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"Fotzenfenderschweine"
Liebe und Leben als Indie-Musiker

Drei Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin und Musikerin Almut Klotz hat ihr Lebensgefährte Christian Dabeler ihren Nachlasstext „Fotzenfenderschweine“ veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht die große Liebe zweier Musiker und das Leben als Indie-Musiker jenseits der 30.

Von Christoph Reimann | 08.07.2016
    Ein Herz, gemalt auf einer Wand, in Berlin im Bezirk Kreuzberg.
    Ein Herz, gemalt auf einer Wand, in Kreuzberg. Klotz zog 1985 in den Berliner Bezirk. Das postum veröffentlichte Buch "Fotzenfenderschweine" handelt von der Liebesgeschichte zu ihrem Lebensgefährten. (dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg)
    "Da lebt man 20 Jahre in Berlin und denkt, man wäre so die Creme de la Boheme, und dann kriegt man durch die Perspektive eines anderen plötzlich mit, wie saturiert man eigentlich ist und wie piefig diese Indie-Avantgarde sein kann."
    Almut Klotz meint die Perspektive von Christian Dabeler, genannt Christian Reverend Dabeler, oder – aber das geht Klotz nicht über die Lippen – einfach nur Rev. Er ist nicht der Erste, aber ihre große Liebe. Ein streitbarer Typ, mit Rubinring an der Hand und einem sehr langen Mantel, der ihn wie einen Geistlichen aussehen lässt. Dabeler ist Dreh- und Angelpunkt im Buch "Fotzenfenderschweine", drei Jahre nach dem Tod von Klotz erschienen.
    "Als ich in Hamburg-Altona ausstieg und mich auf den Weg zu seiner Wohnung machte, war ich mehrmals kurz davor, wieder umzukehren. Es schossen so Gedanken herein wie: Ich muss das ja gar nicht machen! Das ist freiwillig! Ich kann jederzeit einfach gehen. Und das war ungeheuer erleichternd. Aber dann stand ich halt doch vor der Tür."
    Eine Beziehung, in der viel gestritten wird
    Es ist Anfang der Nuller Jahre. Die Lassie Singers, die Band, mit der Almut Klotz bekannt wurde, ist seit ein paar Jahren Geschichte. Längst ist sie anderweitig tätig und leitet zum Beispiel den Popchor Berlin. Dafür braucht sie immer wieder Playbacks bekannter Popsongs und bittet den Hamburger Organisten Dabeler – der seit den ersten Begegnungen nie ganz aus ihrem Kopf verschwunden ist – um Hilfe. Zwei Indie-Popmusiker im mittleren Alter.
    "Ich sagte: 'Bezahlen kann ich nichts.' Und er: 'Hab‘ ich mir schon gedacht, halt so Berlin-Style.'"
    Es entwickelt sich eine Beziehung, in der viel gestritten wird, in der aber die Zuneigung überwiegt. Und es gibt gemeinsame Hassthemen: Komödien mit Katja Riemann zum Beispiel oder verzogene Kinder von überstolzen Großstadteltern. Almut Klotz erzählt leichtfüßig, direkt und mit trockenem Humor. Nur erfährt man wenig über sie selbst und nur manchmal etwas über ihren Blick auf die deutschsprachige Indie-Szene. Aber wenn, dann ohne Umschweife:
    "Musikkolleginnen haben sich oft beklagt, warum es so wenige Musikerinnen gäbe. Neben allen Steinen, die ihnen von den bösen Jungs in den Weg gelegt werden, kommt aber nie zur Sprache, dass kaum ein Mädchen sich mit seinem Instrument, seinem Sound mal richtig beschäftigt und übt, sodass sie mit ihrer Band weiterkommen würde."
    Kritischer Blick auf den Kultur-Betrieb
    Dazu muss man sagen, dass die Lassie Singers trotz männlicher Mitglieder als Frauenband wahrgenommen wurden, eben wegen Songs wie diesem hier:
    Musik: Song "Männliche Mitmenschen"
    An anderer Stelle führt Klotz den Kultur-Betrieb vor, der sich zwar für unbürgerlich-liberal hält. Aber wenn sie und Christian Dabeler als Duo auftreten, wollen Veranstalter oft nur mit ihr, der Lehrertochter, sprechen und übersehen offenbar Dabeler, der aus einfachen Verhältnissen kommt.
    "Je akademischer ein Mensch, desto mehr scheint er Angst vor Reverend zu haben; mit prolligen Leuten und allgemein mit Nicht-Kulturschaffenden oder Künstlern, die in Nischen jenseits vom Feuilleton nisteten, gab es dieses Phänomen meistens nicht."
    Vermutlich hätte Almut Klotz noch ein paar Stellen von "Fotzenfenderschweine" überarbeitet und geglättet – hätte sie nicht der Krebs eingeholt. Aber gerade durch den fragmentarischen Charakter, durch seine Rauheit liefert das Buch einen unsentimentalen Blick auf die Liebe und das Leben als Indie-Musiker jenseits der 30, in dem auch mal vulgär geflucht werden darf. So erklärt sich der Titel.