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Frank Biess: "Republik der Angst"
Zyklen der German Angst

"German Angst" ist ein international geläufiger Begriff, der deutsche Bedenken und Vorsicht in Sicherheits- und Umweltfragen bezeichnet. Angeblich ist er geprägt durch die Erfahrungen der Menschen in der NS-Zeit. Der Historiker Frank Biess ist dem nachgegangen.

Von Martin Hubert | 04.03.2019
Cover-Collage: Frank Biess "Repubik der Angst". Rechts im Hintergrund: Soldaten der Bundeswehr marschieren hinter einem Plakat mit der Aufschrift "Nato-Soldaten sagen No zu Cruise Missiles und Pershing Zwo!". Die Menschenmenge dahinter trägt eine Pershing-II-Attrappe. Eine Demonstration im Jahre 1983
Biess interpretiert Angst als politisches und soziales Gefühl (Buchcover: Rowohlt Verlag, Hintergrundfoto: dpa)
Das Thema "Deutsche Angst in der Bundesrepublik" birgt eine Falle. Denn die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gilt als Erfolgsgeschichte. Deutschland, so der allgemeine Tenor, hat sich nach 1945 immer mehr liberalisiert, demokratisiert und ökonomisch gefestigt. Das verführt zu dem voreiligen Schluss, Ängste in diesem Zeitraum seien letztlich nur Hirngespinste gewesen. Man nimmt sie daher in der Rückschau nicht ernst, sondern deutet sie psychologisch als Auswuchs übersensibler Charaktere. Das Buch des in San Diego lehrenden deutschen Historikers Frank Biess ist schon deshalb lesenswert, weil es nicht in diese Falle tappt. Er schreibt:
"In diesem Buch plädiere ich dafür, diese Ängste nicht mit der ‚enormen Herablassung der Nachwelt‘ zu betrachten, nur weil sie sich oft nicht bewahrheiteten. Ich versuche im Gegenteil, die zeitgenössischen Angstzyklen ernst zu nehmen und auf diese Weise ein Korrektiv gegenüber allzu linearen und oft teleologischen Erzählungen der Geschichte der Bundesrepublik zu bieten. Die Westdeutschen konnten sich nach 1945 nie völlig sicher sein, dass sich ihr Staat in eine friedliche, wohlhabende und relativ pluralistische demokratische Gesellschaft entwickeln würde. Wir müssen daher den Zeitgenossen der Nachkriegsgesellschaft zugestehen, was wir für uns alle reklamieren: eine offene Zukunft."
Biess interpretiert Angst als politisches und soziales Gefühl, das auf reale Ereignisse reagiert, sie aber auch beeinflusst. Er zitiert häufig aus Tagebüchern, Umfragen und zeitgenössischen Theorien. So kann er subjektive Gefühlsäußerungen in den Kontext allgemeiner Deutungsmuster stellen und auf wichtige Etappen der politischen Entwicklung beziehen.
Als ersten Angstzyklus nach 1945 identifiziert er die Angst vor einer ungewissen, blockierten Zukunft nach dem Ende der Naziherrschaft. Sie ist verbunden mit der Angst vor einer Rache der Alliierten, "der Russen", der Kriegsgefangenen und "der Juden" angesichts der begangenen Verbrechen.
"Die totale Niederlage und die Erfahrung der alliierten Besatzung verstärkten die existenzielle Bedeutung der nationalen Gemeinschaft für viele Deutsche. Die enge Verbindung zwischen persönlicher Identität und nationaler Zugehörigkeit überdauerte so die Zäsur von 1945 und prägte weiterhin das Empfinden vieler Deutscher."
Die Zyklen der Angst und ihre Folgen
Biess liefert genaue Zahlen über wirkliche Übergriffe an Deutschen. Sie zeigen, dass die Vergeltungsangst einen realen Kern besaß. Es wurde aber auch übertrieben - bis hin zu einem deutschen Opfermythos, der sich aus teils merkwürdigen Imaginationen speiste.
Mitte der 50er Jahre begann laut Biess ein neuer Angstzyklus, der die Erinnerung an die NS-Zeit in anderer Richtung akzentuierte. Die Furcht vor dem Atomkrieg, der Kampf gegen Wiederbewaffnung und die Notstandsgesetze beruhten auf der Angst vor einem Rückfall in Militarismus und einen autoritären Staat.
In den 60er-Jahren wurde Angst schließlich zunehmend positiv besetzt und galt als Emotion, die für Angriffe auf die Demokratie sensibilisiert. Die radikalen Aktivisten der 68er-Bewegung spitzten diese Sensibilität zu und schlossen die schuldbeladene Vergangenheit direkt mit der Gegenwart kurz:
"Ihre Konfrontation mit der Staatsgewalt in dieser Zeit verfestigte die angstvolle und schließlich paranoide Wahrnehmung der Bundesrepublik als ‘faschistoider‘ , wenn nicht sogar ‘faschistischer Staat‘"
Wie sich Ängste verstärken
Die 70er-Jahre bringen für Biess dann eine völlig neue, expressive Gefühlskultur. Der Ausdruck von Emotionen gilt nun als legitimer und notwendiger Bestandteil des sozialen und politischen Lebens. Biess schließt sich anderen Historikern an, wenn er die Friedens- und der Umweltbewegung als den Gipfel der deutschen Angstzyklen bezeichnet, der den international gebräuchlichen Begriff der "German Angst" provozierte. Auch hier spielte die NS-Vergangenheit noch herein, wenn vor dem "Holocaust" am deutschen Wald oder des Nuklearkriegs gewarnt wurde. Biess ist also keineswegs blind gegenüber linken Angstexzessen, ordnet sie aber differenziert ein.
"Es ist verfehlt und historisch ungenau, Angst nur auf der Linken zu verorten. Die Mobilisierung von Ängsten durch Konservative hatte eine lange Tradition in der Bundesrepublik, so der Antikommunismus der fünfziger Jahre, die Reaktion auf ‘1968‘ oder die Terrorismusangst der 1970er-Jahre. Die politischen Ängste in der Bundesrepublik waren immer das Produkt einer Dialektik, in der die Ängste der einen Seite die der anderen mobilisierten und umgekehrt. Und doch erfüllt die Rede von der German Angst eine ganz bestimmte politische Funktion: die der Kritik an einer vermeintlich linken Angstkultur."
Biess‘ Buch macht mit vielen Belegen klar: Die Angstkultur der Bundesrepublik ist breiter, widersprüchlicher und vielfältiger als oft unterstellt wird. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland traten von Anfang an auch Ängste auf, die nicht eindeutig ideologisch klassifizierbar sind. Etwa die Angst vor der modernen Welt, der Automatisierung, der Arbeitslosigkeit oder vor Krankheit und Stress. Die Ängste vor zu viel Demokratie oder dem Verlust traditioneller Werte und Lebensformen gehören dagegen eindeutig zur rechten Angstgeschichte. In ihrem Zentrum steht aber vor allem die Angst vor den Fremden.
Tausende Anhänger des Bündnisses Pegida stehen auf dem Theaterplatz in Dresden, in der Mitte ist ein in Schwarz-Rot-Gold angemaltes Kreuz zu sehen. aufgenommen am 19.10.2015 
"Die politischen Ängste in der Bundesrepublik waren immer das Produkt einer Dialektik, in der die Ängste der einen Seite die der anderen mobilisierten und umgekehrt", sagt der Autor Frank Bies. (dpa-Zentralbild / Ralf Hirschberger)
Demokratische Ängste dienen der Verteidigung der Demokratie
Am Ende widmet er sich dann ausführlich dem gegenwärtigen Aufschwung von AfD und Pegida. Für Biess profitieren beide von der expressiven Gefühlskultur, die von der Linken in Gang gesetzt wurde und wenden sie nach rechts. Seine Gegenstrategie:
"Heute ginge es darum, angesichts des Aufstiegs des Rechtspopulismus die Angst vor dem Verlust der liberalen Demokratie und pluralistischen Gesellschaft zu mobilisieren. Wie beschrieben, erkannte schon Adenauer, dass die Mobilisierung konkurrierender Ängste auch der Angsteindämmung dienen kann. Demokratische Ängste erscheinen somit durchaus als wichtiger Bestandteil einer Verteidigung der Demokratie."
Frank Biess hat ein materialreiches Buch mit vielen anregenden Thesen geschrieben. Nicht immer wird zwar klar, wie viele Menschen dem einen oder anderen Zyklus in der bundesrepublikanischen Geschichte folgten. Und nicht jeder Leser wird seiner politischen Einstellung gemäß allen seiner Thesen zustimmen. Aber die Lektüre des Buches ist ein Gewinn, weil es verschiedene Perspektiven auf die "Deutsche Angst" integriert und sie so zu einem seriösen Thema macht.
Frank Biess: "Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik",
Rowohlt Verlag, 613 Seiten, 22,00 Euro.