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Frankreich
Passt Gott ins Büro?

Viele französische Unternehmen haben Leitfäden für den "Umgang mit religiösen Fragen in privaten Unternehmen". Politiker fordern einheitliche Regelungen, etwa ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Eine neue Umfrage unter Managern zeigt: Es gibt zwar Probleme mit Gläubigen, aber es gibt auch Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen.

Von Bettina Kaps | 13.10.2016
    Jemand sitzt an einem Tisch vor einem Laptop und hält mit einer Hand ein Smartphone, im Hintergrund ist ein Fahrrad zu sehen, im Vordergrund eine Tasse.
    Ein blitzblanker Arbeitsplatz. Religiöse Symbole stören, finden Politiker wie Nicolas Sarkozy. (Imago / Westend61)
    Staat und Kirche sind in Frankreich strikt getrennt. Das hat auch Folgen in der Arbeitswelt. Lehrer, Polizisten, Sekretärinnen in Behörden, Busfahrer in städtischen Transportunternehmen ... Wer für den öffentlichen Dienst arbeitet, ist zu Neutralität verpflichtet - auffällige Kreuz, jüdische Kippa und vor allem das Kopftuch sind dort verboten.
    Anders in der Privatwirtschaft: Dort gilt prinzipiell Glaubens- und Gewissensfreiheit. Aber in einer Zeit, in der sich die Franzosen vor neuen Attentaten fürchten und schon ein Burkini am Meeresstrand als islamistische Aggression interpretiert wird, sind "les faits religieux", wie es in Frankreich heißt, die "religiösen Fakten" also, auch dort ein hoch sensibles Thema geworden.
    Lionel Honoré, Direktor der Beobachtungsstelle für religiöse Fakten in Unternehmen, hat für seine Studie 1.400 Manager und Führungskräfte befragt. Ihre Antworten bestätigten, dass Religiöses am Arbeitsplatz heute deutlich mehr Raum einnimmt als in den Vorjahren, sagt der Wissenschaftler. "65 Prozent aller Manager, die wir befragt haben, sind heute mit dieser Thematik konfrontiert. Vergangenes Jahr waren es erst 50 Prozent. Für zwei Drittel aller Manager ist es inzwischen ganz normal, dass sie Fragen, die mit Religion zu tun haben, regeln müssen."
    Religion kann zu ernsthaften Problemen führen
    Konkret handelt es sich dabei vor allem um das Tragen des islamischen Kopftuchs, danach kommt der Wunsch, an religiösen Feiertagen Urlaub zu nehmen oder aber die Arbeitszeiten anzupassen. Gelegentlich müssen die Manager auch entscheiden, ob ein Angestellter in seiner Arbeitspause beten darf.
    "Es sind also in erster Linie rein persönliche Anliegen, die nur geringen Einfluss auf die Arbeitsorganisation haben. Die Manager haben es gelernt, damit umzugehen." Oft gelinge es, einvernehmliche Lösungen zu finden, sagt Honoré.
    Die Führungskräfte müssen aber auch häufiger als zuvor Forderungen bewältigen, die das Arbeitsklima belasten oder gar gesetzeswidrig sind. Dazu gehören laut Lionel Honoré "die Stigmatisierung eines Kollegen aus religiösen Gründen, Bekehrungseifer, die Weigerung, bestimmte Tätigkeiten auszuführen, die Weigerung, mit einer Frau zusammen zu arbeiten."
    In neun Prozent aller Fälle sind die Manager mit Situationen konfrontiert, bei denen die Religion zu ernsthaften Problemen führt. So gibt es Angestellte, die ihre Firma wegen religiöser Diskriminierung anprangern wollen. Manche weigern sich, die Legitimität ihres Vorgesetzten anzuerkennen, mit Argumenten wie: Du hast mir nichts zu sagen, göttliche Vorschriften gehen vor.
    Arbeitgeber wollen Rechtssicherheit
    Die meisten Führungskräfte seien inzwischen so gut geschult, dass sie einen Großteil der Konflikte bewältigen könnten. Sie wollten daher auch keine staatliche Einmischung: Ein Gesetz, dass den Angestellten religiöse Neutralität vorschreibt, lehnen zwei Drittel aller Manager ab, sagt Lionel Honoré.
    Aber genau das sei nötig, um die Arbeitgeber endlich aus einer rechtliche Grauzone zu befreien, meint der Arbeitsrechtler Eric Manca. Als Rechtsanwalt berät er Unternehmer, bei denen religiös motivierte Forderungen der Angestellten mit den kommerziellen Interessen der Firma in Konflikt geraten – und kann ihnen da nicht immer weiter helfen.
    Eric Manca: "Die Frage lautet: Muss sich die Firma den religiösen Fakten anpassen? Muss sie ihre wirtschaftlichen Interessen hintan stellen? Unsere Mandanten wollen wissen, wo die Grenze liegt – und die ist völlig unklar, vor allem bei religiöser Kleidung. Religiöse Freiheit ist in Frankreich verfassungsrechtlich geschützt. Es gibt keinen Gesetzestext, der dem Arbeitgeber eindeutig erklärt, wie er sich verhalten kann."
    Wie brenzlig das Thema ist – und wie unterschiedlich die Gerichte entscheiden, zeigt der Fall Asma Bougnaoui. Als Software-Expertin in einer IT-Beratungsfirma hatte die Ingenieurin bei einem großen Kunden gearbeitet, einer Versicherung. Mit Kopftuch. Nach einem ersten Einsatz hatte sich der Kunde darüber beschwert. Aber die Muslimin weigerte sich, fortan ohne Kopftuch zu arbeiten. Sie wurde entlassen, worauf sie klagte.
    Europäischen Juristen sind sich auch nicht einig
    Zwei juristische Instanzen gaben ihrem Arbeitgeber Recht. Beim Berufungsverfahren jedoch weigerte sich der Oberste Gerichtshof, Stellung zu beziehen. Die Richter wandten sich stattdessen an den Europäischen Gerichtshof, baten um Klärung, wie die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU auszulegen sei.
    Aber die europäischen Juristen sind sich auch nicht einig. Im Gutachten über den Fall Asma Bougnaoui hat die Generalanwältin das Kopftuchverbot zu einer "rechtswidrigen unmittelbaren Diskriminierung" erklärt. Diese Position steht im krassen Gegensatz zum Gutachten in einem ähnlichen Fall, der Belgien betrifft: Da hatte eine andere Generalanwältin kürzlich die Ansicht vertreten, das Kopftuchverbot der Firma könne zulässig sein. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs soll vor Jahresende fallen, sie könnte auch für Deutschland Konsequenzen haben.
    Rechtsanwalt Eric Manca will mit seiner Lobbyarbeit erreichen, dass Frankreich ein Gesetz erlässt, welches den Arbeitnehmern freie Hand gibt, sofern Kunden im Spiel sind: "Sonst wäre es das Ende der unternehmerischen Freiheit. Eine Firma ist weder laizistisch, noch religiös – sie will schlicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten handeln."