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Frankreich und die Agenda 2010

Frankreichs Regierung steht unter Zugzwang: Die Arbeitslosigkeit steigt unaufhaltsam an. Wirtschaftsexperten fordern tief greifende Strukturreformen: eine französische Agenda 2010. Doch die sozialistische Regierung will harte soziale Einschnitte vermeiden.

Von Daniela Kahls | 14.03.2013
    Die französische Regierung steht unter Zugzwang: Die Arbeitslosigkeit steigt unaufhaltsam an und trotzdem will Präsident Hollande bis Ende des Jahres für eine Trendwende am Arbeitsmarkt sorgen. Eine "Schlacht für Arbeit" hat er angekündigt, doch seine als historisch angekündigte Arbeitsmarktreform ist zum Reförmchen geschrumpft. Wirtschaftsexperten fordern dringend tiefgreifende Strukturreformen, um das Land aus der Krise zu kriegen. Sie fordern eine französische Agenda 2010. Doch die scheint erstmal in weite Ferne gerückt.

    Vor ziemlich genau einem Jahr da war das deutsche Modell in Frankreich in aller Munde. Da hieß der französische Präsident aber noch anders, nämlich Nicolas Sarkozy. Der lud sich mitten im Wahlkampf den Sozialisten und Vater der Agenda 2010 Gerhard Schröder in den Elysée-Palast ein und machte keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die wirtschaftliche Leistung Deutschlands:

    Deutschland ist sehr erfolgreich, darauf sind wir nicht neidisch, davon wollen wir uns inspirieren lassen – sagte Nicolas Sarkozy. Doch die Franzosen fanden diese Idee nicht wirklich toll und wählten Sarkozy kurz darauf ab. Das hatte natürlich auch andere Gründe. Aber trotzdem: Der Präsidentschaftswahlkampf vor einem Jahr hat Gräben offenbart. Der damals wahlkämpfende Sozialist Arnaud Montebourg, der jetzt Minister für wirtschaftlichen Wiederaufbau ist, hat ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen das deutsche Modell verteufelt:

    Wir müssen jetzt die politische Konfrontation mit Deutschland suchen und unsere Werte verteidigen – hat vor gar nicht allzu langer Zeit Arnaud Montebourg gesagt. Das würde er jetzt als Minister wohl so nicht mehr sagen, aber diese Äußerung macht mehr als deutlich, dass die sozialistische Regierung in Frankreich so ihre Probleme mit einem harten Sparkurs und sozialen Einschnitten hat, wie sie die Agenda 2010 Deutschland beschert hat. Mit unseren Werten meint Montebourg wohl vor allem viel Staat. Sind Unternehmen in der Krise wird nach Staatshilfen oder sogar Verstaatlichung gerufen, Arbeitsplätze für benachteiligte Jugendliche werden mit Vorliebe in der Verwaltung geschaffen. Das sind die französischen Rezepte der vergangenen Jahrzehnte. Damit zu brechen, wäre für Frankreich ein viel größerer Paradigmenwechsel als für Deutschland. Immer mehr Wirtschaftswissenschaftler melden sich aber zu Wort und sagen, dass Frankreich eigentlich genau das tun müsste. Auch der Experte Philippe Maniere:

    "Ich würde mir wünschen, dass Frankreich die Hälfte dessen macht, was Deutschland gemacht hat. Also ich bewundere Deutschlands Reformen. Aber man sollte nicht vergessen, dass Schröder das in seinem zweiten Mandat umgesetzt hat. Niemand kann so radikale Reformen in seinem ersten Mandat umsetzen. Deshalb hätte man auch besser Nicolas Sarkozy als Francois Hollande wählen sollen."

    Acht Monate ist die neue französische Regierung nun am Ruder – und bisher sind radikale Reformen, die eine Bezeichnung Agenda 2020 verdient hätten, tatsächlich nicht in Sicht. Obwohl Frankreich sein Haushaltsdefizit nicht in den Griff kriegt und die Arbeitslosigkeit Monat für Monat ansteigt.

    Doch die sozialistische Regierung will harte soziale Einschnitte vermeiden – und trotzdem irgendwie die Wirtschaft ankurbeln. Ein schwieriger Spagat, den Premierminister Ayrault mit dem Begriff neues französisches Modell beschreibt:

    Denn auch wenn in Frankreich viele neidisch auf die geringe Arbeitslosigkeit in Deutschland schauen, die Schattenseiten der Agenda 2010 rücken langsam in der französischen Wahrnehmung in den Vordergrund. Ein Beispiel an Deutschland nehmen? Nicht unbedingt, sagt deshalb diese Korrespondentin:

    In Deutschland gibt es Friseurinnen, die nur 6 Euro brutto pro Stunde verdienen, erklärt diese französische Korrespondentin den schockierten französischen Hörern. Denn in Frankreich gibt es einen Mindestlohn von 9.40 Euro. Den abzusenken oder gar abzuschaffen trauen sich nicht einmal die härtesten Reformer in Frankreich zu fordern.