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Frankfurter Buchmesse
Die politische Wirkung des Lesens

Die diesjährige Buchmesse steht im Zeichen vielfacher Politisierung, von der Frage, wie mit der neuen Rechten umzugehen sei bis zur Lage verfolgter Schriftsteller und Journalisten nicht nur in der Türkei. Auch das buchbegeisterte Gastland Georgien kann seine Probleme nicht ausklammern.

Von Ludger Fittkau | 13.10.2018
    11.10.2018, Hessen, Frankfurt/Main: Besucher der Frankfurter Buchmesse blättern an einem Verlagsstand in Büchern. Die weltgrößte Bücherschau findet bis zum 14. Oktober statt.
    Büchermachen und Lesen - genussvolle Tätigkeiten und gleichzeitig politische Handlungen (dpa / Arne Dedert)
    Lesen ist nicht nur ein Privatvergnügen. Wer liest, kann öffentliche Wirkung entfalten. Insofern ist das Werben für die Kulturtechnik des Lesens im digitalen Zeitalter auch eminent politisch. Das ist ein Fazit der diesjährigen Buchmesse.
    Genuss und politische Handlung
    Es war Deniz Yücel, der bei einer überfüllten Veranstaltung im schönen neuen Buchmessen-Pavillon auf der Agora deutlich machte, wie wichtig es beispielsweise für inhaftierte Schriftsteller ist, dass sie gelesen werden und das über ihre Bücher öffentlich gesprochen wird.
    "Und ich weiß auch, dass diese Veranstaltung zum Beispiel bei Ahmet Altan, dessen Buch ich hier mitgebracht habe, erschienen bei Fischer, Ich werde die Welt nie wiedersehen. Wenn wir über dieses Buch reden, wenn Sie dieses Buch kaufen, wenn sie ihm vielleicht ein paar Zeilen schreiben. Diese Veranstaltung hier, dass Sie Bücher lesen und kaufen, die kommen direkt im Knast auch an."
    Büchermachen und Lesen - genussvolle Tätigkeiten und gleichzeitig politische Handlungen. Beim diesjährigen Gastland Georgien gehört der Zusammenhang zwischen gutem Lesestoff und politischen Themen zur historischen Selbstverständigung. Deswegen waren die 33 Buchstaben des alten georgischen Alphabets als zentrale Gestaltungselemente des Gastland-Pavillons so gut gewählt. Man verschwand gewissermaßen in einer eigenen Welt der geheimnisvollen, fremden Schriftzeichen, wenn man in den Raum eintauchte.
    Die eigene Schrift als Kraftquelle
    Die georgische Schrift ist auch ein Symbol für den eigenständigen Weg, den das kleine Kaukasus-Land am Rande Europas gehen muss. Der Westen ist da nun bedingt hilfreich, stellte die georgische Schriftstellerin und Übersetzerin Naira Gelaschwili fest. Mit Blick auf die russischen Aggressionen gegen ihr Land im Laufe des vergangenen Jahrhunderts:
    "Zum zweiten Mal ist das Land wegen seiner Bestrebungen nach Unabhängigkeit bitter bestraft. 1921 wurde das ganze Land okkupiert von der russischen roten Armee und jetzt sind 22 Prozent des Landes okkupiert im Kriege 2008. Und wir wissen eigentlich nicht, wie weiter. Und ich glaube Georgien hat zu viele Hoffnungen auf den Westen gesetzt."
    Die befreiende Kraft der Literatur in der Muttersprache - die zeigt Georgien auf dieser doch oft vom globalen Esperanto Englisch geprägten Frankfurter Buchmesse überzeugend.
    Lesen ist nicht nur ein Privatvergnügen - doch Schreiben und Verlegen auch nicht. Das machte Alexander Skipis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gleich bei mehreren Veranstaltungen auf der Buchmesse sehr deutlich. Ihn hat es maßlos geärgert, dass unlängst bei einer Buchmesse in Istanbul die meisten der in der Stadt anwesenden deutschen Verlage bei einer Mahnwache für inhaftierte Schriftsteller und Journalisten in der Türkei durch Abwesenheit glänzten.
    "Auf dieser Buchmesse in Istanbul waren - schätze ich mal - mindesten vierzig oder fünfzig Verleger aus Deutschland. Und wir haben diese Mahnwache gemacht und die haben wir tatsächlich mit drei Verlegern und zwei Autoren gemacht. Und das hat mich dann schon ein bisschen enttäuscht."
    Jawohl, das geht: Twitter und Facebook einfach ignorieren
    Politische Verzagtheit von Verlegern oder Autoren - damit kann natürlich Investigativ-Altmeister Günter Wallraff gar nichts anfangen. Er nahm an einer Veranstaltung teil, bei der das deutsche PEN-Zentrum eine Umfrage unter mehr als 500 Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu ihrer Reaktion auf Hass-Mails vorstellte. Dabei zeigte sich, dass ein Viertel der Autoren nach Hass-Mails mit politischen Äußerungen vorsichtiger wird. Meist unnötige Selbstzensur sei das, so Wallraff:
    "Wenn jetzt Autoren sich Zurückhaltung auferlegen, sich wegducken, das verstehe ich nicht. Ich würde sagen, dann ignoriert man solche sogenannten sozialen oder asozialen Medien. Die muss man sich doch nicht antun. Ich frequentiere weder Facebook noch Twitter. Wenn ich das jeden Tag tun würde, mir wird das schon mal zugetragen - Mensch, dann wäre ich depressiv. Ich würde mich nicht abhalten lassen, meine Arbeit zu machen."
    Sich nicht durch politischen Druck von der Arbeit abhalten lassen - beim Schreiben oder eben auch beim Lesen. In der Türkei ist das heute besonders schwer geworden. Deniz Yücel befürchtet, dass das Regime politisch weiterhin sehr repressiv sein wird. Schon deswegen, weil Erdogan an der Macht bleiben müsse, um nicht selbst irgendwann in dem Gefängnis zu landen, wo er selbst war, so Yücel:
    "Es gibt da einige Leute, die dort arbeiten und darauf warten, ihn endlich empfangen zu können. Das weiß er. Deswegen. Ich fürchte: Sie haben schon einiges in diesem Land kaputt gemacht und ich fürchte, sie werden noch einiges kaputt machen, bis diese Gangster endlich verschwinden".