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Frankreich
Junge Franzosen pro und kontra Macron

Nach einem Jahr im Amt wird der französische Präsident Emmanuel Macron für sein Engagement in Europa mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Doch einen leichten Stand hat Macron mit seinem rapiden Reformkurs nicht bei allen Franzosen.

Von Anne Raith | 09.05.2018
    Emmanuel Macron in Paris
    Emmanuel Macron in Paris (picture alliance / dpa 7 Ian Langsdon)
    Treffpunkt Stalingrad. Haltestelle Stalingrad. Die Metrostation ist groß. Es dauert eine Weile, bis sich alle gefunden haben. Bevor es losgeht, pinnt sich Armand noch zwei Anstecker ans Hemd, auf dem einen ist "la grande marche" zu lesen, auf dem anderen die Europaflagge zu sehen. Gemeinsam mit Ilias, Laurent und Erica will er an diesem Vormittag zwei Stunden lang an Türen im 10. Arrondissement klopfen, um für "La République En Marche" mit den Leuten über Europa zu sprechen.
    Welche Rolle spielt Europa in ihrem Leben? Was läuft gut, was nicht? Wo ist mehr, wo weniger Europa von Nöten? Ilias klickt sich auf dem Handy durch den Fragebogen, mit dem sie ausgerüstet worden sind.
    "Wir haben auch eine Karte, auf der wir sehen können, wo es sich am ehesten lohnt zu klopfen. Straßenzüge, die bei den vergangenen Wahlen eine besonders hohe Nichtwählerquote hatten zum Beispiel, wo es was zu tun gibt für uns."
    Von Tür zu Tür
    Zuhören, Notizenmachen, Ideen sammeln lautet der Auftrag. So wie vor den nationalen Wahlen im vergangenen Jahr, bei denen der 44-Jährige auch schon von Tür zu Tür gezogen ist. Und weil er zufrieden ist mit dem ersten Jahr des Präsidenten, ist er wieder mit dabei:
    "Macron setzt sein Programm um, schnell und zuverlässig. Zu schnell, sagen manche. Aber die Probleme sind so groß, da können wir nicht zögern. Frankreich scheint also auf einem guten Weg zu sein, jetzt ist Europa dran. Wir hoffen, dass es uns innerhalb eines Jahres gelingt, möglichst viele mitzunehmen, damit wir mit den Deutschen und anderen Europäern Europa reformieren können."
    Bis zur Europawahl. Dabei soll es beim "Großen Marsch" eigentlich nicht um Wahlkampf gehen, zumindest nicht für die Partei des Präsidenten, allenfalls für die europäische Idee.
    An diesem Werktag allerdings wird es den Vieren ohnehin schwergemacht, möglichst viele mitzunehmen. Erica steuert das erste Haus in einer ruhigen Seitenstraße an. Doch die Frau hat keine Zeit. Macron-Wählerin sei sie aber, beteuert sie. Und Erica beteuert, darauf komme es nicht an.
    Armand hat mehr Glück. Er hat einen Passanten angesprochen. Auf die Frage, was Europa für ihn bedeutet, antwortet der: Frieden
    Das Friedensprojekt in die Zukunft weiterzudenken, sei auch das, was Armand bewogen hat, sich am "Großen Marsch für Europa" zu beteiligen, erzählt er. Deswegen ist für den Studenten auch völlig klar, dass Emmanuel Macron den Karlspreis verdient hat.
    Der Mut, Europa zu verteidigen
    "Er war und ist der einzige, der in diesen Zeiten den Mut hat, Europa zu verteidigen, während andere Staats- und Regierungschefs sich mehr und mehr zurückziehen. Europa ist für mich ein Schirm, der seine Bürger schützt."
    Und für diesen Schutzschirm zieht er weiter, von Tür zu Tür.
    Auch Juliette war an diesem Tag viel unterwegs, allerdings im Süden der Stadt. Doch die Seine ist nicht das einzige, was sie von den vier "marcheurs" trennt.
    "Ich hab nicht Macron gewählt. Ich äußere meine Meinung aber nicht nur an der Wahlurne. Wenn etwas schief läuft, muss man es sagen und den Weg wählen, der einem zur Verfügung steht. Demonstrationen, Unibesetzungen, politische Aktionen."
    Heute hat die Philosophiestudentin zuerst mit den Eisenbahnern am Bahnhof Montparnasse demonstriert und später mit ihren Kommilitonen vor dem Odéon. Die hatten versucht, das Theater zu besetzen, wie 1968, bis die Polizei dazwischen ging.
    Gute Gründe, auf die Straße zu gehen, gibt es für Juliette genug, sagt sie. Sie stört sich an vielen Reformen der vielen Reformen des Präsidenten. An der, die die Hochschulzulassung neu regeln will, an der Bahnreform, den Arbeitsmarktreformen, den Veränderungen im öffentlichen Dienst. Alles nur auf seine Rentabilität zu prüfen sei doch keine Lösung.
    Absolut schockiert sei sie nach einem Jahr Macron. Das Emmanuel Macron mit dem Karlspreis ausgezeichnet wird? Wusste sie noch nicht, sagt sie, und meint: So what? Juliette wendet sich wieder ihren Kommilitonen zu. Auch sie haben im kommenden Jahr noch einiges vor.