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Frankreich will die Verbreitung radikalen Gedankenguts im Internet verfolgen

Nach den Morden an drei jüdischen Kindern, einem Rabbiner und drei Soldaten will Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gegen Hassprediger und die Verbreitung radikalen Gedankenguts stärker vorgehen. Doch kann eine strengere Regulierung den islamistischen Terror tatsächlich eindämmen - darüber ist eine heftige Debatte entbrannt.

Von Margit Hillmann | 26.03.2012
    Am Wochenende verteidigte Frankreichs Premierminister François Fillon, die Vorschläge des Staatspräsidenten zur Terrorismusbekämpfung im Internet:

    "Wir wollen Lehren ziehen aus dem, was passiert ist. Ein Drama dieser Größenordnung. Sieben Personen haben ihr Leben verloren. Das muss Konsequenzen haben, insbesondere bei der Gesetzgebung. Denn wir können heute Personen, die regelmäßig auf Internetseiten gehen, die zu Mord und Terrorismus aufrufen wird, nicht bestrafen. Wir haben entsprechende Gesetze für Personen, die Pädophilen-Seiten im Internet besuchen. Wir wollen die gleiche Reglementierung einführen, wie es sie für pädophile Websites schon gibt."

    Wahlkampfgetöse, politische Instrumentalisierung – die geltenden Antiterrorgesetze seien ausreichend, so die Kommentare der politischen Gegner. Für harsche Kritik sorgt der Gesetzesvorschlag jedoch vor allem bei Bürgerrechtsinitiativen. Sie fürchten einen weiteren Ausbau der präventiven Überwachung französischer Internetnutzer. Die sei in Frankreich schon heute besonders fortgeschritten, meint Archippe Yepmou, Vorsitzender der französischen Initiative "Internet ohne Grenzen":

    "Der Wille, das Internet zu kontrollieren, ist eindeutig. Das zeigen die Praktiken staatlicher Stellen, in der französischen Justiz und bei der Polizei. Da gibt es sehr fragwürdige Entwicklungen."

    Der Webaktivist nennt unter anderem den Fall eines Studenten in Montpellier. Der hatte im Mai 2011 einen kurzen Kommentar auf der Facebookseite des französischen Außenministers Alain Juppé hinterlassen. In zwei Zeilen kritisierte der Student den damaligen Einsatz der französischen Armee in der Elfenbeinküste unter UNO-Mandat als postkolonialistische Politik. Da müsse man sich hinterher nicht wundern, schrieb der 26-Jährige, wenn es in Frankreich Terroranschläge gäbe. Darauf reagierten französische Sicherheitsbehörden mit einer demonstrativen Strafaktion, moniert Webaktivist Yepmou.

    "Zwei Tage später sind vermummte Männer von der Anti-Terrorbrigade bei ihm aufgetaucht, haben den Studenten verhaftet, zwei Tage verhört und der Pariser Staatsanwaltschaft zugeführt. Wir haben dann die Staatsanwaltschaft kontaktiert. Dort sagte man uns: Natürlich wissen wir, dass der Student kein Terrorist ist. Das heißt, sie wollten ein Exempel statuieren, nach dem Motto: Im Internet hat man nicht das Recht zu sagen, was man will."

    Gewaltverherrlichung, Kinderpornografie oder extremistische Propaganda im Internet sind ein Problem. Wie sie im weltweiten Netz wirksam bekämpft werden können, wird in vielen Ländern diskutiert. Die Reaktionen der französischen Regierung auf die unübersichtliche Internetwelt hält die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen – kurz RSF - dennoch für besonders kritikwürdig. Die Organisation hat Frankreich schon länger auf dem Kieker.

    Es ist das einzige europäische Land auf der jährlich veröffentlichten RSF-Liste "Feinde des Internets": zum zweiten Mal in Folge, in der Warnkategorie "sous surveillance" – unter Beobachtung. Gilles Lordet vom Pariser RSF-Büro:

    "Wir haben in Frankreich die Politik des sogenannten zivilisierten Internet – ein von Nicolas Sarkozy geprägter Begriff. Die Regierung will das Internet regulieren. - Mithilfe verabschiedeter Gesetze wie Hadopi, das Urheberechte im Netz schützen soll; und Loopsi, ein Gesetzespaket zur Inneren Sicherheit. Die ermöglichen bereits das Blockieren von Websites und von Internetanschlüssen einzelner Haushalte, das Filtern von Datenpaketen und Online-Überwachung. Mit den weitreichenden Befugnissen verstößt Frankreich gegen internationale Normen und das Grundrecht auf freien Zugang der Bürger zum Internet."

    Betroffen sind auch französische Online-Journalisten. Die NGO verzeichnet eine deutliche Zunahme gravierender Verstöße gegen das Presserecht: Festnahmen und Beschlagnahme von Recherchematerial, Gerichtsverfahren gegen Mitarbeiter französischer Online-Informationsportale wie Mediapart oder Rue89. – Erwähnt werden sogar Morddrohungen gegen einen Mediapart-Journalisten, der Verstrickungen französischer Politiker in der Waffenhandel-Staatsaffäre Karatschi recherchiert.

    Frankreich sei nicht China oder Weißrussland, relativiert RSF-Sprecher Lordet. Aber unter den westlichen Demokratien habe es mit seiner restriktiven Internetpolitik einen Sonderplatz eingenommen.

    "Frankreich unterscheidet sich von den anderen, wenn es um Freiheit im Internet geht. Es fehlt Frankreichs Regierenden die Einsicht, dass fundamentale Rechte auch im Netz respektiert werden müssen. – Weil sonst die öffentliche Informations- und Meinungsfreiheit der Gesellschaft insgesamt bedroht ist."

    Wie bedenkenlos Frankreichs Regierenden mit der digitalen Meinungsfreiheit umspringen, zeigte sich unlängst auch bei Twitter. Im sozialen Netzwerk - in dem sich Frankreichs Wahlkämpfer derzeit nur so tummeln - wurden über Nacht mehrere Satire-Konten geschlossen in deren Namen das Wort Sarkozy auftauchte. – Auf Drängen Nicolas Sarkozys Wahlkampfmanager.