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Frankreich
Vorsorge-Zentrum gegen islamistische Radikalisurng

In Frankreich soll das erste Zentrum für die Deradikalisierung islamistischer Jugendlicher eröffnet werden. Das Konzept: demokratische Grundwerte vermitteln - Hausuniform und Fahnenappell eingeschlossen. In dem betroffenen Ort Beaumont-en-Véron gibt es seit Monaten Proteste gegen das Zentrum.

Von Jürgen König | 14.09.2016
    Der Französische Premierminister Manuel Valls und Arbeitsministerin Myriam El Khomri höre eine Rede währed eines Besuchs bei Solvay's am 22. Februar 2016 in Chalampe.
    Der französische Premierminister Manuel Valls möchte bis Ende 2017 in jeder französischen Region ein Zentrum gegen Radikalisierung einrichten. (AFP / Sebastien Bozon)
    Der französische Premierminister Manuel Valls hat unsere Gegenwart schon eine "Ära des Hyperterrorismus" genannt. Immer wieder betont er die "Entschlossenheit" , die "unerlässlich" sei , um der ständigen Attentatsgefahr begegnen zu können. Und er verschweigt dabei nicht, was manche Franzosen gar nicht gerne hören: dass die Bedrohung auch aus dem eigenen Land kommt. Im Sender France 2 sagte Valls:
    "Das Problem ist ja nicht nur der Terrorismus, der aus dem Ausland kommt, aus Syrien oder dem Irak. Sondern dass es hier - bei uns! - einige tausend radikalisierte Menschen gibt, die ganz sicher solche Taten begehen können!"
    Vorsorge oder Deradikalisierung?
    Schon im Mai hatte Manuel Valls Einrichtungen zur Deradikalisierung von Jugendlichen angekündigt. Ein Berufsbildungszentrum im mittelfranzösischen Städtchen Beaumont-en-Véron wurde als Pilotprojekt ausgewählt. Im Eigentum der Stadt Paris, hätte es im Sommer geschlossen werden sollen, wogegen es im letzten Jahr erhebliche Proteste gegeben hatte. Nun gibt es ein Nachfolgeprojekt, doch schon während der Umbauarbeiten kam es zu Verunsicherungen: von einem "Zentrum zur Deradikalisierung" sei in Gesprächen mit Stadt und Département nie die Rede gewesen, wunderte sich der sozialistische Abgeordnete Laurent Baumel, man habe immer von "Vorsorgemaßnahmen gegen die Radikalisierung" gesprochen – was auch für Bürgermeister Bernard Chateau einen erheblichen Unterschied ausmacht.
    "Eine vorsorgliche Maßnahme ist ja nicht dasselbe wie eine behandelnde Maßnahme. Unsere Bedingung ist, dass hier nur Menschen aufgenommen werden, die ihren Eltern, den Sozialdiensten, den Behörden oder der Gendarmerie als gefährdet aufgefallen sind und um die wir uns hier kümmern, damit sie den ersten Schritt zur Umkehr machen können."
    Junge Leute sollen ihre Urteilsfähigkeit wiederfinden
    Offiziell heißt die Einrichtung jetzt "Centre de réinsertion et de citoyenneté", also etwa ein "Zentrum der Resolizialisierung und Bürgerschaftlichkeit". Ungefähr 30 junge Erwachsene sollen aufgenommen, sollen zehn Monate lang ihrer bisherigen Umgebung entzogen werden. Louis Le Franc, der zuständige Präfekt des Departements Indre-et-Loire:
    "Das Ziel ist, den jungen Leuten zu ermöglichen, ihre Urteilsfähigkeit wiederzufinden, die Fähigkeit, frei entscheiden zu können – und ihnen Perspektiven zu geben, sie zurück in die Gesellschaft und in ein Berufsleben hineinzuführen."
    Auch republikanische Grundwerte sollen vermittelt werden: Hausuniform und Fahnenappell eingeschlossen. Vorläufer solcher Einrichtungen hat es in Frankreich schon gegeben, diese ist die erste, die junge Leute rund um die Uhr betreut - und überwacht. Rückkehrer aus Kampfgebieten werden nicht aufgenommen. Bürgermeister Bernard Chateau:
    "Die hierher kommen, sind keine Straftäter. Sie sind nicht gefährlich, und sie sind freiwillig hier, das ist ganz wichtig."
    Petitionen und Versammlungen gegen das Zentrum
    Aussagen wie diese sollen auch die Einwohner beruhigen. Seit Monaten gibt es Proteste: Die Einrichtung könne die Aufmerksamkeit der Terroristen auf sich ziehen, wird als ein Argument gegen sie genannt, und dabei stünde doch in nur drei Kilometern Entfernung ein Atomkraftwerk. Versammlungen hat es gegeben, eine Petition wurde aufgesetzt - vergebens.
    "Man präsentiert uns hier 'noch nicht radikalisierte' Jugendliche – wir werden sie beim Wort nehmen, ganz sicher scheint uns das nicht zu sein. Vermutlich ist alles wieder mal viel komplizierter, diese Radikalisierung nimmt doch immer mehr zu in unserer Gesellschaft."
    Doch es gibt auch Gegenstimmen:
    "Die jungen Leute hier zu betreuen, ist allemal besser als sie auch weiterhin den Einflüssen jener auszusetzen, die sie vielleicht bis zu Attentaten treiben."
    In jeder Region Frankreichs soll bis Ende 2017 eine vergleichbare Einrichtung eröffnet werden. Nach Regierungsangaben werden dafür über 180 neue Stellen geschaffen, für 40 Psychologen, 110 Erzieher, 35 Sozialarbeiter; insgesamt gibt der Staat 40 Millionen Euro für die Maßnahmen aus. Dass jetzt in Paris ein 15-Jähriger verhaftet wurde, der bereits Kontakte zu einem französischen Islamisten im syrisch-irakischen Grenzgebiet unterhalten soll, zeigt, dass es wahrlich Bedarf für solche Einrichtungen gibt.