Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Frankreich
Die Probleme des Landes und Macrons Agenda

Siebenmeilenstiefel scheint Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu tragen: Er ist erst ein paar Monate im Amt und hat schon zahlreiche Projekte angeschoben. Das Buch "Der neue französische Traum" des Korrespondenten Christian Schubert beschreibt, vor welchen Hürden er dabei steht.

Von Stephanie Lob | 28.08.2017
    Im Hintergrund: Der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem Weg zu seiner Grundsatzrede im Schloss von Versailles am 3. Juli 2017.
    Trippelschritte sind nicht Macrons Ding. Dieser Präsident stürmt in Siebenmeilenstiefeln voran. Nur wohin der Weg der Reformen führt, ist noch nicht ganz klar. (picture alliance (Hintergrund) & FAZ Buch (Buchcover))
    Frankreich wieder groß machen - aber mit Europa, und nicht dagegen, wie bei US-Präsident Trump. Das will Emmanuel Macron. Der Vergleich mit den Vereinigten Staaten ist nicht weit hergeholt. Ebenso wie die USA leidet Frankreich unter einer hohen Schuldenlast, einem Verfall der Industrie und vor allem: des Selbstwertgefühls. Nur schlägt Macron einen völlig anderen Weg ein als Trump, um diesen Niedergang zu stoppen.
    "Der neue französische Traum" - so nennt Christian Schubert, Pariser Wirtschaftskorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Macrons Vorhaben in seinem gleichnamigen Buch. Schuberts Bestandsaufnahme fällt nüchtern aus: "Macron steht in den nächsten fünf Jahren vor einem Berg an Herausforderungen. Wenn es kein Everest ist, so doch der Mont Blanc. Reformen in Trippelschritten sind jetzt keine Option mehr, davon hat Frankreich schon genug gesehen."
    Trippelschritte sind nicht Macrons Ding. Dieser Präsident stürmt in Siebenmeilenstiefeln voran. Nur wohin der Weg der Reformen führt, ist noch nicht ganz klar.
    Die französische Agenda und die Hürden der Vergangenheit
    Zur Lösung könnte sich Macron an Deutschland orientieren, meint Schubert: "Frankreich bräuchte sicher seine eigene Agenda, ich sag' mal 2020, aber Frankreich dürfte nicht einfach die Agenda 2010 aus Deutschland kopieren, denn das würde bei der Bevölkerung nicht gut ankommen. Gerade in Frankreich, das ein stolzes Land ist, gibt es viele Sensibilitäten - und insofern müsste Macron da sehr vorsichtig sein."
    Wer eine Studie über Macron und seine Vorstellungen erwartet, wird bei Schubert enttäuscht. Stattdessen beschreibt er detailreich die Gründe für die französische Malaise - und mögliche Lösungsansätze, aus Sicht von Unternehmern, Gewerkschaftern und Politikern. Trotz vieler Statistiken und Zahlen: trocken wirkt das nicht, denn der studierte Volkswirt schreibt angenehm reportagehaft und baut auf zahlreichen eigenen Interviews auf.
    Im zweiten Teil des Buches geht es um einige langgehegte französische Überzeugungen, die Macron zum Teil im Weg stehen. Allen voran der Colbertismus: Die Doktrin, wonach der Staat die Wirtschaft lenken muss. Benannt nach Jean-Baptiste Colbert, dem einflussreichen Finanzminister von "Sonnenkönig" Ludwig XIV. Gepaart mit den allzeit streikbereiten Gewerkschaften entstehe eine fatale Mischung, heißt es in dem Buch: "Wie Mehltau lähmen der Staat und die Gewerkschaften die Wirtschaft. Genau hier könnte ein Konzept ansetzen, das Frankreich in der Vergangenheit schon gelebt hat und dessen geistige Grundlagen es schuf: der Liberalismus."
    Das ist wohl das Hauptverdienst von Schuberts Buch: Es räumt mit einigen Vorurteilen auf. Zum Beispiel dem, in Frankreich gebe es keine liberale Tradition. Mit diesem Argument diskreditieren Populisten zur Linken wie zur Rechten das sozialliberale Programm der neuen Regierung. Schubert dagegen zitiert liberale Denker von der französischen Revolution bis heute - und findet sogar bei dem allseits verehrten Gründer der 5. Republik, General De Gaulle, liberale Ansätze.
    "Das Image des Landes ist ja mehr, dass der Staat hier ganz viel lenken würde. Das ist natürlich auch so, aber die private Initiative daneben war immer vorhanden. Man sieht es zum Beispiel auch an den Start-Ups, die jetzt hier gegründet werden. Es werden sogar mehr Unternehmen gegründet als in Deutschland. Emmanuel Macron kommt ja selbst aus einer politischen Start-Up-Kultur, quasi. Seine Partei, die er gerade erst vor anderthalb Jahren gegründet hat, ist ja eine Art von politischem Start-Up. Und Macron wird versuchen, diese Dynamik zu nutzen: als Sprungbrett, das die ganze Wirtschaft auf eine andere Ebene heben soll."
    Die Arbeitslosigkeit ist "hausgemacht"
    Gemessen werden der Präsident und seine Partei La République en Marche aber vor allem an der Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu senken. Sie ist gut doppelt so hoch wie in Deutschland - und bei jungen Leuten mit mehr als 20 Prozent sogar rund dreimal so hoch. Forderungen nach einer Abschottung der Wirtschaft, wie sie etwa der rechtspopulistische Front National erhebt, hält Schubert für völlig falsch: "Die Arbeitslosigkeit ist weitgehend hausgemacht. [...] Sie ist (weitgehend) das Ergebnis eines teuren Sozialsystems und eines ausufernden Arbeitsrechts. Das hohe Niveau der sozialen Absicherung macht die Anstellung von Beschäftigten für die Unternehmen teuer; wenn sich dann herausstellt, dass der Mitarbeiter nicht in die Belegschaft passt, kann die Kündigung zu einem juristischen Marathonlauf werden, der mit hohen Abfindungszahlungen endet."
    "Die französische Wirtschaft braucht einen Deregulierungsschub wie ein miefiger Raum ein offenes Fenster", schreibt Schubert. Solche Sätze sind von einem FAZ-Korrespondenten erwartbar. Doch anders als viele Journalisten und Politiker hierzulande verzichtet der Autor darauf, reflexhaft auf das vermeintliche Vorbild Deutschland zu verweisen.
    Berlin sollte kooperationsbereit sein
    Distanziert sieht Schubert auch deutsche Warnungen, Macron drohe wegen seiner europapolitischen Vorstellungen ein "teurer Freund" zu werden, wie nach seiner Wahl auch in der FAZ zu lesen war: "Also ich glaube, die Befürchtungen in Deutschland sind ein bisschen übertrieben. Macron hat schon im Wahlkampf angekündigt, dass er nicht auf Konfrontations-Kurs mit Deutschland gehen will, sondern eben die Verständigung sucht. Ich glaube, man wird hier Kompromisse finden, und die werden Deutschland am Ende auch nicht so teuer kommen wie das mancher jetzt hier befürchtet."
    Stattdessen rät der Autor der künftigen Bundesregierung, sich zu gemeinsamen Projekten bereit zu zeigen: "In Deutschland gibt es ja auch einen gewissen Investitionsbedarf im öffentlichen Bereich. Und ich glaube, man könnte durchaus auf europäischer Ebene ein gewisses Paket da schnüren. Europa kann ja nicht immer nur bedeuten: Sparen, sparen, sparen."
    Schubert ist seit 13 Jahren Korrespondent in Paris. Er hat Präsidenten kommen und gehen sehen. Sein vorläufiges Fazit über Macron fällt deshalb vorsichtig aus: "Ich bin grundsätzlich mehr optimistisch als pessimistisch. Ich glaube, Macron sieht den Handlungsbedarf, der groß ist, und ich glaube, er wird dafür sorgen, dass sich Frankreich eher nach vorne bewegt als dass es sich zurückentwickelt."
    Christian Schubert: "Der neue französische Traum. Wie unser Nachbar seinen Niedergang stoppen will"
    Frankfurter Allgemeine Buch. 320 Seiten, 19,90 Euro.