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Frankfurter Buchmesse
"Vom normalen Leser sieht man eigentlich nichts"

"Das Ego muss ja auch leben" - das meint der Schriftsteller Karl-Heinz Ott mit Blick auf die Buchmesse. Hätte er in diesem Jahr nichts veröffentlicht, wäre er nicht gekommen, sagte er im DLF. Das würde man als Autor nicht ertragen. Auf seine Leser trifft Ott bei der Messe wenig - die Literaturszene bliebe auf der Messe weitestgehend unter sich.

Karl-Heinz Ott im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 14.10.2015
    Frankfurt am Main, Buchmesse 2013, Halle 3.1, zahlreiche Messebesucher stöbern in den ausgestellten Kinder- und Jugendbüchern.
    Jedes Jahr drängen sich Hunderttausende durch die Messehallen Frankfurt. (picture alliance / dpa / Friedel Gierth)
    Maja Ellmenreich: Mehr Literatur, weniger Events, mehr Inhalt, weniger Show - das klang ein bisschen nach erhobenem Zeigefinger und Imperativ, was Buchmessen-Direktor Jürgen Boos da vor einigen Tagen ausgerufen hat für die Frankfurter Buchmesse 2015. Dennoch ist davon auszugehen, dass es an Event- und Show-Momenten in den kommenden Tagen hier in den Messehallen in Frankfurt nicht mangeln wird. Ich möchte jetzt mit dem Schriftsteller Karl-Heinz Ott sprechen über das Theater auf der Buchmesse, übers Inszenieren und Spektakeln, denn Karl-Heinz Ott kennt sich bestens aus mit der Bühne, hat als Operndramaturg gearbeitet, schreibt selbst für die Theaterbühne beziehungsweise bearbeitet Stücke anderer für den Bühnenauftritt. Und auch sein jüngster Roman, "Die Auferstehung", ist voller dramatischer Momente, wenn sich nämlich vier vermeintlich erwachsene Geschwister am Totenbett des Vaters treffen. Karl-Heinz Ott, guten Tag.
    Karl-Heinz Ott: Guten Tag.
    Ellmenreich: Weniger Events, weniger Show. Was würde eigentlich übrig bleiben, wenn man mal ganz auf diese beiden Zutaten verzichten würde bei der Buchmesse?
    Ott: Dann hätten wir hier lauter mönchische Leser, die kaum miteinander sprechen, und wir hätten auch wahrscheinlich keine Dinge, die wirklich ziehen. Das sagt sich immer ganz leicht in unserer Gesellschaft, in der das Spektakel sowieso übermächtig ist, und dann will man gelegentlich daran erinnern, dass es auch so was Ähnliches wie Substanz gibt. Aber natürlich wäre das Quatsch, aus einer Buchmesse, der größten der Welt, ein stilles Ereignis zu machen, indem man sagt, es darf nichts Knalliges geben. Das wäre widersinnig.
    Ellmenreich: Ist das Buch denn an sich nicht ein undankbares Medium, um es groß auszustellen? Wie würde man ein Buch an sich inszenieren wollen?
    Ott: Das macht ja hier die Masse aus. Masse klingt natürlich schrecklich und das ist auch schrecklich, vor allem als Autor, wenn man denkt, mein Gott, wie will ich da auch noch so ein paar Seiten reindrücken in diese abertausenden oder gar gefühlt Millionen von Büchern. Andererseits lässt sich ein einzelnes Buch natürlich nicht groß präsentieren. Vielleicht beim Buchhändler, wenn 20 durcheinanderliegen und so ein Stapel da ist, dann ist das ganz nett. Aber natürlich ist hier schon auch die Quantität so beeindruckend, egal ob man das liebt oder nicht.
    "Es ist im Grunde ein Insider-Klub"
    Ellmenreich: Sie sind mit einem Buch gekommen, auch wenn es sicherlich in vielfacher Ausführung vorliegt am Stand Ihres Verlages: mit Ihrem Buch "Die Auferstehung". Herr Ott, wären Sie auch gekommen in diesem Jahr zur Buchmesse, wenn Sie dieses Buch nicht geschrieben hätten und das jetzt rechtzeitig zur Buchmesse erschienen wäre?
    Ott: Wenn Sie mich eingeladen hätten, wäre ich trotzdem gekommen. Da nimmt man dann schon auch Gelegenheiten wahr, sei es eine Podiumsdiskussion oder irgendwas. Aber in der Regel ist es für einen Autor schwer erträglich, hier durch die ganzen Flure und Hallen zu laufen und zu sehen, alle anderen haben wieder immens gearbeitet, und das erdrückt einen. Das will man eigentlich nicht miterleben. Da geht man nach zwei Tagen völlig gefrustet wieder nach Hause und denkt, lass doch dieses ganze Schreiben, da ist eh kein Platz mehr.
    Ellmenreich: Schwer erträglich, weil das Ego nicht gekitzelt wird?
    Ott: Natürlich. Aber das Ego muss ja auch leben. Es ist ja auch für jeden Autor ein ökonomisches Geschäft und das heißt natürlich, man muss hoffen, in diesem riesigen Markt trotzdem noch durchzukommen.
    Ellmenreich: Oder ist das auch so etwas wie der Ort des Nährens, dass man in den Tagen der Buchmesse, weil man viel Kontakt zu seinen Lesern hat, auch Nahrung mitnimmt, emotionale oder von mir aus auch egozentrische Nahrung für die nächsten Monate, in denen man schreibt?
    Ott: Jein, denn so viele Leser trifft man hier als Autor nicht, vorausgesetzt, dass man nicht Samstag, Sonntag noch da ist. Aber in aller Regel, wenn man von Mittwoch bis Freitag auf der Buchmesse weilt, ist man ziemlich geschafft. Die Nächte sind ja meistens auch dann relativ kurz, weil man eben viele Leute trifft. Aber das sind Leute aus den Verlagen. Das sind Buchhändler. Das sind Leute von Literaturhäusern. Obwohl es unendlich viele Leute sind, ist es doch im Grunde ein Insider-Klub. Das ist schön und das ist wunderbar so. Meistens sieht man sich auch nur auf der Buchmesse und sagt dann immer, wir sehen uns wieder auf der Buchmesse nächstes Mal. Das kann dann in drei oder fünf Jahren sein. Immerhin sieht man sich da und feiert dann nachts lange und ist hundemüde. Aber von den Lesern, vom normalen Leser sieht man eigentlich nichts.
    "Prominentenrummel nur noch in Ausnahmefällen"
    Ellmenreich: Trotzdem kommen die Leser insbesondere an den beiden Publikumstagen Samstag und Sonntag hierher, um ihre Literaten zu treffen, um diejenigen zu sehen, deren Texte sie vorher gelesen haben, oder die sie vielleicht auch gerade planen zu lesen. Welche Erklärung haben Sie dafür, dass man als Leser das tiefe Bedürfnis hat, den Literaten, den Schriftsteller auch mal mit Haut und Haaren zu erleben? Warum reichen die Texte nicht aus?
    Ott: Das weiß ich nicht. Gut, man kann es ja verstehen bei wirklich weltberühmten Leuten. Die hat man mal gern gesehen. Salman Rushdie natürlich, denn wenn der jetzt hier durchwandeln würde, möchte man mal das Gefühl haben, ich habe den echt gesehen. Oder wenn Angela Merkel hier wäre, würde man auch denken, ich schaff mich mal vor durch die Menge und möchte irgendwie ein Zipfelchen von ihr noch mitkriegen.
    Ellmenreich: Das ist dann pure Neugier wahrscheinlich.
    Ott: Das ist pure Neugier, oder dass man zuhause sagen kann, ich habe auch die schon mal fast mit Handschlag erlebt. Aber ansonsten hat sich das ja auch ein bisschen demokratisiert, das Ganze. Ich sage mal, diese ganz großen Namen, wie das noch in den 60er-Jahren der Fall war, Gruppe 47, wo dann eine Handvoll Leute eigentlich nicht nur das literarische, sondern auch das kulturell-politische Leben mitbestimmten, die auch jeden dritten Tag irgendwas in ein bedeutendes Mikrofon sagten, die Zeiten sind ja vorbei. Da herrscht eine zu große Vielfalt. Da gibt es nicht mehr diese politisch eindeutigen Meinungen, die man zu vergeben hat. Insofern denke ich, mit dem Prominentenrummel ist das nur noch in Ausnahmefällen vorhanden.
    Ellmenreich: Karl-Heinz Ott hat uns ein bisschen desillusioniert. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.