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Frankreich
Heftigkeit des Gewaltausbruchs von Nantes überrascht

Nach einem tödlichen Polizeieinsatz kam es in Nantes zu schweren Unruhen. Die französischen Behörden verteidigen ihr Vorgehen. Viele fragen sich aber, warum der Gewaltausbruch in der sechstgrößten Stadt des Landes derart heftig war.

Von Jürgen König | 04.07.2018
    Ein Polizist steht vor einem brennenden Kleinlaster im Stadtteil Breil
    Nach der schiefgegangenen Kontrolle eines PKW, bei der ein 22-Jähriger starb, eskalierte die Gewalt in Nantes verteidigt. (dpa / Franck Dubray)
    Die Lage in Nantes hat sich mittlerweile wieder beruhigt, ganze Straßenzüge wurden abgesperrt, Autowracks und Barrikadenteile weggeschafft, ein ausgebranntes und geplündertes Einkaufszentrum hat man abgesichert. Die Nachricht, dass ein junger Mann von einem Polizisten erschossen worden war, hatte sich am Abend wie ein Lauffeuer in gleich drei Stadtvierteln von Nantes verbreitet, alle gelten als soziale Brennpunkte, in Frankreich auch "quartiers sensibles" genannt. Mehrere Stunden lang lieferten sich Jugendliche, nach übereinstimmenden Zeugenaussagen mit Steinen, Schleudern und Molotowcocktails bewaffnet, regelrechte Kämpfe mit der Polizei.
    Polizei verteidigt Vorgehen
    Zu den Umständen des tödlichen Schusses auf den 22-Jährigen sagte der Polizeidirektor des Departments Loire-Atlantique, Jean Christophe Bertrand, man habe ein Fahrzeug wegen einer Ordnungswidrigkeit überprüfen wollen; da die Identität des Fahrer unklar blieb, hätten die Polizisten die Anweisung bekommen, den Fahrer auf eine Polizeistation zu bringen.
    "Als sie ihn aufforderten, sein Auto abzustellen, tat er so, als wollte er aussteigen, setzte dann aber zurück, fuhr einen Polizisten an, daraufhin gab ein anderer Polizist, der den Einsatz absicherte, einen Schuss in Richtung des Autos ab, leider wurde dabei der Fahrer getroffen."
    Normalerweise keine Spannungen
    Im Krankenhaus erlag der Mann seinen Verletzungen noch in der Nacht. In verschiedenen Medien werden Jugendliche zitiert, die das Geschehen aus unmittelbarer Nähe beobachtet hätten, ihnen zufolge habe der Polizist gezielt auf den Mann im Auto geschossen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zu den "Umständen, unter denen der Polizist seine Schusswaffe gebrauchte" übernommen; die Bürgermeisterin von Nantes, Johanna Rolland, sprach den Angehörigen des Getöteten ihr Mitgefühl aus, und sagte den Einwohnern der betroffenen Stadtteile Aufklärung und Hilfe zu.
    Unterdessen stellen sich viele in Nantes die Frage, warum der Gewaltausbruch der letzten Nacht derart heftig war. Thierry Spitz von der Polizeigewerkschaft "Alliance" im Sender BFM: "Zwischen den Einwohnern und der Polizei gibt es normalerweise keine Spannungen, andererseits: Wir sind in Nantes, der sechstgrößten französischen Stadt, hier gibt es vier, fünf, sechs Vorstädte, wo immer wieder allerhand passiert, wie in allen großen Städten Frankreichs. Hier, im Stadtteil Breil hat erst letzte Woche einer mit einer Kalaschnikow um sich geschossen. Ja, es passiert viel in den Städten, auch wenn nicht groß drüber geredet wird – und gerade in Nantes."
    Mit der Politik Macrons nicht einverstanden
    Das liegt vielleicht auch daran, dass sich angrenzend an den Großraum von Nantes mit seinen etwa 500.000 Einwohnern über Jahrzehnte hinweg eine Widerstandsbewegung gegen den dort geplanten Großflughafen "Notre Dame-des-Landes" aufgebaut hat. Und auch wenn das Projekt inzwischen aufgegeben wurde - stattdessen soll der Flughafen von Nantes ausgebaut werden – sind das Areal von "Notre Dames-des-Landes" sowie die Stadt Nantes nach wie vor Anlaufpunkte geblieben für viele, die mit der Politik Emmanuel Macrons nicht einverstanden sind, die eine überbordende "Liberalisierung" und ein Ende des französischen Sozialstaats fürchten. Viele Jugendliche sehen für sich "in diesem Frankreich" keine Perspektive, ihr Widerstand ist vielerorts ein militanter – auch in Nantes rechnet man mit weiteren Unruhen.