preis eines heutigen Ausstellungskataloges entspricht. Bis in unsere Zeit kursieren die Bilder von Lohmeyer, Marquardt und Kiewning wegen ihrer extrem guten Qualität im Netz, die Bücher mit ihren Fotos wurden immer wieder neu aufgelegt.
"Auch im Nationalsozialismus hatte die kolonialrevisionistische Bewegung ja eigentlich die höchste Mitgliederzahl überhaupt. Viel mehr als in der Weimarer Republik oder im Kaiserreich. Und da sind die Bilder auch noch mal 1941 gedruckt worden. Die wurden praktisch immer wieder verwendet um zu zeigen, wie gut der deutsche Kolonialismus war. Weil die Bilder ebenso eingängig sind, ästhetisch anspruchsvoll - letztendlich sehr viele Postkartenidyllen vermitteln."
"Es ist gut fotografiert, keine Frage"
Den Nationalsozialisten passten die Propaganda-Bilder, die auch die herrschende Rassentheorie untermauerten, gut ins Konzept. Denn die Afrikaner auf den Bildern wurden als von der europäischen Zivilisation Gezähmte dargestellt. Der Kölner Historiker Jens Jäger kann bei seinem Forschungsprojekt, das ohne die Unterstützung der Gerda-Henkel-Stiftung nicht möglich wäre, auch auf Tagebuchaufzeichnungen von Robert Lohmeyer zurückgreifen, die er bei dessen Enkel entdeckt hat.
"Eigentlich kann man sich so einen fortschrittlich denkenden Bürger des Kaiserreiches vorstellen, mit allen Ambivalenzen. Diese Kolonial-Begeisterung, die ja nur funktioniert, wenn man davon ausgeht, dass es eine klare Hierarchie der Rassen gibt, wo die Weißen ganz oben stehen, dass das nationale, patriotische Konkurrenzdenken, das ist schon da."
Die Bilder von Lohmeyer, Kiewning und Marquardt verdeutlichen den europäischen Blick auf Afrika, der bis heute eine gewisse Kontinuität besitzt. Die Folklore, die Exotik, auch das Abenteuer - all das funktioniert noch immer. Mit der Erforschung dieser Farbfotografien aus der Kolonialzeit können diese Kontinuitäten hinterfragt und historisch eingeordnet werden.
"Wir müssen vor allen Dingen lernen, mit solchen Bildern umzugehen und uns darüber im Klaren zu sein, in welchen Umständen und unter welchen Bedingungen sie produziert worden sind. Deswegen ist da so eine intensive Forschung ganz wichtig, weil sie ästhetisch immer noch funktionieren, ein faszinierendes Dokument. Es ist gut fotografiert, keine Frage. Aber sie dienen damals einem bestimmten Zweck. Und den Zweck transparent zu machen, das ist ganz wichtig."