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Fotos von 'Tschuri'
"Niemand hat zuvor einen Kometenkern in diesem Detail sehen können"

Die ESA-Raumsonde Rosetta liefert immer mehr hochauflösende Fotos des Kometen Tschurjumow-Gerasimenko. Holger Sierks ist quasi der 1. Kameramann der Mission und steuert die Infrarot-Kamera OSIRIS von Göttingen aus. Der Komet sei einem ständigen Wandel unterzogen. "So, wie wir ihn sehen, wurde er nicht geboren", sagte Sierks im DLF.

Holger Sierks im Gespräch mit Ralf Krauter | 23.01.2015
    Weitwinkel-Aufnahme des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko
    Holger Sierks: "Der Kometenkern verliert zwei bis drei Meter an Material bei jeder Runde um die Sonne." (ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS e.a.)
    Ralf Krauter: Die schon erwähnten Landschaftsaufnahmen des Kometen zeigen seine schroffe Oberfläche gestochen scharf, mit all ihren gebirgsartigen Zacken, Kanten und Abhängen. Geschossen hat diese Bilder eine Infrarot-Kamera namens OSIRIS, die die Raumsonde Rosetta an Bord trägt. Und diese Kamera wiederum wurde entwickelt von Forschern am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen, die bis heute für ihren Betrieb zuständig sind. Der – wenn man so will - 1. Kameramann der Kometen-Mission heißt Holger Sierks. Und den habe ich vorhin gefragt, was ihm durch den Kopf ging, als er die faszinierenden Aufnahmen dieser fremden Welt das erste Mal gesehen hat.
    Holger Sierks: Wir waren sehr überrascht, niemand hat zuvor einen Kometenkern in diesem Detail sehen können. Die früheren Beobachtungen waren mehr so auf 10, 20 Meter Pixelskala, wir können heute bis auf 10, 15 Zentimeter Details herausarbeiten. Wir sehen sehr glatte Strukturen, die also sehr mit Staub belegt sind, dicken Schichten Staub, die sehr isolierend wirken und keine Aktivität im Prinzip zulassen. Wir sehen hohe Kliffs, also Steilhänge mit 200 Meter Höhe, aus denen wir die Aktivität sehen können. Von daher eine große Überraschung. Eine große Überraschung sind auch die vielen Blöcke, die wir auf der Oberfläche sehen, Blöcke von einem halben Meter-, Metergröße bis auf 45 Meter, so Hausgröße. Und wir fragen uns: Wie kommen die dorthin, wo wir sie sehen? Und das heißt, die Transportphänomene von großem und kleinem Material auf der Oberfläche.
    Krauter: Nun ist ja schon länger bekannt, dass der Komet die Form einer, na ja, Badeente hat, so hat es ein Forscher mal bezeichnet. Welche zusätzlichen Informationen haben Sie denn seitdem gewonnen, also welche neuen Einsichten verschafft Ihnen dieser Überblick in die Morphologie, in die Oberflächenstruktur, den man jetzt gewonnen hat?
    "Noch keine Hinweise auf Dichte-Unterschiede"
    Sierks: Wir sehen, dass die beiden Teilkörper, was so aussieht wie ein kleiner Kopf und der Körper einer Badeente, sich nicht unterscheiden zu den besten Beobachtungen, die wir bis heute haben. Also, die Oberfläche scheint sehr ähnlich zu sein, der Staubbelag, die Kliffs, die Details, die wir sehen, unterscheiden sich in keiner Weise. Die spektralen, also die Farbuntersuchungen, die wir nehmen für die Bestimmung von Elementen an der Oberfläche, von Substanzen an der Oberfläche, scheinen auch keine Unterschiede zu zeigen. Auch gibt es noch keine Hinweise auf Dichte-Unterschiede. Also, für uns sehen die beiden Teile, die so wie Teilkörper aussehen, identisch aus. Von daher können wir auch heute noch nicht sagen: Sind das zwei Körper, die in der frühen Geschichte des Sonnensystems zueinandergefunden haben, oder ist das halt ein Teil von einem größeren Kometen, der sich einfach so entwickelt hat, wie wir ihn heute sehen? Denn so, wie wir ihn sehen, wurde er nicht geboren, der Kometenkern verliert zwei bis drei Meter an Material bei jeder Runde um die Sonne.
    Krauter: Wäre es denn denkbar, dass der früher deutlich runder war, und quasi dort, wo jetzt der Nacken ist, Material abgegeben hat, ins All rausgeschossen hat?
    Sierks: Das ist eine mögliche Erklärung, eine Fehlstelle, die also durch einen Einschlag von meteoritischem Material geschehen könnte. Die entwickelt sich weiter fort, die sammelt Sonnenenergie ein, es wärmt sich auf und die flüchtigen Bestandteile, Wasser im Wesentlichen, aber auch CO und CO2, die bohren dann so nach und nach eine immer tiefere Depression in die Oberfläche. Das hat dort, wo es geschehen ist, zwischen diesen beiden großen Körpern, auch das nette Argument, dass die Gravitation in der Mitte besonders niedrig ist. Denn der Kometenkern kann das Material nicht gut halten. Das weiß einfach nicht: Fühlt es sich nach rechts oder nach links gezogen? Und unter dieser aktiven Region ist wenig Masse, also ist es ganz leicht, dieses Material davonzutragen. Das könnte so ein Run-away, so ein fortlaufender Prozess sein, der sich dann einfach tiefer und tiefer in die Struktur hineinfrisst.
    Krauter: Ich habe gelesen, Sie und Ihre Kollegen wissen inzwischen, dass diese merkwürdige hantelförmige Struktur rund 100 Millionen Mal schwerer ist als die internationale Raumstation ISS, so ein Massevergleich mal. Spannend ist ja auch, dass Sie auch herausgefunden haben, dass der Kometenkern aber erstaunlich fluffig ist, der hat offenbar nur die Dichte von Kork, ist also viel leichter als Wassereis. Welche Rückschlüsse auf die Struktur und das Material unter der Oberfläche lassen sich denn aus diesem Befund ziehen?
    Sierks: Das ist ein ganz spannender Aspekt. Die mittlere Dichte, Kork ist die Hälfte von Wasser. Das Material, das aber dort vorhanden ist, ist Wasser, also Eis, und Staub, also Silikate, auch Material, das deutlich schwerer ist, also eine typische Dichte von zwei oder drei Gramm pro Kubikzentimeter hat. Das heißt, wir brauchen eine hohe Porosität, um die mittlere Dichte zu erklären. Das heißt, das meiste, was wir sehen, ist nicht Komet, das meiste, 70 Prozent ist Porosität, das klebt ganz locker und fluffig zusammen, und zwar im Mittel, über den ganzen Kometenkern. Und das spricht dafür, dass in der Entstehungsgeschichte keine Kompression, keine Kompaktion mehr stattgefunden hat. Das Material in der frühen Gas- und Staubwolke hat nur ganz locker zueinandergefunden, hat aneinandergeklebt, so kleine Kometesimale gebildet, die dann am Ende sich zu einem Kometenkern verklumpt haben. Keine Kompaktion, das heißt, diese leeren Stellen, die Porosität ist noch aus der Ursprungsphase der Entstehung vor viereinhalb Milliarden Jahren.
    Krauter: Ist der Steckbrief des Kometen, den man bis heute jetzt zeichnen kann dank der neuen Daten, denn jetzt schon weitgehend komplett, oder gibt es da noch Lücken im Datenblatt sozusagen, die Sie in den nächsten Monaten zu füllen hoffen?
    "Bisher haben wir nur den Nordteil gesehen"
    Sierks: Da wird jetzt viel geschehen. Die Aktivität geht ja um einen Faktor 100 hoch von heute, also, wir können heute wunderbar einzelne Regionen studieren und erarbeiten, wie die Aktivität wohl angetrieben wird. Im August sind wir am sonnennächsten Punkt und die Aktivität wird immens ansteigen. Die Raumsonde wird sich auf 100 Kilometer Abstand zurückziehen und wir werden also aus größerem Abstand dann beobachten können und monitoren können, einmal im Monat, wenn wir dichter rangehen, aber auch nur auf 30 bis 50 Kilometer. Die hohe Aktivität findet im Wesentlichen auf der bisher noch nicht gesehenen Hemisphäre statt. Bisher haben wir nur den Nordteil gesehen, der ist halt im Licht im Sommer, ist beleuchtet und wir können den wunderbar kartieren; die Südhemisphäre ist momentan noch in polarer Nacht, da kommt kein Licht hin. Ab Mai dieses Jahres steht die Sonne senkrecht über dem Äquator und ab Mai geht die Sonne immer weiter in den Süden. Die geringe Entfernung zur Sonne gibt also viel Energie und eine hohe Aktivität auf der Südlichen Hemisphäre, also, das bleibt nicht nur spannend, sondern das wird dann richtig spannend, dann entwickelt sich der Komet zu dem Kometen, den wir so kennen irgendwie als Schweifstern – in Anführungsstrichen – am Himmel.
    Krauter: Das heißt, Sie wollen sozusagen zuschauen, wie der Komet jetzt so richtig erwacht. Für die ESA ist die Rosetta-Mission ja jetzt schon ein grandioser Erfolg. Dennoch hat der noch amtierende Generaldirektor Jean-Jacques Dordain kürzlich seinem Ärger Luft gemacht, dass bislang so wenige Bilder vom Kometen veröffentlicht wurden. Ein bisschen zugespitzt hat er gesagt: Die Forscher am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung sitzen auf ihren hoch auflösenden Osiris-Aufnahmen und rücken die nicht raus! Gemeint sind damit Sie, unter anderem. Was ist der Grund für diese zögerliche Freigabe dieser tollen Fotos?
    Sierks: Ich kann das nachvollziehen und nicht nachvollziehen. Wir haben mit der ESA vereinbart, dass wir einmal wöchentlich ein gemeinsames Release machen. Wir machen das nicht alleine, das machen wir immer gemeinsam. Einmal in der Woche machen wir ein Presse-Release, wir machen Wissenschaft. Das heißt, mit diesem Bild geht dann eben auch eine wissenschaftliche Geschichte, eine Erklärung, wie sehen wir das heute, mit hinaus. Und das braucht Zeit, das zu erarbeiten, wir müssen auch erst verstehen, was wir sehen. Von daher, so weit ich die Kritik auch verstehe, muss man schon auch sehen: Wir haben schon über 80 Aufnahmen von OSIRIS in den Blogs und auf dem Web veröffentlicht, von daher war das durchgehend eine große Anstrengung, auch die Öffentlichkeit immer zu informieren. Und ich meine, wir haben das ganz gut gemacht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.