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Frankreich
Bedürftige stehen Schlange

Knapp 3,4 Millionen Franzosen sind ohne Job, so viele wie noch nie zuvor. Etliche sind auf Hilfe angewiesen. Der Verein "Restos du Coeur" beginnt jetzt mit der Winterspeisung für alle Bedürftigen. 130 Millionen Mahlzeiten wurden beim letzten Mal verteilt, dieses Jahr werden die wohl nicht reichen.

Von Suzanne Krause | 24.11.2014
    Ehrenamtliche verteilen Kleidung und Lebensmittel an Bedürftige in einer Einrichtung der französischen Initiative "Resto du Coeur"
    Die Initiative "Resto du Coeur" verteilt im Winter Kleidung und Lebensmittel an Bedürftige. (afp / Jean-Philippe Ksiazek)
    Im Industriegebiet der 12.000-Einwohner-Gemeinde Provins hat sich das hiesige Resto du Coeur eingerichtet. In mehreren zusammengestellten Baucontainern. Platz ist hier Mangelware: Auf Regalen und Behelfsablagen im Eingangsbereich liegen Bücher, gebrauchtes Geschirr, der Raum dahinter wirkt wie eine winzige Markthalle. Nebenan eine Gebrauchtkleiderkammer und eine Ecke mit Babybedarf.
    Morgens um neun geht es im Resto du Coeur zu wie in einem Bienenstock: Zwei Dutzend Ehrenamtliche, hauptsächlich Rentner, sind im Einsatz. Eine Stunde vor der Öffnung stehen die ersten Bedürftigen schon Schlange vor der Tür. Über 170 Familien sind hier derzeit registriert. Bei einem Kaffee bereitet sich Françoise Naglin, seit einem knappen Jahrzehnt Chefin des Zentrums, auf den Besucheransturm vor:
    "Die Zahl der Bedürftigen, die sich an uns wenden, steigt von Jahr zu Jahr. Darunter sind immer mehr Rentner, die mit ihren Altersbezügen nicht über die Runden kommen. Arbeitslose, denen wegen einer Lappalie die Sozialhilfe gestrichen wurde. Mütter mit ihren Kindern, die nach einer Scheidung mittellos dastehen."
    Initiative will bei der Jobsuche helfen
    Angesichts des wachsenden Zulaufs hat Françoise Naglin vor einigen Jahren beschlossen, das Resto du Coeur in Provins ganzjährig zu betreiben. Und nicht nur Essens-Wochenrationen auszugeben, sondern ebenso Hilfe bei der Jobsuche, bei Problemen mit Behörden anzubieten:
    "Normalerweise können sich die Leute bei uns auch kostenlos die Haare schneiden lassen. Aber nun hat unsere Friseurin, eine arbeitslose Ehrenamtliche, einen neuen Job und so muss ich eine Nachfolgerin suchen. Mir liegt sehr daran, ein Profi-Haarschnitt tut den Leuten unheimlich gut. Und hilft ihnen, bei einem Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck zu machen."
    Vor halb vollen Lebensmittelregalen besprechen die Helfer den Start der Winterkampagne. Währenddessen telefoniert Françoise Naglin dem Lieferwagen hinterher, der aus dem Depot nahe Paris Nachschub bringen soll. Reichen wird der nicht, weiß Naglin schon vorab, vor allem beim Babybedarf: Bislang gab es für jedes Kleinkind alle zwei Wochen eine Dose Milchpulver. Nun muss eine Dose drei Wochen reichen. Erstmals hat die Pariser Leitstelle auch vorab mitgeteilt, dass ohne umfangreiche zusätzliche Mittel die Armenspeisung nicht bis Ende März andauern kann. Über die Geldspenden und die Mittel aus dem entsprechenden EU-Programm hinaus müssen die ehrenamtlichen Helfer verstärkt lokale Lieferquellen erschließen, sagt der Vereins-Verwalter Bob Wancier.
    "Im vergangenen Jahr haben wir bei der Regierung erwirken können, dass Milchproduzenten von einem Steuernachlass profitieren, wenn sie uns Milch liefern. Das verschaffte uns im vergangenen Jahr eine Million Liter Milch. Nun arbeiten wir darauf hin, dass diese Steuervergünstigung auf die gesamte Nahrungsmittelindustrie ausgeweitet wird."
    Neue Regeln bei der Entsorgung von Lebensmitteln
    Allmorgendlich fährt ein Vereinsmitarbeiter in Provins zwei Supermärkte an und sammelt Ausschussware ein. Die Restos du Coeur wollen diese Sammelaktionen ausweiten. Denn in Kürze wird es in Frankreich dem Einzelhandel gesetzlich verboten, Ware, die noch verzehrbar ist, wegzuwerfen. Alleine im vergangenen Jahr holte der Verein so landesweit in Bäckereien und in kleinen Lebensmittelläden 27.000 Tonnen Nahrungsmittel ab. 2017 sollen es 40.000 Tonnen sein.
    Um kurz nach zehn gibt Françoise Naglin Anweisung, die Tür zu öffnen und die ersten fünf Wartenden einzulassen. Der kommenden Wintersaison sieht sie mit Zweckoptimismus entgegen:
    "Viele, die zu uns kommen, müssen einfach eine Durststrecke überwinden. Dabei begleiten wir sie, so gut es geht. Und irgendwann stehen sie wieder auf eigenen Beinen und kommen nicht mehr."